Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Ein mächtiger, starker Satz, dem allen Umfragen zufolge eine überwältigende Mehrheit der Deutschen zustimmt. Ein richtiger und wichtiger Satz, denn „dazugehören“ meint im hier zu betrachtenden Zusammenhang ja gerade nicht „Vorhandensein“, sondern „Relevanz“, beispielsweise für politische Entscheidungsprozesse, oder „prägende Wirkung“, etwa in alltäglichen Kontexten. Der Satz negiert weder die Existenz vieler praktizierender Muslime in diesem Land, noch will er ihnen die Ausübung ihrer Religion verbieten oder sie vertreiben. Er spricht ihnen lediglich die Berechtigung ab, die Vorschriften ihres Glaubens als neue, zusätzliche oder gar ersetzende Normen des Zusammenlebens in unserem Gemeinwesen zu verankern. Und das sollte jeder aufgeklärte Bürger eigentlich als eine Selbstverständlichkeit ansehen.
Erstaunlicherweise wird über diesen Satz dennoch verbissen gestritten. Da steht eine trotzig widersprechende Gruppe aus Politik, Medien und christlichen Amtskirchen jenen gegenüber, die Islamkritik als neues und profitables Geschäftsmodell erkannt haben. Hierzulande scheint es mittlerweile fast so viele kundige Religionsexperten zu geben wie Bundestrainer. Wobei die Wortführer beider Seiten im Grunde dasselbe Ziel verfolgen. Einig in der Intention, Deutschland neu zu christianisieren, hoffen die einen auf den Vorbildcharakter strenggläubiger Muslime, die anderen auf eine spirituelle Gegenreaktion zu fanatischem Fundamentalismus.
Der Islam gehört nicht zu Deutschland, weil das Christentum schon da ist? Da der Islam nun auch zu Deutschland gehört, brauchen wir das Christentum erst recht? Trübe steht es um die Perspektiven einer Gesellschaft, die eine erneute Hinwendung zum Glauben als alternativlos ansieht.
„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde…“, so beginnt das Bekenntnis der römischen Katholiken. Diese ersten Worte – nachfolgende Ideen wie Dreifaltigkeit, jungfräuliche Geburt oder Auferstehung sollen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben – geben den gemeinsamen Nenner aller Religionen wieder. Nämlich die Unterwerfung unter eine angenommene transzendente Kraft, deren Wirken für die Existenz des Menschen und seiner Lebensumwelt ursächlich ist.
Bis weit in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein galt die biblische Schöpfungsgeschichte in allen Schichten der westlichen, christianisierten Gesellschaften, unabhängig von Bildungsstand oder Profession, als anerkannte Tatsache. Selbst die Naturforscher der unterschiedlichen Fachrichtungen waren bemüht, ihre Beobachtungen durch phantasievolle Interpretationen mit den Schilderungen der Genesis in Einklang zu bringen. Das änderte sich grundlegend innerhalb weniger Jahre, nachdem Charles Darwin 1859 sein Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ vorgelegt hatte.
Falls Gott an irgendeiner Stelle in diese Abläufe lenkend eingegriffen hat, dann hat er nichts bewirkt, was ohne ihn nicht auch geschehen wäre. Tatsächlich schließen die bislang entschlüsselten Prinzipien des Universums die Existenz einer ewigen, allwissenden und allmächtigen Entität sogar aus. Gott könnte sich beispielsweise nicht über die Äquivalenz von Masse und Energie, die Homogenität und Isotropie des Raumes (also die Erhaltungssätze für Energie und Impuls) oder die Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum vom Bewegungszustand eines Beobachters (also die Kausalität) hinwegsetzen, will er in unserer Raumzeit wirken. Wären in diesem Kosmos entsprechende Ausnahmen erlaubt, hätten wir das schon längst bemerken müssen, sofern es uns unter solchen Umständen überhaupt gäbe.
Nicht nur findet die Naturwissenschaft keinerlei Indizien für das Wirken Gottes, nicht nur macht sie ihn als Schöpfer in jedem Zusammenhang überflüssig, sie bietet zudem Erkenntnisse an, mit denen sich die Existenz einer transzendenten Allmacht nicht widerspruchsfrei in Einklang bringen lässt. Über welche Legitimation verfügen Religionen noch, denen so das Monopol der Welterklärung entzogen wurde? Die nicht mehr geltend machen können, exklusiv über endgültige Wahrheiten zu verfügen? Deren Glaubensfundament sogar gut begründet als Unfug bezeichnet werden darf? Sind Religionen vielleicht trotzdem eine gute Sache, weil es ihnen gelingt, trotz poröser Grundmauern kluge und hilfreiche Gedankengebäude zu errichten?
Es heißt ja oft, der Islam sei eigentlich eine politische Ideologie. Das ist korrekt. Denn es gilt für jede Religion. Alle leiten sie aus der sich selbst zugesprochenen Kenntnis über den Willen Gottes und seiner Absichten Wertesysteme ab, die als universelle Richtlinien für das Handeln der Menschen anzusehen und daher auch durchzusetzen seien. Darin liegt der Zweck religiöser Weltanschauungen, ohne diesen absoluten Herrschaftsanspruch gäbe es sie nicht, würde es ihnen doch andernfalls mangels Attraktivität schwerfallen, Anhänger und Mitstreiter zu motivieren. Dabei verfolgen sie primär das Ziel, die Umstände zu konservieren, denen sie ihre Machtposition verdanken.
Es gibt kein einziges Beispiel für wissenschaftliche und technische Fortschritte, die von christlichen oder islamischen Religionsführern begrüßt oder befördert worden wären. Ganz im Gegenteil widmen sich Geistliche aller Glaubensrichtungen auch heute noch engagiert der Verhinderung der Zukunft. Hierzulande sind Vertreter der christlichen Konfessionen Dauergäste in der unüberschaubaren Menge an Kommissionen und Gremien, von denen sich die Politik so gerne beraten lässt. Wo sie dann zu einem breiten Themenspektrum die Moralapostel spielen dürfen. Ob Klima, Umwelt oder Energie, ob Fortpflanzungsmedizin oder Gentechnologie, ob Landwirtschaft, Mobilität oder Kommunikation, überall wird ihnen gestattet, voller Inbrunst zu verkünden, was ihr Gott so alles nicht erlaubt. Und natürlich ist es immer das Neue, das Innovative, das bislang Unmögliche, das die Priester und Theologen als ethisch verwerflich brandmarken. Nicht selten setzen sie sich mit ihrer Haltung auch noch durch, die dann sogar in Gesetze eingeht.
Wenn übrigens der Islam tatsächlich zu Deutschland gehört, oder bald gehören wird, dann steht ihm dieselbe Behandlung wie den christlichen Konfessionen zu. Dann sitzen bald Imame und Mullahs in den Rundfunkräten oder in Endlagerkommissionen und dürfen kundtun, was sie von der Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen Medien halten und was Allah mit dem Atommüll anstellen würde. Nein, das ist keine interessante Aussicht, sondern eine anstrengende. Wollen wir uns das wirklich antun?
Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber diese rechtfertigt kein aktives „Dazugehören“, sondern lediglich eine passive „Anwesenheit“. Hier dürfen alle glauben, was sie wollen, solange sie jeden Versuch unterlassen, dem Rest der Bevölkerung ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Wie Gott mit der Moderne, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Möglichkeiten in Einklang zu bringen ist, das bleibt dann auch jedem selbst überlassen. Die meisten Christen haben sich entschieden, ihr Bekenntnis als nur mehr folkloristische Ergänzung ihres Alltags anzusehen. Sie scheren sich nicht um Sexualmoral, Fastenzeit oder die Vergebung ihrer „Sünden“. Erstrebenswert wäre eine Zukunft, in der die hiesigen Muslime das ebenso halten, und selbstverständlich auf Kopftücher verzichten, Schweinefleisch essen und den Ramadan ignorieren. Heiden haben mehr vom Leben, vor allem mehr Spaß. Dies zu vermitteln, sollte das oberste Ziel aller Integrationsbemühungen sein. Lediglich den Islam mit dem Satz zurückzuweisen, er gehöre nicht zu uns, reicht dazu nicht aus. Klarer und sinnvoller wäre eine Formulierung in folgender Form: Jede Religion ist für uns in Deutschland irrelevant.
Die Flucht in Frömmigkeit ist keine Option, will man wirklich dazugehören, statt nur unbeteiligt zuzusehen.