Tichys Einblick
Dreikönigstreffen

Partei des neuen Glaubens: Die FDP redet sich selbst und der Zukunft gut zu

Traditionell treffen sich die Freidemokraten am 6. Januar in der Stuttgarter Oper und machen sich Mut fürs neue Jahr. Diesmal geht jedoch die Angst vor weiteren Wahlklatschen um. Doch die Führung blendet die schlechte Stimmung an der Wählerbasis einfach aus.

Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Finanzminister beim Dreikönigstreffen der FDP im Opernhaus in Stuttgart, 06.01.1023

IMAGO / Political-Moments

Es gab schon noch düsterere Zeiten für die FDP bei ihrem traditionellen Dreikönigstreffen im Stuttgarter Opernhaus am 6. Januar – zum Beispiel nach dem historischen Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl am 22. September 2013.

Doch es kann noch schlimmer kommen, nämlich wenn Freidemokraten in einer Ampel mit SPD und Grünen im Bund regieren. Entgegen aller Propaganda der FDP-Spitze breitet sich eine große Trübnis bis tief in alle Ortsvereine und vor allem bei den verbliebenen Wählern aus. Denn in der Bundesregierung hat die FDP ihre Anhänger mit der Aufgabe ihrer traditionellen liberalen Politik bei Verschuldung, Finanzen, Wirtschaft und Energie zugunsten einer rot-grünen Umverteilung und Transformation tief enttäuscht. Selbst die Friedenspolitik der FDP von Hans-Dietrich Genscher, die auf Diplomatie und nicht auf Lieferungen von Panzern in Kriegsgebiete setzte, gibt es nicht mehr.

Obendrein ist Deutschland inzwischen mit 25 Milliarden Euro der Zahlmeister der Europäischen Union, denn wir überweisen die Hälfte aller Nettoleistungen. Der deutsche Haushalt verzeichnet mit fast 2,5 Billionen Euro eine historische Rekordverschuldung. Hinzu kommen dreistellige Schattenhaushalte in Milliardenhöhe.

Christian Lindner in der Krise
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Und diese Summen verantwortet mit Parteichef Christian Lindner ausgerechnet ein Bundesfinanzminister von den Freidemokraten. Zudem hat sich die FDP dem grünen Diktat der „Transformation“ unterworfen, welches Menschen und Gesellschaft wie früher im Sozialismus zwangsverändern will. Für viele FDP-Wähler noch vor Monaten schier unvorstellbar – und heute empfunden wie ein Verrat am freidemokratischen Geist.
Trauergottesdienst statt Jubelveranstaltung für die FDP

Kurz: Dreikönig 2023 ist alles andere als eine Jubelveranstaltung – eher ein Auftritt der Dialektiker, die politisch schönreden und weismachen müssen, dass sie nicht umgefallen sind, obwohl sie Seit‘ an Seit‘ mit SPD und Grünen schreiten.

Schon die Parole auf dem FDP-Online-Auftritt und auf dem Podium des Dreikönigstreffens grenzt an Realsatire: „Die Zukunft glaubt an uns“, steht da. Für sie hüllten sich junge Leute in gelbe und Magenta-Sweatshirts. Soso. Ob die Zukunft irgendetwas glauben kann? Nach einem Jahr Ampelversagen wäre vor allem die Frage wichtig: Glauben die Wähler noch an die FDP?

Schließlich sieht die Zukunft regelrecht düster aus: Wenn es schon im vergangenen Jahr desaströse Wahlergebnisse in Schleswig-Holstein, NRW, Saarland und Niedersachsen für die Liberalen gab, warum soll es 2023 bei den kommenden Landtagswahlen in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen viel besser werden?

Schlechte Stimmung vor den Halbzeitwahlen

Der Wahlmarathon in vier Bundesländern kommt fast „Midterm-Elections“ zwischen den Bundestagswahlen gleich – inklusive einer Abrechnung nach fast zwei Jahren Ampelregierung im Bund. So drohen auch in diesem Jahr weitere Einschläge durch Wählerquittungen für die Aufgabe klassischer FDP-Antischulden- und Friedenspolitik. Nach dem Saarland und Niedersachsen könnte die FDP auch in Berlin und Bremen aus den Parlamenten fliegen und so vom Wähler in die außerparlamentarische Opposition geschickt werden. Dann wäre die FDP in sechs Landtagen nicht mehr vertreten. Bayern im Herbst wackelt ebenso gewaltig, und selbst der Hochburg Hessen droht ein Schleifen durch die Wähler, wenn die FDP-Führung in der Bundeshauptstadt „weiter so“ macht.

Und wie immer zu Dreikönig, wenn das FDP-Boot in schwerer See voll Wasser läuft und sinkt, lobt die Parteispitze wieder ihre bisherigen Leistungen und verspricht noch etwas zu liefern.

Der einst jüngste FDP-Chef aller Zeiten, Christian Lindner, der am Tag nach Dreikönig nun 44 Jahre alt wird, verbreitet jeglicher FDP-Krise zum Trotz weiter Zuversicht. Nach einem Jahr des Herumampelns will er Deutschland mit Ruhe am Ruder durch die Krise schippern. Auf der Stuttgarter Bühne schimmert dazu auf gelbem Grund in Magenta die holprige Parole: „Bleiben wir Zukunft“.

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Lindner steht in der Mitte und versucht Optimismus auszustrahlen, denn wir seien „nicht Objekte des Schicksals, sondern können unser Leben selbst in die Hand nehmen“. Wer’s glaubt bei immer mehr Freiheitseinschränkungen! Da helfen auch Lindners folgende Freiheitspostulate kaum noch. Dazu klingt es von Klima-Radikalen aus dem Oberrang: „We Shall Overcome!“ Linksgrün will also siegen. Zumindest entgegnet Lindner den Störern schlagfertig: „Klebt Euch fest und nehmt viel Kleber. Denn wenn ihr hier klebt, könnt ihr niemand sonst behindern.“

Lindner mahnt etwas später wortgewaltig: Die These der Verteilung des Wohlstands sei überholt. Stattdessen müsse man wieder für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. „Festkleben war gestern, anpacken ist das Gebot der Stunde.“ Klingt nett, aber Linksgrün und die angeschlossenen Medienanstalten wollen lieber Umverteilen.

Wie immer folgen die üblichen „Aufstiegsversprechen“ an die „Aufstiegswilligen in diesem Land“ sogar dem seit Januar geltenden Bürgergeld zum Trotz. Hinzu kommen die Dauerversprechen von Planungsbeschleunigung für die Infrastruktur, obwohl die Baustellen weiter im Dauerstau stehen.

Lindner fordert obendrein: Die FDP sollte keine Vorschläge machen, die zu denen Grünen passen, sondern die zur Realität passen. Daran wolle man weiter mit „Penetranz“ festhalten. Wie jetzt, war das so seit dem Regierungseintritt?

Lindner bittet um Fortsetzung der Ampel nach 2024

Was versucht die FDP zu liefern? Lindner verspricht heute: Es müsse schwerer werden, in den Asylsozialstaat einzuwandern, aber leichter in den Arbeitsmarkt. Das ist eigentlich eine längst bekannte Notwendigkeit, die bislang immer an Grünen, SPD, Linken und auch der Union scheitert. Und die FDP ist bislang nicht mit einem besonderen Engagement in diesem Sinne aufgefallen.

Zum Schluss seiner Rede bittet Lindner um die Fortsetzung der Ampel nach 2024, was für viele FDP-Wähler sicher wie eine Drohung klingt: Wenn die Koalition von SPD, FDP und Grünen eine Chance auf eine Wiederwahl haben wolle, gelinge das nur, „wenn wir unser Land auf die wirtschaftliche Erfolgsspur zurückführen.“ Dem fügt er fast flehend an, SPD und Grüne müssten demnach ein Interesse daran haben, „dass die FDP das Denken in der Steuerpolitik nicht einstellt.“

Denken kann man viel, Herr Lindner, Handeln und Durchsetzen ist hingegen entscheidend. Davon ist die FDP Lichtjahre entfernt.

Wie immer muss man auch bei Dreikönig genau zu hören und einordnen. Da behauptet FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai aus dem NRW-Sprengel des Parteichefs, Stuttgart sei „eine Kundgebung der Freiheit“. Die FDP bleibe eine „Freiheitsbewegung“.

Berechtigte Zweifel an dieser Behauptung liefert ausgerechnet der Berliner FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja. Der Oppositionspolitiker drückt sich auf offener Bühne davor, die Herkunft der Täter der brutalen Silvesterkrawalle in der Bundeshauptstadt zu nennen. Fast so wie der ARD-Reporter vom RBB in der Tagesschau, nur, dass er nicht dabei stottert. Czaja droht „den Tätern“ zwar mit dem „Knallen der Knasttür“, aber getraut sich nicht zu sagen – es waren vor allem jugendliche Migranten aus dem türkisch-arabischen und nordafrikanischen Raum. Kein Wunder, sein Generalsekretär tut es ja auch nicht. Denn „Liberale schüren keine Vorurteile“, versichert Bijan Djir-Sarai.

Sagen, was ist, gibt es bei der FDP also nicht, sondern wohl nur Angst vor linksgrüner Stigmatisierung. Eine „Freiheitsbewegung“ sähe anders aus.

Zuvor schwärmt FDP-Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die bislang kaum ein Bürger kennt, in Stuttgart plötzlich von der Kernfusion. Davon hat man zuvor aus der FDP-Spitze so gut wie nichts gehört, der waren Windräder wichtiger. Dabei steht in Greifswald der einmalige Forschungsreaktor Stellarator „Wendelstein 7-X“ mit kalter Kernfusion, den Stark-Watzinger in ihrer Rede nicht hervorhebt, aber schon mal besucht hat.

Und natürlich wollen die FDP-Granden alles tun für einen „Sieg der Ukraine“ über Russland.

Den früheren FDP-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen Gerhard Papke hingegen wundert das alles nicht mehr: „Die FDP hat sich in der Ampel zu einem leichtgewichtigen Mehrheitsbeschaffer für linksgrüne Politik degradieren lassen. Wenn sie sich nicht schleunigst ihrer bürgerlich-freiheitlichen Traditionen besinnt, wird sie untergehen!“ Mehr noch: „Wohl keine Bundesregierung zuvor hat die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität derart penetrant ignoriert wie die Ampel. Das lässt gerade die FDP-Wähler tief enttäuscht zurück.“

Die Angst geht bei Spitzenkandidaten in den Ländern um

Bei den Spitzenkandidaten in den Wahlländern geht derweil die schiere Angst um. Kurz vor dem Dreikönigstreffen haben sie ihre Partei zur Abgrenzung und Durchsetzungskraft in der Ampelkoalition aufgerufen. Wohlgemerkt: Nach einem Jahr Mitmachen in der rot-grün geprägten Ampelregierung. „Damit die FDP 2023 zurück auf die Erfolgspur findet, muss sie ihr Profil schärfen“: Solche Floskeln notieren Bayerns FDP-Chef Martin Hagen und der hessische FDP-Spitzenkandidat Stefan Naas in einem gemeinsamen Positionspapier, die sie dann „FDP pur“ Positionen nennen. Darin fordern sie, wie inzwischen teilweise auch ihr Parteichef Lindner, unter anderem eine weitere Verlängerung der Atomlaufzeiten und obendrein eine Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die „Rückkehr zur Schuldenbremse“ und die Asyleinwanderung „besser steuern“. Fast alles lehnen SPD und Grüne jedoch ab. Sie lassen lieber den Schuldenberg auf Kosten des FDP-Finanzministers wachsen.

Zudem hat FDP-Chef Lindner höchstselbst wie üblich vor Dreikönigstreffen seiner Partei erneut für einen Weiterbetrieb der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland geworben. Er sei weiterhin der Überzeugung, „dass wir in Krisenzeiten übergangsweise Kernenergie weiter nutzen sollten.“ Er wünsche sich, „dass mehr ginge“ als nur noch bis April 2023. Wünschen kann man sich viel, durchsetzen muss man es!

Den Bau oder die Planung neuer Kernkraftwerke wie rund um Deutschland in Polen, Schweden, Niederlanden, Frankreich oder Tschechien wagen selbst die FDP-Spitzen aus Bayern und Hessen nicht zu fordern. Hier könnten sie mal etwas mehr Mut als ihr bald 44-jähriger Chef beweisen. Dennoch hoffen die beiden in ihrem Papier: „2023 muss die Trendwende für die Freien Demokraten bringen.“ Ist das schon wieder Realsatire?

Der vernunftbegabte FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke hingegen weiß Bescheid: Er glaubt, dass sich viele liberale Anhänger in der Ampelpolitik nicht mehr wiederfinden. Das spiegelten auch die dürftigen Umfragen auf Bundesebene wider. Im Schnitt kommt die FDP bei den Instituten laut Wahltrend von election.de nur noch auf mickrige 6,8 Prozent. Sie hat sich seit der Bundestagwahl mit 11,5 Prozent somit fast halbiert. Die FDP leide förmlich an der Ampel mit Sozialdemokraten und Grünen, beklagt Rülke. Denn: „Es gibt eine kulturelle Fremdheit.“ Im Land, wo die FDP in der Opposition sei, stünden die Liberalen deutlich besser da.

Die Entschärfung der berechtigten Kritik kommt prompt. Baden-Württembergs FDP-Landeschef Michael Theurer, der auch als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium mitregiert, warb dagegen um Verständnis. Die Liberalen hätten in der Ampel eben Verantwortung übernommen. Die schlechten Umfragewerte seien für ihn Ansporn, noch besser zu erklären, was die liberale Handschrift in der Ampel sei.

Das ist das übliche Pfeifen im Walde, wenn man Kurs und Kompass völlig verloren hat.

Für den Wähler ist völlig klar, die FDP ist gespalten. Die Regierenden sind abgehoben von der Realität, wie sie Bürger und Betriebe gegenwärtig erleiden und erleben. Die Oppositionellen haben noch Kontakt zur Basis. Doch das reicht nicht für einen Aufschwung zum politischen Überleben und für eine glaubwürdige Antwort auf die Frage der verbliebenen Wähler: Wofür brauche ich noch die FDP, wenn Grün-Rot die Politik diktiert? Bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 jedenfalls endete das Umfallen der FDP in einer Bundesregierung mit dem Rauswurf aus dem Bundestag.

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