Der Europäische Gerichtshof EuGH hat heute entschieden: Moderne Methoden wie die »Genschere« CRISPR/Cas9 fallen unter das EU-Gentechnikrecht. Danach sind Pflanzen, die mit der CRISPR/Cas-Technologie erzeugt werden, als gentechnisch veränderte Organismen zu betrachten. Sie unterliegen damit dem strengen EU-Zulassungs- und Kennzeichnungsrecht.
Wissenschaft bitte woanders umsetzen
Das bedeutet in der Praxis: Eine herausragend neue Methode, die zudem noch teilweise in Deutschland entwickelt wurde, kann man in Europa vergessen.
Mit der »Genschere« CRISPR/Cas9 können Gene so genau und gezielt verändert werden, wie das bisher nicht möglich war. CRISPR/Cas ist eine Abkürzung aus Anfangsbuchstaben für »Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats« und »CRISPR-assoziierte«-Proteine und bezeichnet eine neue revolutionäre Technologie. Mit dieser neuen molekularbiologischen Methode kann man das Erbsubstanz-Molekül DNA gezielt aufschneiden und verändern. Etwa so, wie wenn man einen Text mit einem Schreibprogramm editiert, indem man bestimmte Sätze oder Abschnitte an andere Stellen kopiert. Es werden keine Gene von anderen Organismen von außerhalb eingeführt und eingebaut. Genau das ist entscheidend: Auch Mutation verändert Gene, ohne neue Erbelemente von außen zuzuführen.
Vorbild ist die Natur, sind Bakterien. Die müssen sich der Angriffe von Viren erwehren. Dazu dient ihnen ein System bestimmter sich wiederholender kurzer DNA-Abschnitte, der sogenannten CRISPR-Sequenzen. Die wurden bereits 1987 im Bakterienstamm Escherichia coli entdeckt. Jetzt zerschneiden Bakterien mit einem kleinen Molekül die DNA eingedrungener Viren, isolieren sie und sind so immun gegen ihre Feinde. Wie diese raffinierten Vorgänge im Detail ablaufen, ist noch unbekannt. Entscheidend, dass mit diesem Mechanismus die DNA-Sequenz präzise aufgeschnitten und wieder zusammengefügt werden kann.
Nobelpreisverdächtiges aus Berlin – verboten
Diesen vor fast 30 Jahren entzifferten Ablauf betrachteten sich vor ein paar Jahren zwei geniale Wissenschaftlerinnen, Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna noch einmal genauer. Dabei kamen sie auf die Idee zu einem molekularen Genom-Editing-System. Bekannt wurde das universale Werkzeug unter dem Namen CRISPR/Cas; es funktioniert nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Tieren und menschlichen Zellen. Eine molekularbiologische Revolution, die nobelpreisverdächtig ist und mit der so einfach und genau einzelne DNA-Bausteine umgeschrieben werden können, wie das bisher nicht möglich war. Charpentier und Doudna wurden mittler-weile zu Weltstars der Wissenschaft. Charpentier ist heute Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und Leiterin der »Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene« in Berlin.
Die »Genome Editing«-Methode funktioniert, ohne dass ein Teil eines Genoms aus einem anderen Organismus eingebaut wird, also kein Transgen benutzt wird. Denn das gilt unter Gentechnikgeg-nern bekanntlich als das Böse schlechthin.
Eine Eigenschaft der neuen Methode ist wichtig: Es ist in der Pflanze später nicht nachweisbar, ob das Erbgut mit der Genschere verändert wurde oder nicht. Das Ergebnis ist das gleiche wie bei einer zufälligen Mutation. Einer Sojabohne also kann man nicht wie bei bisherigen gentechnischen Veränderungen mehr nachweisen, wie sie gezüchtet wurde. Die praktischen Konsequenzen dieser Eigenart sind bisher nicht überschaubar. Von daher dürfte die Entscheidung des EuGH auch ziemlich gleichgültig sein.
Die Methode funktioniert sowohl bei Mensch und Tier sowie bei Pflanzen. Daher erhoffen sich auch Forscher in der Medizin bessere und schnellere Fortschritte bei neuen Heilmethoden.
Die Natur macht auch nichts anderes bei der Mutation, wenn der DNA Doppelstrang aufgebrochen und wieder neu zufällig kombiniert wird. Daraus schöpften Pflanzenzüchter in Europa die Hoffnung, dass mit der CRISPR/Cas Technologie hergestellte Pflanzen nicht als gentechnisch veränderte Pflanzen eingestuft werden. Denn die sind insbesondere in der EU sehr streng reguliert.
Hoffnung ohne EU
Heute also beschloss der Europäische Gerichtshof, dass auch mit Hilfe dieser modernen Genome Editing-Methoden erzeugte Organismen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) im Sinne der GVO-Richtline seien, da durch die Verfahren eine auf natürliche Weise nicht mögliche Veränderung des Erbguts vorgenommen werde. Folglich würden diese Organismen grundsätzlich in den Anwendungsbereich der GVO-Richtline fallen.
Geklagt hatten französische Bauernverbände, verschiedene Gentechnikgegner und Naturschutzorganisationen. Sie sehen diese Pflanzen als menschengemachte Kreationen an, von denen erhebliche Gefahren für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier ausgehen würden. Die nächsten Klagen erheben solche NGOs dann wohl gegen die Natur, die dasselbe nur in viel größerem Umfange und mit viel unübersichtlicheren Folgen macht, wenn sie mit dem Erbmaterial Russisch Roulette spielt.
Der deutsche Pflanzenschutz- und Saatguthersteller Bayer, der gerade den Saatgutriesen Monsanto gekauft hat, sieht den heutigen Entscheid des Europäischen Gerichtshofs als verpasste Chancen für landwirtschaftliche Innovationen in der EU: »Nach dem heutigen Entscheid sind durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen. Dies geht mit hohen Kosten und politischer Unsicherheit bezüglich etwaiger Marktfreigaben einher.«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach kann Europa nun nicht vom Potenzial dieser innovativen Methoden profitieren und wird sich mit erheblichen negativen Konsequenzen für Umwelt und Wirtschaft konfrontiert sehen. Während anderswo diese Innovationen ohne unnötige Überregulierung genutzt werden, haben die Landwirte und Züchter in Europa wieder einmal das Nachsehen.«
»Das Genom-Editing hat enormes Potenzial: Mit diesen Methoden kann die Entwicklungszeit neuer Pflanzensorten auf weniger als die Hälfte der heutigen Dauer von bis zu 15 Jahren deutlich verkürzen werden. So können sich Pflanzenzüchter und Landwirte besser an die sich schnell ändernden klimatischen, ökologischen und sozioökonomischen Bedingungen anpassen. So kann beispielsweise die Trockenheitstoleranz von Pflanzen verbessert werden, so dass neue Sorten in immer trockeneren Regionen schneller angebaut werden können, was für Kleinbauern in Afrika, Asien und Amerika von großem Nutzen ist – bei gleichzeitiger Wahrung der Vielfalt und Aus-wahl für die europäischen Verbraucher.«
Der Verband der deutschen chemischen Industrie VCI, dem unter anderem Unternehmen wie Bayer, BASF und Merck angehören, bezeichnet das Urteil als rückwärtsgewandt und fortschrittsfeindlich. Es beschädige die Fähigkeit der europäischen Biotechnologie, Innovationen zu entwickeln und sperre sie von der Entwicklung in der übrigen Welt aus.
Die USA sind schon weiter
Experten des US Landwirtschaftsministeriums dagegen haben bereits erste Pflanzen als nicht gentechnisch verändert eingestuft. Das bedeutet, sie müssen nicht reguliert werden. Dort kommen in diesem Jahr auch erste Sojabohnen auf dem Markt, die zuerst gezüchtet sind. Wird kein artfremdes Genmaterial eingeschleust dürfen diese Sorten in den USA ohne weitere Auflagen angebaut und als Lebens und Futtermittel verwendet werden.
Sicher dürfte sein, dass diese Methode unabhängig von europäischen Salon-Diskussionen ihren Siegeszug antreten wird. Zu gravierend sind ihre Vorteile, zu faszinierend die neuen Horizonte, die sich auftun, als dass sie sang- und klanglos im Keller verschwinden, bloß weil einige meinen, damit Gott ins Handwerk zu pfuschen. Dabei haben sie bloß nicht verstanden, was geschieht.
Und es plappern immer mehr Leute mit, für die ein Allel ein Babybrei ist, homozygot ein Begriff aus dem Rotlichtviertel und eine Veränderung des Erbmaterials Eingriff in Frankensteins Schreckensschloss. Das wäre nicht weiter schlimm, würden sie sich nicht anmaßen, eine neue Technologie mit viel Potential als Teufelswerk abzutun und über juristische Umwege den Fortschritt abzuwürgen versuchen. Und es ist nur ein Zufall, dass just an diesem Tag zwischen der EU und den USA der Handelsstreit beigelegt wurde um den Preis, mehr US-Sojabohnen nach Europa zu liefern. Der Fortschritt kommt eben doch nach Europa – per Import.