Tichys Einblick
FDP nach Europawahl

Den Niedergang nur etwas gebremst

Die EU-Spitzenkandidatin der Liberalen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat eine Wähler-Quittung bei der Wahl am Sonntag vor allem im Osten bekommen und Parteichef Christian Lindner für seine Ampel-Politik. Doch die zehnte Niederlage wird von den Liberalen als erfolgreiche Stabilisierung verkauft, dabei verlieren sie auch noch bei den Kommunalwahlen.

picture alliance/dpa | Carsten Koall

Die FDP in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf – auch bei der Europawahl: Es ist die zehnte Wahlniederlage für die Liberalen seit der Bundestagswahl im Herbst 2021. Es reicht nur noch für 5,2 Prozent, wenn man mit SPD und Grünen im Bund regiert. Vor fünf Jahren waren es noch 5,4 Prozent. 2013 sind die Freidemokraten mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag geflogen. Heute haben sie für Europa ihr Bundestagswahlergebnis von 11,4 Prozent mehr als halbiert.

Obendrein ist die FDP praktisch aus dem Stand vom Bündnis Sahra Wagenknecht mit über sechs Prozent überholt worden, und in Ostdeutschland inklusive Berlin auf nur noch drei Prozent gesunken. Verantwortlich dafür ist die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann aus Nordrhein-Westfalen. Sie wirbt als Verteidigungspolitikerin für Krieg statt Frieden. Doch das erneute FDP-Minus verkauft sie als Erfolg, den Abwärtstrend gestoppt und wenigstens das Ergebnis fast gehalten zu haben. So grau und finster, wie sie in ihrer Plakatkampagne auf die Menschen oben von den Laternen herabblickt, sind auch ihre Umgangsformen mit Andersdenkenden. Später dazu noch mehr.

Aber zunächst muss sich für die zehnte Niederlage in seiner Ampel-Regierungszeit vor allem FDP-Chef Christian Lindner verantworten. Denn die Ampelparteien haben insgesamt deutlich verloren. Allerdings sehen sich seine Liberalen – wegen geringerer Verluste als befürchtet – geradezu stabilisiert. Obwohl bei den zusätzlichen acht Kommunalwahlen am Sonntag in Brandenburg, Baden-Württemberg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt noch weitere Verluste und Niederlagen folgen.

Vielleicht haben ja die wohlfeilen Versprechen mehrtägig in der Woche vor dem EU-Votum via Bild („Lindners Steuern-Runter-Plan“), von dem nach den Wahlen wohl nicht allzu viel übrig bleibt, etwas gewirkt.

Überholt vom BSW und im Osten fast nur drei Prozent

Spitzenkandidatin Strack-Zimmermann freut sich jedenfalls trotz leichter Verluste am Wahlabend auf der Berliner Party: „In dieser Partei zu sein, ist echt eine Herausforderung. Wir haben ein Ergebnis gehalten, das ist eine große Freude.“ Selbstverständlich dankt sie dann noch ihrem Vorsitzenden Lindner. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai lächelt dazu auf der Bühne im Hintergrund, als ob er eine Wahl gewonnen hätte. Für ihn sei es „in der Tat ein sehr gutes Ergebnis“.

Nur zur Erinnerung: In Ostdeutschland steht die FDP nur noch bei fast drei Prozent Auch hat die FDP laut Infratest-Wählerwanderung bundesweit über 1,1 Millionen Wähler an die Union und fast eine halbe Million an die Alternative für Deutschland verloren.

Dennoch glauben die FDP-Granden wohl ihren Absturz gestoppt zu haben. Nur der Glaube daran sieht bei den Kommunalwahlen vor allem im Osten ganz anders aus.

Die Euphorie der Parteispitze bremst der frühere FDP-Fraktionsvorsitzende in Nordrhein-Westfalen Gerhard Papke im Gespräch mit Tichys Einblick deutlich aus: „Frau Strack-Zimmermann wurde von vielen Wählern als eine Art wandelnde Kriegserklärung wahrgenommen. Damit gewinnt man keine Sympathien.“ Damit nicht genug: „Denn die FDP-Verluste fügen sich auch ein in die Kette verheerender Wahlniederlagen, seit sie Teil der Ampel ist“, kritisiert Papke. Schließlich würden nicht nur Grüne und SPD verlieren. „Wenn die FDP beide an der Macht hält, geht sie unter.“

Holger Zastrow, der frühere FDP-Bundesvize, trat mit seinem Team Zastrow/Bündnis Sachsen 24 bei der Dresdner Stadtratswahl an und holte aus dem Stand 8,1 Prozent. Er analysierte im Gespräch mit Tichys Einblick: Die Verluste der FDP bei der EU-Wahl seien trotz aller Beschönigungen „ein schwaches Ergebnis, und es ist peinlich, wenn man in der Partei eine Niederlage in einen Sieg umdeuten will.“ Zastrow erklärt die Realität: „Das Einzige, was sich stabilisiert, ist der Niedergang, der sich durch den Verbleib in der Ampel fortsetzt.“ Vor allem das schlechte Europa-Wahlergebnis im Osten mit nur noch drei Prozent werde für die FDP bei den anstehenden drei Landtagswahlen im Herbst verheerend wirken.

Kleine Denkzettelwahl für die FDP – was folgt daraus?

Wird der erneute, wenn auch kleinere Denkzettel bei den Wahlen am Sonntag beim FDP-Chef etwas bewirken? Schließlich ist die Ampel mit einem Minus von zusammen über zehn Prozent praktisch abgewählt worden. Gibt es bei Lindner und Co. einen radikalen Kurswechsel oder gar einen verspäteten Koalitionsausstieg – „Ampel ade“?

Wegen der geringen FDP-Verluste wohl kaum, denn es geht mit den schwer angeschlagenen Koalitionspartnern SPD und Grünen trotz deren großer Verluste bestimmt weiter so bis zur Bundestagswahl. Obwohl der einst hoffnungsvoll gestartete jüngste FDP-Bundesvorsitzende aller Zeiten in seinem elften Amtsjahr eine Schlappe nach der anderen einstecken muss. Sage und schreibe zehn Wahlen und womöglich weitere bei den noch auszuzählenden Kommunalwahlen in acht Ländern hat er mit seinem Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nach der Bundestagswahl 2021 wegen seines höchst umstrittenen Ampelbündnis mit SPD und Grünen verloren.

Kein Wunder: Schließlich hat Lindner, inzwischen als Bundesfinanzminister und „Herr der Schulden“ bekannt, sein Mantra – „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ – eiskalt umgekehrt in: Lieber schlecht regieren, als nicht regieren.

Die Quittung für die verheerende FDP-Politik sind die verlorene Europawahl, weitere Kommunalwahlen und acht Landtagswahlen seit dem Eintritt in die unsägliche Ampelregierung. Aber drei Wahlniederlagen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen kommen dieses Jahr sicher noch hinzu.

FDP-Funktionäre fragen sich derweil, wenn schon der Vorsitzende bleibt, wieviel Wahlen darf eigentlich sein Generalsekretär noch verlieren? Andere mussten schon wegen Kleinigkeiten oder Antipathien gehen – wie Ex-Generalin Linda Teuteberg 2020.

Dafür sitzt die umstrittene Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, in FDP-Kreisen besser bekannt und berüchtigt als MASZ, sicher im EU-Parlament.

FDP in Prozent bei Europawahlen
Wahltag Ergebnis/Mandate
12.06.1994 4,1 %     /       0
13.06.1999 3,0 %     /       0
13.06.2004 6,1 %     /       7
07.06.2009 11,0 %  /      12
25.05.2014 3,4 %   /          3
25.05.2019 5,4 %   /          5
09.06.2024 5,2 %    /        5

Knapp fünf Prozent hat Strack-Zimmermanns Werben für den Krieg und Waffenexporte gebracht. Verhandeln und Arbeiten für Frieden kommen Falken wie MASZ nicht mehr in den Sinn. Weltdiplomat Hans-Dietrich Genscher würde sich für diese Kandidatin schämen. Genschman hätte die Kriegsbefürworterin als FDP-Chef erst gar nicht aufstellen lassen. Doch für dieses Personal muss sich Parteichef Lindner verantworten – für eine FDP-Spitzenkandidatin mit charakterlichen Defiziten.

Strack-Zimmermann trat im Aachener Karneval als Vampir auf, und irgendwie passte es. Denn bissig ist sie gern gegen andere: Ihren politischen Mitbewerber CDU-Chef Friedrich Merz stigmatisiert sie als „Flugzwerg“ und „alten weißen Mann“. Ihren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stempelt sie obendrein noch als Autisten ab: „Nach drei Jahren stelle ich fest, dass er geradezu autistische Züge hat, sowohl was seine sozialen Kontakte in die Politik betrifft als auch sein Unvermögen, den Bürgern sein Handeln zu erklären.“

Damit nicht genug: Ein schlimmes Beispiel für den Verlust von letztem liberalem Anstand lieferte die Aufrüstungspolitikerin und FDP-Spitzenkandidatin für die Europa-Wahl gleich zu Jahresbeginn in dem sie AfD-Wähler als Mistfliegen bezeichnete: „Je größer der Haufen Scheiße, umso mehr Fliegen sitzen drauf.“ Ein ungeheuerlicher wie antidemokratischer Ausfall.

Eine Entschuldigung für ihre zahlreichen Entgleisungen ist für MASZ ein Fremdwort. Bei ihr reicht es bestenfalls für ein Bedauern wie beim Autisten-Vorwurf gegen Scholz, dass sie mit ihren Worten über das Ziel hinausgeschossen sei.

Sehr empfindlich ist Strack-Zimmermann dagegen, wenn es gegen sie selbst geht. Sie ist als Politikerin dafür bekannt, 250 Anzeigen im Monat wegen vermeintlicher „Hetze“ zu erstatten.

MASZ – ein ergrautes Sturmgeschütz der FDP

Obendrein fördert Strack-Zimmermann, das 66-jährige ergraute Sturmgeschütz der FDP, ihr Kriegsimage nebenbei noch in Eigenregie. Selbst der eher rotgrün-nahe Sender n-tv berichtete über einen verstörenden MASZ-Auftritt unter der Überschrift „Politikerin trägt Kriegsbotschaft auf einem T-Shirt“. FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann trage ihre Botschaft für Taurus-Lieferungen an die Ukraine auf ihrem Hemd während der Münchner Sicherheitskonferenz am 23. Februar regelrecht spazieren. Darauf strahle ein Comic-Stierkopf (Mino-taurus), dem Wutwolken aus den Nüstern schießen, knallblau auf knallgelb – und knallen solle es ja auch, am besten hinter der Frontlinie dank Strack-Zimmermanns T-Shirt-Slogan: „Taurus für die Ukraine – zusammen bis zum Sieg“. Bis zum Sieg, fällt Ihnen liebe Leser da nicht noch etwas anderes ein?

Selbst die linke taz, ansonsten gerne voll des Lobes für die Anti-Putin-Frau, beschreibt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag als „Panzertante mit Haarhelm“.

Keine Sympathieträgerin

Überhaupt ist die FDP in der Frage Krieg und Frieden völlig aus dem Ruder gelaufen, weil sie der Diplomatie, die einstige liberale Stärke, keine Chance mehr gibt. Denn ginge es nach FDP-Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, sollen Lehrer ihre Schüler künftig auf den Kriegsfall vorbereiten. „Die Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten – von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg“, so die FDP-Bildungsministerin in diesem Frühjahr.

Mit Stark-Watzingers Vorschlag hat sich Genschers Rest-FDP, sie steht inzwischen für „Fast Drei Prozent“, nun wohl endgültig auf den Kriegspfad begeben und die früher erfolgreiche Diplomatie mit Wandel durch Annäherung komplett abgehakt.

MASZ hat nicht nur für ordinäre Verbalattacken gegen Freund und Feind gesorgt, sie hat auch in ihrem Amt versagt. Aus dem Verteidigungsausschuss sind Geheimnisse zum Taurus-System verraten worden. Schuld daran war die Nachlässigkeit der Vorsitzenden, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Mit solchen Personalausfällen, die jetzt weiter im Europaparlament für 10.075,18 Euro und einer Pauschale von 4.950 Euro pro Monat, abgesichert durch die hart arbeitenden Steuerzahler, sitzen dürfen, kann die FDP nur weiter verlieren.

Doch dafür trägt der Parteivorsitzende Lindner die Verantwortung. Denn der Niedergang bei den Wahlen war nach dem Eintritt in eine linke Regierung programmiert. Lindner und sein Chefideologe Marco Buschmann stellten ihre Partei für die Ampel mit SPD und Grünen bereit: Keine Kernkraftwerke mehr, bald keine Kohleverstromung, Gaskraftwerke ohne Putin-Gas, irgendwann hochexplosiver Wasserstoff in Erdgasleitungsnetze, künftig keine modernen Benzin- und Dieselautos mehr und gerne schon ab 2024 keine Öl- und Gasheizungen. Hohe Inflationsraten, steigende Grundsteuern, exorbitante Preise als neuer Dauerzustand und unbegrenzte Asyleinwanderung in die Sozialsysteme machen Verarmung der Bürger zum Programm.

Die staatliche Planwirtschaft der Ampelregierung in der Energie- und Wirtschaftspolitik übertrifft jeden Fünf-Jahres-Plan des Sozialismus. Geplant wird bis 2035 und mehr. Und die Freidemokraten, früher gerne gegen staatliche Zwänge, sind heute stets dabei als Kampfreserve der grünen Partei.

FDP auf dem Weg zu Fast-Drei-Prozent

FDP-Ergebnisse bei Landtagswahlen bis 2023

Linderung ist nicht in Sicht: Die FDP wird in ihrem Abwärtstrend noch weitere Quittungen in diesem Superwahljahr vom Wähler bekommen. Denn in drei ostdeutschen Ländern stehen am 1. September in Sachsen und Thüringen sowie am 22. September in Brandenburg noch Landtagswahlen an. Alle drei gelten heute schon laut Umfragen, und mittlerweile selbst in der Parteispitze für die FDP als verloren.

Eins ist jedoch schon jetzt gewiss: Die Lust am „weiter so“ hört wohl nicht auf, weil die FDP-Führung glaubt, den freien Fall gestoppt zu haben. Lindners Granden wollen sicher in der Ampel bis zur Bundestagswahl durchhalten. Sie setzen im Herbst 2025 auf das große Vergessen beim Wähler. Na, denn man tau.

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