Tichys Einblick
Insektenschutzpaket im Bundestag

Den Insekten geht´s wie Menschen: Eine Maßzahl bestimmt über Leben und Tod

Im Bundestag soll ein Gesetz zum Insektenschutz beschlossen werden. Dabei ist es alles andere als gesicherte Erkenntnis, dass die Insekten so leben, wie es sich Umweltpolitiker und NGO-Aktivisten vorstellen.

imago/Christian Spicker

Es geht wieder um die Bienen. Im Bundestag wird das Insektenschutzpaket behandelt. Draußen demonstrieren erneut die Bauern. Die sollen ihre Landwirtschaft weiter einschränken – für mehr Insektenschutz, wird behauptet.

Das Bundesnaturschutzgesetzes soll geändert werden. Es klingelt von Schlagworten wie Insektenlebensräume und Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft, Pestizide weg, keine Nähr- und Schadstoffe in Böden und Gewässern. Ein neuer Begriff ist „Lichtverschmutzung“; die soll auch zum Insektentod beitragen. Unter ferner liefen steht im Programm „Forschung vertiefen“. Früher wurde zuerst geforscht, dann entschieden. Jetzt werden 100 Millionen Euro pro Jahr für Förderung von Insektenschutz bereit gestellt und neue Vorschriften für Bauern erlassen. Die können sich kaum mehr wehren.

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Ursprünglich hatte im September 2019 das Bundeskabinett das sogenannte »Aktionsprogramm Insektenschutz« verabschiedet. Am 23. März in diesem Jahr hatte der Bundesrat den Entwurf der Regierung vom Grundsatz her unterstützt. Der wurde in der vergangenen Woche vom Plenum an den Umweltausschuss überwiesen. Der hat die Federführung und am Montag eine öffentliche Anhörung veranstaltet. Im Mai, Juni könnte der Bundesrat über die Änderungen abstimmen, nachdem die zweite und dritte Lesung im Bundestag stattgefunden haben.

Das Aktionsprogramm sieht erhebliche Einschränkungen für die Landwirtschaft vor. Denn die sei wesentlich verantwortlich für das Insektensterben. Dafür wird schon seit Jahren getrommelt, Initiativen leben gut davon und rufen zur Bienenrettung auf. Die müssen zwar nicht gerettet werden, den Hausbienen geht es gut, sie werden mehr und mehr, seitdem sie vermehrt sogar in Städten als Nutztiere gehalten werden. Das erfolgreichste Volksbegehren in Bayern war „Rettet die Bienen“, für das sich vor zwei Jahren 1,7 Millionen Wahlberechtigte eingetragen hatten.

Berühmt geworden ist in Deutschland jene Krefelder Studie, die von Mitgliedern des Entomologischen Vereins Krefeld über 27 Jahre hinweg mit zeitlichen Unterbrechungen zwischendurch angestellt wurde. Eine solch lange, enorme Fleißarbeit hätte auch kaum anders durchgehalten werden können.
Zwischen 1989 und 2013 wurden sogenannte Malaise-Insektensammelfallen aufgestellt. Die Zählung der Insekten endete für diese weniger schön: Sie fliegen in eine Art kleines Zelt und landen in einer Fangflasche mit hochprozentigem Alkohol. Dort verenden sie. Die Flaschen werden wöchentlich geleert, die Masse der toten Insekten gewogen.

Ergebnisse: Die Menge fliegender Insekten ist seit 1989 um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. 1989 wurden 1.400 Gramm tote Insektenmasse gewogen, im Jahre 2013 nur noch 280 Gramm. Also deutlich weniger Insekten.

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Erstaunlicherweise fand dies in Gebieten statt, die ganz nach Geschmack der Insektenschützer sind: In Naturschutzgebieten, in denen kein Landwirt etwas zu tun hat. Die Krefelder Insektenkundler selbst weisen auf die Grenzen ihrer Aussagen hin. Sie betonten ausdrücklich, dass es sich um punktuelle Messungen handelt. Die Ergebnisse gelten nur für jene Stellen, an denen die Fallen standen und auch nur für den Messzeitraum. Darüber, wie sich die Insektenpopulationen vorher und nachher entwickelten, können sie nichts aussagen, ebensowenig, wie es woanders im Land aussieht. Mit ihren Ergebnissen könne man keineswegs allgemeine Schlüsse auf das Bundesgebiet ziehen. Und gar nichts sagen sie über mögliche Ursachen eines Rückgangs der Insekten in diesen Gebieten aus.

Antwort des verantwortlichen Biologen Dr. Martin Sorg vom Krefelder Verein auf die Frage, ob sich diese punktuellen Messungen auf Deutschland übertragen ließen: „Nein, natürlich nicht.“

Es wurden nur fliegende Insekten untersucht, keine Käfer beispielsweise. Gemessen wurde mit dem sogenannten Feuchtgewicht nur die Biomasse, wenden andere Biologen ein. Aussagen über Artenzahl und Biodiversität seien damit nicht möglich. Die Autoren, so der Verband Biologie VBIO weiter – Dachverband der biowissenschaftlichen Fachgesellschaften – weisen auf die Begrenztheit ihrer Methoden hin und benennen zusätzlichen Forschungsbedarf: „Auch aus dem vermeintlich „defizitären“ Versuchsansatz ist dem Krefelder Entomologischen Verein kein Vorwurf zu machen. Immerhin war das Ziel der Beprobung ursprünglich ein weitgehend faunistisches – und nicht die wissenschaftliche Untersuchung von Bestandstrends.“

„An keiner der Probenahmestellen wurde über 27 Jahre hinweg kontinuierlich gefangen. Meist liegen nur Vergleichsdaten aus einem, zwei oder drei Jahren vor. Die Populationsgrößen von Insekten zeigen aber zwischen einzelnen Jahren erhebliche Schwankungen.“

„Und dennoch: Die „Krefelder Studie“ ist die beste Datengrundlage, die wir in Deutschland derzeit haben. Denn obwohl gerade Insekten als Bestäuber oder auch als Nahrung für größere Tiere eine hohe (auch ökonomische) Bedeutung haben, gibt es in Deutschland keine aussagekräftigen. Langfristig orientierten Monitoringprogramme.“

Auch einen weltweiten Trend kann man aus anderen Studien nicht erkennen. Die Fachzeitschrift Science veröffentlichte gerade eine Metastudie, in der 166 Studien aus insgesamt 41 Ländern ausgewertet wurden. Deren Ergebnis in Kürze: die sogenannten „terrestrischen Insekten“ gehen leicht zurück, dagegen nehmen die Süßwasserinsekten leicht zu. Der Studie zufolge geht die Zahl der auf dem Land lebenden Insekten wie Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen um 1,11 Prozent pro Jahr zurück, die Zahl der auf dem Wasser lebenden Insekten nimmt dagegen im Durchschnitt um 1,16 Prozent zu.

Für Europa übrigens zeigt die Studie einen sehr schwachen Hinweis auf einen durchschnittlichen Rückgang der terrestrischen Insekten von 0,76 Prozent pro Jahr. Doch auch diese Studie gibt keine zufriedenstellende Antwort über Rückgänge von Insektenpopulationen.

Eindeutige Zahlen, Statistiken und Aussagen sehen anders aus. Die Autoren meinen, dass viele Variationsmuster darauf hindeuten, dass lokale Faktoren wahrscheinlich für viele Veränderungen verantwortlich sind. Deutlich betonen übrigens die Autoren: „Wir fordern, dass bei Meta-Analysen ökologischer Daten eine strengere Methodik angewendet wird.“

Es ist schon ziemlich verwegen, aufgrund einer solch wackligen Datenbasis weitreichende Entscheidungen mit erheblichen Einschränkungen der Nahrungsmittelproduktion zu begründen.

Erstaunlich auch: Der in der Krefelder Studie dokumentierte Rückgang der Insekten fand in Naturschutzgebieten statt. Also schon in Gebieten, die als ideal für Käfer, Hummel und Biene gelten. Doch die wollen sich dort offenbar darin nicht wohlfühlen und verschwinden einfach.

Eine Kiesgrube, Industriebrache oder ein Truppenübungsplatz sehen nicht unbedingt so aus, wie das Auge des Städters Natur sehen mag. Doch sie bieten ideale Lebensräume für wärmeliebende Insekten. Merkwürdig ist der Begriff „natürliche Lebensräume“ für Tierarten. Es gibt seit tausenden von Jahren keine natürlichen Lebensräume. Es sind Kulturlandschaften, die sich auch immer wieder verändern.

Da hilft ein kleiner Blick, woher Insekten eigentlich kommen. Man muss ein wenig in die Eiszeiten zurückblicken, die in Mitteleuropa den Großteil der einstigen reichhaltigen Fauna und Flora zerstört haben. Die meisten Arten, die jetzt in Mitteleuropa leben, wanderten nach der letzten Eiszeit aus den Steppengebieten des Ostens und aus wärmeren Regionen ein.

„Viele der eingewanderten Arten“, so stellt der Zoologe Prof Werner Kunz fest, „sind nicht an die Wälder angepasst, die in Mitteleuropa entstehen würden, wenn der Mensch aufhören würde, in die Natur einzugreifen. Die Einwanderung dieser Arten wurde möglich, nachdem der Mensch schon seit der Jungsteinzeit das postglaziale Wiederaufkommen der Wälder beeinträchtigt hat und dadurch genügend große Flächen der mitteleuropäischen Landschaften offen hielt.“

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Die Insekten also mochten sich nicht mit jenen wohnlich eingerichteten Schutzlandschaften anfreunden, wie sie sich naturschützende Verordnungsgeber in den diversen NGOs und Ministerien ausgedacht haben. Ebenso erstaunlich: Heute ist Deutschland bereits voll gestopft mit FFH-Gebieten ebenso wie mit Vogelschutzgebieten. 15 Prozent der Landfläche Deutschlands, erklärt Kunz, sind bereits Schongebiete. „Das ist ein unglaublicher Prozentsatz unseres Landes.“ Doch: „Warum sind in den vergangenen 100 Jahren 61 Prozent aller Tagfalterarten beispielsweise seltener geworden oder gar ausgestorben?“ fragt Kunz.

Er kommt zu der Erkenntnis: Dieser große Anteil an Schonflächen von 15 Prozent ist also erstaunlich ineffektiv und stellt die Frage: Sind das nicht die richtigen Habitate?
Seine Antwort: „Wir haben ihre Habitate vernichtet. Die haben keine Wohngebiete mehr im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten.“

Aber es gibt auch leicht herzustellende Lebensräume. Der in vielen Teilen Deutschlands selten gewordene Tagfalter Goldene Acht (Colias hyale) braucht ein Luzernefeld hinreichender Größe, mehr nicht. Auf den Luzernefeldern, die auf den ehemaligen Braunkohleabbauflächen im Raum Köln im Rahmen der landwirtschaftlichen Rekultivierung angelegt wurden, hat sich die hier seit Jahrzehnten verschwundene Goldene Acht sofort wieder in großer Stückzahl angesiedelt.

Ausgerechnet ein Braunkohleabbaugebiet, das in den Augen der meisten Umwelschützer schrecklich aussieht, erweist sich als hervorragender Lebensraum für viele Arten.

Im Klartext: Tagfaltern sind die Richtlinien für Insektenschutz relativ gleichgültig. Sie bevorzugen lehmige, zerklüftete, weiträumige und vor allem warme Gebiete. Mit deren Ästhetik haben sie eher wenig im Sinn.

Entsetzt dürften Umweltschützer registriert haben, wie auf den Löwenstedter Sandbergen im Kreis Nordfriesland Kettenbagger anrückten, auf über 2000 m² brutal Wälder gerodet, Büsche und Sträucher entfernt und großflächig Grassoden abgeräumt wurden. Doch dieser drastische Eingriff in die Natur beseitigte Überfluss und Fülle, so entstanden nährstoffarme Heideflächen wie in früheren Zeiten. Damit entstand auch wieder eine lückenhafte Vegetationsstruktur, beschreibt Kunz, in denen sich zum Beispiel der Goldene Scheckenfalter ansiedelt. Das Bewusstsein der Bevölkerung in Sachen Artenschutz sei falsch programmiert, stellt Kunz fest.

„Fakt ist, dass es in Deutschland bislang keine hinreichend aussagekräftigen Monitoringprogramme zum Insektenrückgang und praktisch keine wissenschaftlichen Studien zur Ursachenforschung des Insektenrückgangs gibt. Der akute Handlungsbedarf, der laut dem vom Bundeskabinett beschlossenen Aktionsprogramm Insektenschutz bestehe, sollte sich nur auf die Bereiche erstrecken, in denen es wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Ursachen des Insektenrückgangs gibt.“ Es ist allerdings die AfD, die das fordert.

„Die zentralen Maßnahmen aus dem Aktionsprogramm Insektenschutz hätten ansonsten enorme negative Auswirkungen auf die Einkommenssituation der heimischen Landwirtschaft und wären ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsrechte – und das möglicherweise ohne nennenswerten Effekt auf die biologische Vielfalt von Insekten. Das gilt insbesondere für die geplante verbindliche Festlegung eines bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln einzuhaltenden Mindestabstand zu Gewässern, die Erweiterung der Liste der gesetzlich geschützten Biotope in Paragraf 30 Bundesnaturschutzgesetz sowie das Verbot der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden mit besonderer Relevanz für Insekten in ökologisch besonders schutzbedürftigen Bereichen.“

Der Erhalt und Schutz der biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft könne nicht mit gesetzlichen Auflagen und Verboten, sondern ausschließlich in Kooperation mit den Landwirten, die nach Einschätzung der Bundesregierung über einen sehr hohen Kenntnisstand über insektenfreundliche Maßnahmen verfügen, gelingen.

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Die AfD fordert, die Maßnahmen aus dem Aktionsprogramm Insektenschutz nicht umzusetzen, solange keine beiliegenden wissenschaftlichen Fakten zu den Ursachen des Insektenrückgangs sowie eine solide Folgenabschätzung zu den Auswirkungen der Maßnahmen auf die deutsche Landwirtschaft vorliegen. Vielleicht weiß man dann auch mehr, warum Naturschutzgebiete und sogenannte Faune-Flora-Habitate (FFH) einen Artenschwund nicht stoppen können. Der – sofern überhaupt messbar – findet auch in diesen Schutzgebieten statt.

Natur verändert sich. Statisch ist dort außer Verordnungen nichts. “Viele Rote-Liste-Arten sind Bewohner von Extrembiotopen, z.B. Felsen, Abbruchkanten, Schlamm-, Sand- und Steinflächen“, sagt Kurz aus. „Solche Biotope sind oft keine statischen Zustände der mitteleuropäischen Natur (die man durch „nature conservation“ schützen kann), sondern es sind kurzfristig andauernde Sukzessionsstadien, die sich nach Naturkatastrophen entwickeln, z.B. nach Bränden, Stürmen oder Überschwemmungen, oder auch durch Naturzerstörungen, die unmittelbar durch den Menschen verursacht werden.“

Veränderung als Konstante – für Umwelt-NGOs ist das vermutlich unvorstellbar, denn dann gäbe es ja keinen Grund für Panik.

Die Vorgänger von Umweltministerin Svenja Schulze und ihren europäischen Kollegen haben im Jahr 1992 die Richtlinie 92/43/EWG verabschiedet. Die schreibt den EU-Mitgliedsstaaten vor, zum Schutz der Artenvielfalt „natürliche Lebensräume sowie wildlebende Tiere und Pflanzen zu erhalten“, sogenannte FFH-Gebiete. In diesen Gebieten dürfen wirtschaftliche, industrielle, Siedlungs- oder Verkehrsprojekte nur durchgeführt werden, wenn die Lebensraumstruktur erhalten bleibt, und die Tiere und Pflanzen nicht erheblich beeinträchtigt werden.

Allerdings haben die Richtlinienverordner vergessen, dies auch dem Kreuzdornzipfelfalter (Satyrium spini) und dem Goldenen Scheckenfalter (Euphydryas aurinia) beizubringen, damit die sich dran halten und schön geschützt fühlen. Wobei Euphydryas aurinia nicht im Traum daran denkt, sich in den vorgesehenen Räumen aufzuhalten. Der ist Verschiedenbiotopbewohner, kann also sowohl feuchte als auch trockene Regionen besiedeln. Wenn sich das weiter in EU & Co herumspricht, dürften viele neue Gremiensitzungen anfallen, die einordnen, welche Regeln jetzt gelten sollen.

Insekten selbst würden, wenn sie es könnten, sich womöglich kaputtlachen über den verwegenen Anspruch der Minister und NGOs sie zu schützen. Sie kommen in allen, wirklich allen Umgebungen vor und erweisen sich als Überlebenskünstler unter fast allen Bedingungen. Die vielen verschiedenen Arten sind unterschiedlich starken Schwankungen ausgesetzt, treten in manchen Jahren in Schwärmen auf, um darauf wieder für ein paar Jahre zu verschwinden. Wie viele Arten es überhaupt gibt, weiss niemand. Laut Wikipedia sind noch Millionen von Arten unentdeckt. Aber NGOs und Bundesumweltministerin haben gezählt und wissen genau: Die Zahl der Insekten geht zurück.


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