Wolfgang Schäuble soll am kommenden Dienstag, wo der neu gewählte Bundestag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt, zum nächsten Bundestagspräsident gewählt werden. Er wird damit dem scheidenden Präsidenten Norbert Lammert nachfolgen, dessen Ausscheiden aus dem hohen Haus mehrheitlich mit großem Bedauern hingenommen wird.
Warum soll nun aber ausgerechnet Schäuble seine Nachfolge antreten? Als absolutes „Polit-Urgestein“ gehört er dem Parlament bereits seit 1972 an und ist damit inzwischen der dienstälteste Parlamentarier. Aufgrund dieses Genius soll deshalb er derjenige sein, der die AfD mit seinem Profil im Zaum hält und die Würden des Parlaments künftig repräsentiert.
Da traditionell der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht für die Besetzung des Amtes zufällt, hat die Union hiervon auch Gebrauch gemacht und Schäuble nun, drei Wochen nach der Bundestagswahl, einstimmig für das Amt nominiert. SPD und FDP haben bereits signalisiert, ihn ebenfalls zu unterstützen.
Aber es kommt anders. Sein messerscharfer Intellekt, sein langanhaltender politischer Atem, seine teilweise hochgeschätzte verhandlungstaktische Kaltblütigkeit und seine Nüchternheit im Umgang mit emotionalisierten Debatten – passé.
Dies ist nicht nur mindestens so traurig wie der Abschied von Norbert Lammert, sondern in eben demselben Maße auch ärgerlich, weil sich durch dieses Exempel wieder einmal die grenzenlose Arroganz der Macht entblößt. Schäuble war zwar nicht am Regierungstisch, nicht im Kanzleramt eine drohende Gefahr für den Merkel’schen Machtapparat, denn dass er ihr die Rolle als Kanzlerin streitig machen würde, stand nicht zur Disposition.
Wohl aber war er ihr persönliches Damoklesschwert über einer anderen Rolle, die sie so lieb gewonnenen hat: Frontfrau der CDU. Trotz allen Murrens und Mäkelns und auch nach den krachenden Wahlniederlagen gedenkt Merkel nicht ansatzweise, diese freizugeben.
Auch, wenn ihr gerade vom Wirtschaftsrat oder der neu gegründeten WerteUnion in der CDU heftiger Druck bereitet wird, hält Merkel fest an der Position, die sie sich 2000 so mühsam herbeitaktiert hatte.
Und so wird es in der kommenden Zeit nicht dabei bleiben, dass einzig Schäuble mehr oder minder auf das politische Abstellgleis verfrachtet wurde, von dem aus er nur noch als große überparteiliche Seniorität mit klugen Weisheiten und erzieherischen Volltreffern gegenüber der AfD wird glänzen können. Aber nicht nur deswegen musste er weichen, sondern auch, damit die Ausgangsposition bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen dahingehend aufgewertet wird, dass man die noch unentschlossenen Wasserträger mit einem vakanten Finanzministerposten locken kann.
Schäuble war in diesem Zusammenhang allerdings nur „Opfer Nummer eins“. Wie viele insgesamt auf das Konto von Merkel gehen, wird man nicht genau sagen können. Jedenfalls sind es wohl so viele, dass sie auf dem Gebiet inzwischen als routiniert gelten dürfte.
Die Kanzlerin weiß, dass Jens Spahn aktuell mehr als bemüht ist, sich selbst als potentiellen Nachfolger anzubieten, sich als junges Blut mit dem gewissen Etwas zu inszenieren, hinter dem sich die ganze Schlagkraft einer Generation zu versammeln scheint, und der nicht nur das politische Profil, sondern auch den Rücken hat, um einer Angela Merkel im Zweifel die Stirn zu bieten.
Sie braucht daher eine andere Strategie mit diesem Jens Spahn; eine, die keine Sägespäne hinterlässt, sondern den Eindruck zu erwecken vermag, dass Merkel höchstpersönliche Unterstützerin des jungen Talents sei und dieses nun auf gebührliche Art fördern und als möglichen Nachfolger aufbauen möchte. Auf dem Deutschlandtag der Jungen Union betonte die Kanzlerin im Bezug auf die Forderung nach neuen und jungen Köpfen, dass es nie ihre Absicht gewesen sei, Jens Spahn zu verstecken – sonst hätte sie ihn ja damals wohl kaum zum Staatssekretär der Finanzen gemacht.
Nun wird sie höchstwahrscheinlich früher oder später etwas anderes aus ihm machen: den neuen CDU-Generalsekretär! Tauber ist der Kanzlerin nur noch lästiges Anhängsel, der nach dem öffentlichen Meinungsbild als Buhmann für den Linkstrend der CDU herhalten musste und gerade in der jüngsten Vergangenheit weniger mit guten Vorstößen, denn mit fragwürdigen Sprüchen und Statements von sich reden machte.
Sie wird es wie bei Wolfgang Schäuble so aussehen lassen als gäbe es keine Alternative. Dabei wird sie sich auch nicht sonderlich anstrengen müssen, weil sie die CDU mit dem Mantra der Alternativlosigkeit (hier bezogen auf sich selbst) bereits wie den Pawlow’schen Hund konditioniert hat.
Daher Achtung Jens Spahn, wenn das Glöckchen klingelt.