Das waren noch Zeiten: Die FDP präsentierte auf ihren Parteitagen und im Wahlkampf 2002 eine „Steuerwehr“ mit einem Magirus-Deutz in Blau und Gelb. Da traten die Liberalen noch kämpferisch als Steuersenkungspartei für Bürger und Mittelstand auf. Spätestens 2019 hat sich die FDP vom Credo der Steuersenker getrennt, zumindest materiell. Im Januar vor gut drei Jahren war das historische Löschgruppenfahrzeug LF 16 aus den 1960er-Jahren mit gelbem Fahrerhaus und blauem Kastenaufbau unter Ebay-Kleinanzeigen zu finden. Ade Wahlkampf-Mobil mit dem die FDP einst für „ein niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem“ warb.
Selbst der Krieg in der Ukraine und die nun offensichtliche Abhängigkeit von russischem Öl, Gas und Kohle mit der Folge von explodierenden Energiepreisen zuerst an den Tankstellen und den Haushalten mit Gasanschluss, bewegen die frühere Steuersenkungspartei von Bundesfinanzminister Christian Lindner offensichtlich vorerst nicht. Über einen halben Euro ist der Sprit seit Jahresbeginn an den Tankstellen explosionsartig gestiegen. Diesel ist erstmals teurer als Benzin. Der Weg zur Arbeit auf dem Land und in die Stadt wird für viele Menschen zur Existenzfrage – genauso wie für Handwerker, Spediteure, kleine und mittlere Unternehmen.
Transportfirmen legen bereits Teile ihrer Flotte still. Lieferketten für Industrie und Handel sind gefährdet, leere Regale und massive Firmenpleiten drohen. „Wir sind schockiert und verärgert, dass die Regierung nichts unternimmt“, klagt Dirk Engelhardt, Vorstandsprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), zu Recht.
Offensichtlich konnten diese Aussichten den freidemokratischen Bundeskassenwart und seinen grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bislang nicht erschüttern. Mantra-artig verkündet Lindner: Es werde keine Steuersenkungen für Benzin und Diesel geben. „Wenn die Union eine so genannte Spritpreisbremse fordert, dann muss sie sagen, was sie im Haushalt kürzen will“, weigert sich Lindner seit Tagen.
Schon am 23. Februar hatte der frühere Bundesminister Peter Ramsauer (CSU) in Tichys Einblick gefordert. „Wir müssen jetzt die Mehrwertsteuern bei Energie und Sprit von 19 auf sieben Prozent senken wie bei Lebensmitteln. Denn Energie ist der Brotpreis der 21. Jahrhunderts.“
Doch Lindner ließ lieber die Preise weiter zulasten der Bürger steigen. Obwohl er als Finanzminister wissen müsste, dass Energieträger wie Sprit, Öl und Gas zu den ertragreichsten verbrauchsteuerpflichtigen Waren gehören. Die heutige Energiesteuer und frühere Mineralölsteuer beträgt bei einem Liter Kraftstoff immerhin rund 65 Cent für Benzin und 47 Cent für Diesel. Den höchsten Beitrag zum Energiesteueraufkommen leisten die Kraftfahrer. Allein 2020 wurde Benzin mit 14,9 Milliarden Euro und Diesel mit 19,6 Milliarden Euro versteuert. Der Absatz von Heizöl brachte dem Bund im Jahr 2020 einen Steuerbetrag von 1,3 Milliarden Euro ein. Das addiert sich insgesamt auf 35,8 Milliarden Euro.
Niemand hat die Absicht, die Mehrwertsteuer für Sprit zu senken
„Ich bin nicht dafür, dass wir für die gegenwärtig gestiegenen Spritpreise gewissermaßen bei unseren Enkeln einen Kredit nehmen“, argumentiert der FDP-Finanzminister noch dieser Tage scheinheilig mit neuer Verschuldung gegen Spritsteuersenkungen. Ja, es ist scheinheilig: Schließlich hat er praktisch über Nacht zusammen mit seinem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 100 Milliarden Euro Schulden für die Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen, sogar weitgehend, ohne die Regierungspartner von den Grünen einzubeziehen.
Das Schuldenargument für Spritsteuersenkungen taugt hier nur als politische Lüge. Denn die Staatskassen füllen sich durch die 19 Prozent Mehrwertsteuer auf den explodierenden Sprit- und Energiepreisen gewaltig. Das kann sich jeder hart arbeitende Steuerzahler selber ausrechnen: Allein die aktuelle Spritpreiserhöhung durch die Ölkonzerne angeblich wegen des Ukraine-Krieges in Höhe von 50 Cent spült Lindner 9,5 Cent je Liter zusätzlich in seine Staatskasse. Mit einer Tankfüllung von 50 Litern zahlen Berufspendler, Handwerker und LKW-Fahrer – viele fahren als Kleinunternehmer mit eigenen Schleppern und Lastern für größere Spediteure – so 4,75 Euro zusätzlich an der Zapfsäule Steuern.
Statt Spritsteuern senken, ein Bürokratiemonster schaffen
Der Unmut über die spekulativen und exorbitanten Spritpreise in der Bevölkerung wächst. Super-Benzin E5 und Diesel kosten an vielen Tankstellen schon über 2,30 Euro pro Liter. Die Union wacht aus ihrem Oppositionsschlaf auf, wischt ihre Mittäterschaft an den hohen Energiepreisen beiseite und fordert immer lauter Spritsteuersenkungen. Seit diesem Montag nun fängt Bundesfinanzminister Lindner an zurückzurudern. Scheinbar sind die täglichen Leiden der Bürger unter immer höheren Spritpreisen selbst bei Bundesministern in ihren Staatslimousinen angekommen. Schließlich lassen sie tanken und kennen wie Bundeskanzler Scholz nicht einmal den tagesaktuellen Benzinpreis.
Plötzlich will auch Kassenwart Lindner Tanken – jetzt doch – „endlich wieder günstiger machen“. Über diese Nachricht lässt er zumindest Bild als erstes Medium jubeln. Lindner plane einen satten Tankrabatt für Auto- und Brummifahrer. Sein Ziel sei: Der Spritpreis soll unter zwei Euro fallen.
Doch typisch für die Politik: Der FDP-Finanzminister mag partout nicht sein Gesicht verlieren. Anstatt wie Polen oder die Niederlande mit schnellen und einfachen Steuersenkungen die Bürger zu entlasten, denkt er sich ein bürokratisches Monster aus, das Tankstellen, Kraftfahrer und Unternehmen noch verfluchen werden. Ausgerechnet der FDP-Chef, der im Wahlkampf die Entbürokratisierung des Staates versprochen hat. Hier noch einmal zur Erinnerung: Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm Steuerentlastungen für Unternehmen und alle Bürger – auch für die Bezieher hoher Einkommen, eine Modernisierung der Altersvorsorge, eine Entbürokratisierung, einen Schub bei der Digitalisierung und eine Reform des Staates. „Unser Staatswesen ist leider ein Sanierungsfall geworden“, stellte Lindner noch vor einem halben Jahr fest.
Bundeskassenwart Lindner bestätigt inzwischen höchst selbst, einen Tankrabatt für Autofahrer zu planen. Dafür könnten Mittel aus dem Haushalt bereitgestellt werden, sagte er in Berlin. An der Zapfsäule bleibe der Preis stehen, wie er jetzt sei, der Rabatt werde dann auf der Tankrechnung ausgewiesen. Für eine Steuersenkung sei erst eine Gesetzesänderung nötig, verteidigt Lindner seine Idee. Ein Rabatt um zehn Cent pro Liter Diesel und Benzin würde den Staat pro Monat 550 Millionen Euro kosten. „Es wird, wenn es nach mir geht, mehr als zehn Cent und mehr als ein Monat sein müssen“, meint Lindner. Mehr als ein Monat – wie großzügig. Mehr als zehn Cent, das weiß schon die Bild. Angeblich soll diese Woche noch eine Entscheidung über bürokratischen Tankrabatt fallen.
Und nicht 550 Millionen, sondern ein paar Milliarden Euro hat sich der Staat offensichtlich schon längst durch die seit Januar rollende Verteuerungswelle an den Zapfsäulen von den Kraftfahrern über die 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Sprit geholt. Der Bund der Steuerzahler schätzt schon jetzt, dass der Staat durch diese Preisexplosion „zusätzliche Milliarden von den Verbrauchern“ einnimmt.
Dessen Präsident Reiner Holznagel mahnt daher, Lindners Tankrabattpläne wirkten nur kurzfristig, „um die Spritpreise fürs Erste zu stützen“. Das reiche aber nicht: „Deshalb fordern wir, die Mehrwertsteuer auf Energie von 19 auf 7 Prozent zu senken – schließlich ist Energie ein lebensnotwendiges Gut! Darüber hinaus muss die Mineralölsteuer auf Treibstoff runter!“
Allein die Mehrwertsteuersenkung auf Sprit würde die Kraftfahrer dauerhaft um gut 20 Cent pro Liter an den Zapfsäulen entlasten, hat der Bund der Steuerzahler ausgerechnet. Doch für den Bundesfinanzminister gilt die alte Politikdevise, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Deswegen setzt der unter Druck geratene Lindner lieber auf ein bürokratisches Rabattmonster an den Tankstellen.
Abschließend erinnern wir uns im stillen Gedenken an bessere FDP-Zeiten mit vernünftigen Forderungen vieler Politiker bei den Freidemokraten, dass man selbst in Wirtschaftskrisen Steuern senken müsse. Doch jetzt, wo der FDP-Chef gleichzeitig auch noch als Bundesfinanzminister Deutschland regiert, lösen sich solche Ansichten ganz schnell in Schall und Rauch auf.