Sie sind geflogen. Nachdem Elon Musk bereits im vergangenen Jahr seine Dragon-Kapsel erfolgreich demonstrierte, haben Richard Branson und Jeff Bezos nun nachgelegt. Auch in der bemannten Raumfahrt ist das staatliche Monopol damit gefallen. Wieder einmal öffnet sich eine neue Welt für alle.
Zwischen 1970 und 1979 brachten 1.161 Raketen Nutzlasten in den Orbit. Den 1.005 militärischen und 153 zivilen, aber vollständig von der öffentlichen Hand finanzierten Missionen standen in diesem Zweitraum lediglich drei private gegenüber. Dieses Verhältnis kehrte sich erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre um. Die Dekade von 2010 bis 2019 sah dann 847 Starts, von denen 463 zu kommerziellen Zwecken erfolgten. Wer heute einen Satelliten in einer Umlaufbahn stationieren möchte, ist längst nicht mehr auf staatliche Transportdienstleister angewiesen. Ein Dutzend private Unternehmen mit selbstentwickelten Trägern tummeln sich bereits in diesem Segment. Viele weitere, darunter mit ISAR Aerospace sogar ein deutsches Startup, werden in den kommenden Jahren hinzutreten.
Und in diesen Sommertagen des Jahres 2021 fällt auch das staatliche Monopol in der bemannten Raumfahrt endgültig. Gut ein Jahr nach dem ersten erfolgreichen Flug der Dragon-Kapsel von SpaceX ziehen Virgin Galactic mit einem Raketengleiter und Blue Origin mit einem konventionellen, aber vollständig wiederverwendbarem Träger nach. Alle drei Firmen verfügen nun über die Fähigkeit, aus eigener Kraft und eigener Entscheidung Menschen in den Weltraum zu bringen. Jeder kann jetzt Astronaut werden, ohne eine wissenschaftlich/technische Ausbildung vorweisen, ohne sich auf die Lotterie eines behördlichen Auswahlprozesses einlassen und ohne ein langwieriges und hartes Training durchlaufen zu müssen. Gefiltert wird allein über den Geldbeutel, eine sich über den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage im Wettbewerb dynamisch entwickelnde Hürde.
Über Jahrzehnte kontrollierten Regierungen und ihnen nachgeordnete Behörden den Zugang zum Weltraum sowohl in technologischer, als auch in finanzieller und legislativer Hinsicht. Damit ist es endgültig vorbei. Die erfolgreichen Flüge der Dragon an der Spitze einer Falcon 9, der VSS Unity und der New Shepard markieren den Beginn einer neuen Epoche, in der die Privatwirtschaft die Führung übernimmt. Das bislang hauptsächlich zur Bühne bürokratischer Selbstbestätigung degradierte Weltall öffnet sich für alle Menschen als neuer Erfahrungs- und Entfaltungsraum.
Zweifellos hat die staatlich gelenkte Raumfahrt Erfolge vorzuweisen. Doch beruhen Mondlandungen, Raumstationen, Raumfähren, Sonden oder Weltraumteleskope nicht auf dem Wunsch, neue Märkte zu schaffen. Politische, ideologische und wissenschaftliche Absichten stehen im Vordergrund, vor allem die nationale Selbstdarstellung und Zwecke der Landesverteidigung. Aus einer solchen, allein auf das reine Gelingen und nicht auf die Maximierung des Nutzens fokussierten Tradition können nur ineffektive und kostspielige Lösungen erwachsen. Man denke an die Wertvernichtung durch hochgezüchtete, von Interkontinentalraketen abstammende Einweg-Träger. Oder an Anwendungen in Themen wie Kommunikation, Navigation oder Erdbeobachtung, die sich aufgrund ihrer militärischen Wurzeln für den allgemeinen Gebrauch nur eingeschränkt eignen.
Manches wurde erreicht, aber weit mehr ist man schuldig geblieben. Es gibt keine Kolonien auf Mond oder Mars, keine Bergwerke auf Asteroiden, keine Fabriken im Orbit. Weil es Entscheidungen, die ein weitgehend isolierter Zirkel aus sich gegenseitig assistierenden Generälen, Politikern, Verwaltungsbeamten, Konzernlobbyisten und staatlich subventionierten Forschern situativ und subjektiv trifft, zwangsläufig an jeder strategischen Leitidee mangelt. Befriedigende Antworten auf die immer wieder aufkommende Frage nach der Notwendigkeit von Milliardeninvestitionen aus Steuergeldern angesichts ungelöster irdischer Probleme vermag diese Blase auch nicht zu formulieren. Prestigedenken und Sicherheitswünsche mögen ein einzelnes Projekt rechtfertigen, aber niemals tragen sie den Aufbruch in eine neue Welt auf Dauer. Dies schaffen allein die Aussicht auf Gold und Gewürze und ein gleichermaßen gieriger wie wagemutiger Kolumbus mit aussichtsreichen Plänen. In Elon Musk, Jeff Bezos und Richard Branson gibt es in der Gegenwart gleich drei von dieser Sorte. Mindestens, denn weitere Macher wie Peter Beck (Rocket Lab), Max Poljakow (Firefly Aerospace), Tim Ellis und Jordan Noone (Relativity Space) dürfen nicht ungenannt bleiben.
Töricht argumentiert, wer das Wettrennen der Milliardäre als Ausdruck von Eitelkeit und Übermut interpretiert. Als ob Unternehmer dieser Kategorie jemals durch aufschneiderische Verschwendung aufgefallen wären. Kurzsichtig und oberflächlich denkt, wer in ballistischen Flügen an den Rand der Atmosphäre lediglich eine nutzlose Spielerei dekadenter und gelangweilter Superreicher erkennt. Zwar wird den Passagieren nicht mehr als eine besondere Aussicht, ein kurzes Erleben der Schwerelosigkeit und die Möglichkeit geboten, sich anschließend Astronaut nennen zu dürfen. Aber die eigentliche Stoßrichtung ist eine völlig andere. Mit wahrscheinlich nicht einmal kostendeckenden Ticketpreisen um 200.000 Euro definieren die Anbieter vor allem ein bestimmtes, von ihnen gewünschtes Klientel als erste Zielgruppe. Risikoaffine, kapitalstarke und chancenorientierte Investoren sind es, denen zwei zentrale Botschaften übermittelt werden sollen: Der Weltraum ist nur wenige Minuten entfernt und mein Vehikel bringt Dich, Deine Leute oder Deine Technologie sicher, verlässlich und preiswert dorthin. Musk, Bezos und Branson denken nicht daran, hedonistischen Salonhelden Gesprächsthemen für die nächste Party zu verschaffen. Sie wollen mit dem Weltraumtourismus jene inspirieren, die bald schon in größerem Umfang ihre Kunden sein könnten.
Die sowohl durch die Falcon 9, als auch durch VSS Unity und die New Shepard demonstrierte Senkung der Transportkosten ist der Schlüssel, der die Tür für den „New Space“-Ansatz und die Ablösung des alten Verwaltungsdenkens öffnet. Statt viele Jahre an großen, komplexen und teuren Einzelobjekten zu werkeln, um deren Betrieb über eine lange Lebensdauer zu gewährleisten, sind effizient produzierte, funktional fokussierte und preiswerte Systeme gefragt. Die eben nicht mit bereits veralteter Technologie im Orbit ankommen und dort jede Modernisierung über Jahre blockieren. Sondern sich im Versagensfall oder zu Optimierungszwecken schnell und ohne größere Verluste austauschen lassen. Die Dynamik der irdischen Hard- und Softwareentwicklung wird auf den Orbit übertragen. Schwärme und Konstellationen kleiner Satelliten bieten in allen Aspekten der Gewinnung, Verteilung und Verarbeitung von Daten das physische Fundament für eine Vielfalt neuer Anwendungen und Geschäftsmodelle, die bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist. Und das ist nur der Anfang. Die Etablierung privater Raumstationen für die kommerziell orientierte Forschung, die Herstellung spezieller Güter in der Mikrogravitation, das Zerlegen und die Wiederverwertung ausgedienter Strukturen direkt vor Ort, die Gewinnung von Ressourcen auf dem Mond oder auf Asteroiden und schließlich orbitale Hotels oder gar lunare Vergnügungsparks könnten folgen. Falls es sich denn rechnet.
In genau diesem Aspekt unterscheidet sich der neue Aufbruch ins All fundamental von dem früheren. Projekte aller Art sind nicht mehr Spielbälle politischer Willkür und nicht mehr einem Rechtfertigungsdruck gegenüber kritischen Steuerzahlern unterworfen. Es entscheiden fortan kühl kalkulierende Geschäftsleute und bedarfsorientiert agierende Konsumenten über den Gang der Dinge. Die Raumfahrt der Zukunft trägt sich selbst und schafft darüber hinaus tatsächliche Mehrwerte für alle Menschen über eine rein emotionale Beteiligung hinaus. Auch für die, die auf der Erde bleiben. Die spektakulär eingeführten neuen Raketen und Raumgleiter bahnen diesen Weg wie einst der neue Schiffstyp der Karavelle den über den Atlantik. Die Jahre 2020 und 2021 markieren einen Aufbruch, der dem von 1492 gleichkommt.
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