Zwei Wege führen zu technischer Kompetenz. Der eine ist mathematisch beschildert, mit Diagrammen und Bauplänen gepflastert und mit allerlei Methodiken verziert. Hier trifft man Ingenieure und Techniker, die aufbauend auf akkumuliertem Erfahrungswissen das Vorhandene optimieren und das Neue entwickeln. Die andere Strecke verläuft entlang zahlreicher Analogien und Metaphern, die ein physikalisches, generalisiertes Verständnis von Systemen und Prozessen ermöglichen. Sie vermittelt zwar nicht, wie etwas im Detail funktioniert. Aber sie gestattet einzuschätzen, was etwas bewirkt und wozu es gut ist.
Für den spezialisierten Informatiker stellt beispielsweise eine generative KI eine algorithmische Verknüpfung spezifischer Mechanismen (neuronaler Netze) der linearen Algebra, also der Vektor- und Matrizenrechnung dar. Die physikalische Perspektive hingegen sieht einen Universalübersetzer, der die grammatischen Muster natürlicher oder formaler Sprachen ineinander überführen kann. Ohne dabei irgendwas über die Bedeutung dessen zu wissen, was ihm eingegeben wird oder was er auswirft.
Weder von einem promovierten Juristen wie Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union, noch von einem promovierten Philologen wie Robert Habeck, möglicher Kanzlerkandidat der Grünen, kann man daher Beiträge zu Innovationen erwarten. Aber wer Technik mit Sternen versehen, sie in gut und böse, in nützlich und nutzlos, in gewünscht und unerwünscht einteilen möchte, sollte sich vorher zumindest zum Technikgourmet qualifizieren. Wozu sich beide bislang wie die allermeisten ihrer Berufskollegen nicht aufraffen konnten. Zwar ist ein Kinderbuchautor entschuldigt, wenn er Technologien des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts wie die Elektromobilität, die Wärmepumpe, die Brennstoffzelle, wie Windkraftwerke oder Solarzellen für den letzten Schrei hält und ihnen eine große Zukunft andichtet. Einem Wirtschaftsminister aber darf eine derartige Fehleinschätzung nicht unterlaufen. Und für einen Privatpiloten, dessen Lizenz sogar eine physikalisch/technische Grundausbildung umfasst, ist es noch viel peinlicher, in ähnlich überholte Denkmuster zu verfallen.
So erklärt Friedrich Merz in einem Interview in der Bild am 29. September, wir müssten wieder mehr arbeiten, um unseren Wohlstand zu erhalten. Wörtlich: „Was ist eigentlich Arbeit für uns? Ist das eine unangenehme Unterbrechung unserer Freizeit, oder ist das ein Teil unserer Lebenserfüllung? Wenn es eine unangenehme Unterbrechung unserer Freizeit bleibt, dann können wir den Weg weitergehen. Aber der führt in einen massiven Wohlstandsverlust.“ Und gipfelt in der rhetorischen Frage: „Warum leisten wir heute eigentlich mit 45 Millionen Erwerbstätigen nicht mehr Arbeitsstunden als vor 30 Jahren? Da hatten wir sieben Millionen Erwerbstätige weniger.“
Mehr Ignoranz geht kaum. In den letzten 200 Jahren ist die durchschnittliche Wochenarbeitszeit für Arbeiter und Angestellte in Deutschland stetig von mehr als achtzig auf unter vierzig Stunden gesunken. Ausgehend von einer typischen Biographie des Jahres 1825 mit einem Eintritt in das Arbeitsleben im Alter von fünfzehn Jahren und dem Tod mit vierzig kann man die Lebenszeit auf etwas über 350.000 Stunden beziffern. Von denen etwa 100.000 oder circa dreißig Prozent schuftend auf Feldern, in Manufakturen oder in den ersten Fabriken vergeudet werden. Wer dagegen heute mit 25 seine Ausbildung abschließt, danach vierzig Jahre zwischen Urlauben, Feiertagen und Wochenenden erwerbstätig ist und schließlich nach fünfzehn weiteren Ruhestandsjahren mit achtzig stirbt, verbringt nur mehr 80.000 Stunden oder knapp über zehn Prozent seines Lebens am Arbeitsplatz.
Parallel zu dieser Entwicklung potenzierte sich das individuelle Wohlstandsniveau. Nahezu jeder Bürger verfügt heute über Optionen zur Bedarfserfüllung, von denen selbst Potentaten früherer Zeiten nicht zu träumen wagten. Und der Zusammenhang zwischen diesen beiden Aspekten zeigt sich auch in aktuellen Daten. Je weiter fortgeschritten ein Land und je höher seine Wirtschaftsleistung, desto weniger Zeit opfern seine Bewohner konventioneller Erwerbsarbeit. Der technische Fortschritt verbindet und begründet diese nur bei oberflächlicher Betrachtung widersprüchlich erscheinenden Entwicklungen. Mechanisierung erhöht die Erträge bei gleichzeitiger Verringerung der notwendigen Aufwendungen. Innovationen schaffen neue Möglichkeiten, ohne Mehrarbeit zu erfordern.
Vor diesem Hintergrund ist Erwerbsarbeit tatsächlich nichts anderes als eine unbequeme Unterbrechung der Freizeit. Etwas anderes kann sie auch gar nicht sein angesichts einer fortschreitenden Automatisierung, die den Menschen in rein operativen Tätigkeiten zunehmend überflüssig macht. Was sich insbesondere durch die Diffusion der generativen KI in alle Wertschöpfungsketten in den kommenden Jahren erheblich beschleunigen wird. Alle stupiden und repetitiven Handlungen, ob in der Landwirtschaft, in der Industrie oder im Dienstleistungssektor werden bald schon von Apparaten durchgeführt und nicht mehr von teuren und dennoch weit unter Wert eingesetzten Menschen. Deren einzigartige Gehirne sich besser auf die bedeutenden kreativen, gestaltenden und sinnstiftenden Leistungen konzentrieren sollten. Wie auf die Schaffung neuen Wissens und dessen Verbreitung.
Das gilt auch für angestellte Topmanager oder Politiker, die an dieser Stelle sicher erbost auf ihre 80- oder 100-Stundenwochen verweisen würden. Auch diese biologischen und daher erschöpfungsanfälligen Lebensformen müssen zwingend mehr Freizeit bekommen. Damit sie nicht unkonzentriert und übermüdet ständig unzureichende Entscheidungen treffen. Damit sie auch mal die Zeit haben, eine gute Mahlzeit zu genießen und Technologiegourmets zu werden. Damit sie verstehen, welche Potentiale tatsächlich in der Digitalisierung, in der Bio- und Gentechnologie, in Nano- und Quantentechnologien oder in der Kerntechnik stecken.
Wer stattdessen lieber nutzlos in ermattenden Konferenzen Präsenz zeigt und sich an der stumpfsinnigen Abwicklung eng definierter Verwaltungsprozesse ergötzt, was den Alltag nicht nur politischer, sondern nahezu aller Büroarbeiter prägt, der wird nie etwas anderes sein als ein Kellner. Ein Tellertaxi, das allenfalls einen vernünftigen ordnungspolitischen Rahmen setzt, damit die Kreationen der Köche reibungslos an den Tischen der Konsumenten landen. Sterne jedoch vergibt nur der Gourmet und in der Küche hat der Service auch nichts zu sagen.