Tichys Einblick
35 Jahre 9. Oktober in Leipzig

Der Herbst 1989 wird von Rotgrün gekapert

Eine mit linker Mehrheit und SPD-Oberbürgermeister regierte Stadt deutet die Demonstrationen für Demokratie und Freiheit der friedlichen Revolution nach ihrem Sinne um. Andersdenken ist rechts und Demokratie nur von links gut. Die Mitläufer auf Leipzigs Stadtring von heute sind nicht die mutigen Leute von einst

picture alliance/dpa | Sebastian Kahnert

Von der einstigen Heldenstadt des 9. Oktober 1989, wo erstmals 70.000 DDR-Bürger auf den Leipziger Straßen des Innenstadtrings laut riefen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“, ist nicht mehr viel geblieben. Am Abend des 35. Jahrestages der friedlichen Revolution in Leipzig versammelten sich ein paar tausend Menschen, die der Kolumnist von Tichys Einblick damals sehr wahrscheinlich nicht angetroffen hätte. Denn er war bei den gefährlichen Protesten in Ost-Berlin am 7. Oktober und in Leipzig am 9. Oktober als Demonstrant hautnah dabei.

Was sich beim Lichtfest am Donnerstagabend auf dem Leipziger Augustusplatz traf, waren eher „Sehr-Gut-Menschen“, wie sie der Dresdner Kabarettist Uwe Steimle treffend bezeichnet. Sie applaudieren heute wie damals den Repräsentanten der Parteien- und Staatsführungen. Linksgrüne Studenten oft aus dem Westen, Abgesicherte im öffentlichen Dienst, ausländische Touristen oder Bürgertum aus den Wohngebieten „schöner Wohnen, grün wählen“ fern ab vom arabischen „Klein Bagdad“ in der Leipziger Eisenbahnstraße mit seiner Waffenverbotszone.

Diese „Sehr-Gut-Menschen“ hegen keine Zweifel wie wir 1989 und wollen weder eine düstere Zukunft noch schlechtes Regieren erkennen. Sie sehen sich immer noch frei und nicht wie wir 1989 unfrei. So kann man sich täuschen, wenn man das Coronaregime, das Heizungsgesetz, Genderpolitik, Anzeigenportale für missliebige Meinungen, neue geheimdienstliche Überwachungen oder die unsichere wie irrsinnige Energie- und Wirtschaftspolitik einfach vergisst oder ausblendet.
Sie stehen lieber an der Seite der Staatsmacht und glauben ihren Versprechen – egal ob eine CDU-Kanzlerin Dr. Angela Dorothea Merkel oder ein SPD-Kanzler Olaf Scholz ziemlich freiheitsfeindlich gegen Andersdenken und Anderswählen in Deutschland regiert.

Was will man schon anderes von einer seit Jahren linksgrün durch Grüne, Linke, SPD und jetzt BSW regierte Großstadt mit einem SPD-Oberbürgermeister aus dem Westen erwarten.

Burkhard Jung, der evangelische Lehrer aus Siegburg in Nordrhein-Westfalen herrscht mit linksgrüner Mehrheit seit 2006 über die größte Stadt Sachsens. Er ist zudem Oberbürgermeister einer dreckigsten und durch Linksextreme beschmiertesten Städte Deutschlands. Unter seiner Ägide hat sich Leipzig als Bundeshauptstadt der militanten Linksextremisten einen Namen gemacht – natürlich nicht bei den selbst ernannten Qualitätsmedien, die über den Straßenkrieg der Leipziger Antifa gegen Polizeistationen, Bauunternehmen, DB- und Postfahrzeuge bundesweit nicht berichten. Doch daran denkt das Publikum an diesem Abend nicht, wenn es auf dem Weg zum Fest an aufgesprühten Antifa-Symbolen an Hauswänden vorbeischreitet.

Nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche mit Oberbürgermeister Jung und Bundeskanzler Scholz (beide SPD) eröffnen die Regierenden dann am Abend das Lichfest auf dem Augustusplatz vor der Leipziger Oper. Geschützt durch Absperrgitter, Taschenkontrollen und ein Spalier von Polizisten vor dem Portal des Opernhauses.

Der OB spricht wie üblich von einer weltoffenen Stadt Leipzig ohne Ausgrenzung aber mit viel Vielfalt, die in seiner linksgrünen Metropole natürlich nicht für Andersdenkende oder die Alternative für Deutschland gilt. Da grenzt Jung bei seinen Auftritten ganz schnell Meinungsvielfalt aus.

Bundeskanzler Olaf Scholz schließlich drückt heute auf der Bühne seine Bewunderung für den Mut der ostdeutschen Bevölkerung 1989 aus. Die friedliche Revolution habe Deutschland und die Welt verändert. Und sie habe ein Erbe: „Für die Freiheit, für die Demokratie, für das Recht, so zu leben wie man möchte, lohnt es sich immer zu kämpfen“, betont Scholz vor der Oper. An die Demonstranten von einst, zu denen am 9. Oktober auch der Autor gehörte, wendet sich Scholz mit den Worten: „Sie haben die Welt verändert, danke für ihren Mut.“ Nicht dafür, Herr Scholz.

Denn dieses Verständnis war bei Ihnen nicht immer so präsent. In der BRD pflegte Scholz lieber Kontakte mit der SED-Diktatur. Er war dort ein gern gesehener Gast. Im September 1987 reist der Hamburger in die DDR, um an einer Manifestation der Jugend in Wittenberg teilzunehmen – also an einer sozialistischen Propaganda-Veranstaltung der SED-Nachwuchsorganisation Freie Deutschen Jugend (FDJ) gegen den Westen. Denn die Jusos von Scholz und Co. galten den SED-Herrschern als „verlässliche Partner im Friedenskampf“ – gegen den US-Imperialismus mit seinem „Militär-Industrie-Komplex“ versteht sich. Die Unterdrückung der DDR-Bürger ließ die Jusos wohl kalt. Schließlich arbeiteten die Sozis damals an gemeinsamen SPD-SED-Papieren.

Auf dem Leipziger Lichtfest herrscht das große Vergessen

Da stehen sie nun da oben die Spezialdemokraten, die heute das Ende des SED-Regimes durch die friedliche Revolution würdigen, obwohl Super-Jusos wie Olaf Scholz, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine oder Heidemarie Wieczorek-Zeul mit dem DDR-System problemlos fraternisierten. Zweistaatlichkeit und ewige Spaltung statt Wiedervereinigung und deutsche Einheit war ihr Programm.

Kaum einer auf dem Leipziger Augustusplatz erinnert sich am Abend des 35. Jahrestages des 9. Oktober mehr daran. Im Gegenteil, sie bekommen noch Applaus.

Genauso wie Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer von der CDU, der ähnliche politische Plattitüden vorträgt, dafür aber kürzer spricht. Er passt zur Riege der Sozialdemokraten auf dem Portal. Schließlich will Kretschmer mit seiner CDU noch linkere Regierungsbündnisse im eigentlich konservativen Freistaat schmieden – diesmal statt mit Rot-Grün nun wohl mit SPD und äußerst linkem BSW, nur um die AfD mit einer Brandmauer im 35. Jahr des Mauerfalls auszugrenzen.

Sind mutige Bürger seinerzeit am 9. Oktober 1989 auf die Straße gegangen, damit in einer Demokratie Parteien zusammenregieren, die überhaupt nicht zusammengehören? Diese Frage stellt sich kaum einer im anwesenden Eventpublikum.

Nach den Regierenden darf noch eine ausgesuchte Leipziger Zeitzeugin Elke Urban, einst vom Neuen Forum, als frühere Leiterin des Schulmuseums neben Bundeskanzler und Oberbürgermeister (beide SPD) mahnen:
„Wer in der Demokratie einschläft, wacht in der Diktatur auf.“

Wen sie damit wohl meint? Bestimmt nicht das grüne Reich.
Als früheres Mitglied des Neuen Forums wirbt sie auch noch für mehr Waffen an die Ukraine, um weiter Krieg zu führen. Frei nach dem Motto: Frieden schaffen mit schweren Waffen. Wen wundert’s, auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ist beim Festakt des Leipziger Lichtfests zu Gast. Dabei war das Neue Forum einmal mit dem Vorsatz angetreten: Frieden schaffen, ohne Waffen oder Schwerter zu Pflugscharen.

Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die Symbolfigur des Neuen Forums 1989, ahnte es zwei Jahre später, dass man die Methoden der Unterdrückung „ein wenig adaptieren“ wird, „damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen“.

Mehr noch: „Die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“

All das haben die heute auf der Bühne Stehenden vergessen, wollen es nicht wissen oder sind Teil einer neuen Form der Unterdrückung von Andersdenkenden. Auch das Leipziger Publikum hegt keine Zweifel. Applaus statt kritischer Rufe schallt den Regierenden entgegen. Vom wachen Geist der mutigen Demonstranten der friedlichen Revolution vom Oktober 1989 ist bei den Anwesenden nicht mehr viel zu spüren. Hier hat sich eher eine woke spätrömische Dekadenz versammelt, die mit dem schleichenden Niedergang von Wirtschaft und Gesellschaft zufrieden ist.

Der TE-Autor berichtet Kabarettist Uwe Steimle live von den prominenten Reden auf der Bühne und vom applaudierenden Publikum des Lichtfests in Leipzig. Steimle fiel dazu nur süffisant ein: „Wir Ossis sind nicht nachtragend, aber wir vergessen auch nichts. Wir wissen, wie es ist zu scheitern, und das steht Euch im Westen noch bevor.“

Jetzt werden auch noch Erinnerung an 1989 transformiert

Bezeichnend war auch eine Station beim Lichtfest, die sich „Erinnerung transformieren“ nannte. Transformieren oder Transformation sind grüne, freiheitsfeindliche Begriffe, die Menschen wie Dinge für ihre Ideologie „transformieren“ wollen.

Genau dagegen sind jedoch die DDR-Bürger vor 35 Jahren auf die Straße gegangen. Jetzt will Linksgrün auch noch deren Erinnerungen umformatieren und kapern.

Steimle spießt das gegenüber Tichys Einblick satirisch auf: „Wer heute Erinnerung transformieren will, der wusste anscheinend schon 1989, das ‚unsere Demokratie‘ nichts anderes ist als die Fortführung der SED-Diktatur mit denselben Mitteln.“

Der Altlinke Steimle erinnert sich anders als die heutigen Transformatoren: „Wir gingen auf die Straße für einen demokratischen Sozialismus. Die heutigen Ökosozialisten wollen die freie Marktwirtschaft umwandeln in ein Grünes Reich.“
Deswegen hielten Habeck und Co. durch. Denn: „Wir können noch nicht zurücktreten, wir haben unsere Ziele noch nicht erreicht“, drohten sie, meint der Künstler.

Viele andere wie der Autor demonstrierten im Herbst 1989 nicht für einen demokratischen Sozialismus, sie wollten eine freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft. Doch auch sie sind, wie viele von der ideologischen Gegenwart nach 35 Jahren enttäuscht wie das linksgrün geprägte Leipziger Lichtfest beweist.

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