Tichys Einblick
Ausübung unserer Verantwortung

Informationspflichten des Staates als Voraussetzung für Demokratie

Bryan Hayes legte in einem Fünfteiler seine Sicht auf die Zukunft der Parteien dar. Hier verlässt er die direkte Parteiensphäre und skizziert, wie eine umfassende Informationspflicht des Staates aussehen müsste, die eine qualifizierte Meinungsbildug erst ermöglichte.

© Scott Barbour/Getty Images

Aus Grundgesetz Artikel 20 folgen umfassende Informationspflichten. Dieser Artikel, ist neben Artikel 1 einer der beiden einzigen Artikel, deren Wesenskern gemäß der Ewigkeitsklausel des Artikel 79, auch bei einer Änderung des Grundgesetzes nicht verändert werden darf. Aus gutem Grund.

Die Absätze 1 und 2 dieses Artikels lauten:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Diese beiden Absätze, genauer der Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ in Kombination mit „demokratischer“, legt die fundamentale Staatsform der Bundesrepublik Deutschland fest, nämlich als Bürgerstaat, d.h., die Macht geht von den Staatsbürgern aus. Und nicht von einer Monarchie, einer Aristokratie, einer Partei oder einer Diktatur. Der Begriff „demokratisch“ impliziert dabei u.a., dass alle Staatsbürger in der primären Machtausübung, gleichrangig sind.

Alleine aus diesen beiden Absätzen und zwar auch dann, wenn man „und sozialer Bundes“ weglässt (das sind zwei weitere Themenkomplexe, die hier irrelevant sind), folgen eine ganze Reihe von Implikationen, die dem Wortlaut nicht direkt entnehmbar sind. In dieser kurzen Abhandlung soll es aber nur um die Frage gehen, inwieweit hieraus Informationspflichten für staatliche Stellen, die Exekutive und Behörden insbesondere, abgeleitet werden können.

Begriffsklärungen

Zunächst sind aber ein paar Begriffsklärungen erforderlich: Der Begriff „Volke“ bedeutet in diesem Zusammenhang „aktiv wahlberechtigte Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland“, die Wahlbürger. Der Begriff der Staatsgewalt meint die Machtausübung, die von staatlichen Stellen legitim ausgeübt wird oder werden kann. Macht bedeutet hierbei die Möglichkeit, Zwang auszuüben (Gefängnis etc.) oder Eigentum wegzunehmen (Steuern etc.). Neben dieser staatlichen Machtquelle gibt es in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nur noch genau 2 weitere legitime Machtquellen: Die Macht der erwachsenen, mündigen Personen über sich selbst, die Selbstautonomie, also persönliche Handlungsfreiheit gemäß Grundgesetz Artikel 2, sowie die Macht der Eltern über ihre minderjährigen Kinder, gemäß Artikel 6.

Die Wahlbürger dürfen also zusammen – nach den Maßgaben diverser weiterer Regelungen wie den Wahlgesetzen – Beschlüsse fällen, die zur Machtausübung führen, die z.B. Parkverbote vorsehen, Steuern festschreiben oder Verbote und Strafen für bestimmte Tätigkeiten wie z.B. Diebstahl. Hierfür werden in der Praxis häufig spezielle Organisationen eingerichtet, unsere Behörden, die diese Vorschriften dann konkret umsetzen und/oder die Umsetzung überwachen, wie z.B. die Finanzämter oder die Polizei.

Ähnliches, aber nicht gleiches, ist von der privaten Wirtschaft bekannt. Auch hier können sich Menschen zusammentun oder alleine agieren, können Organisationen, z.T. mit hunderttausenden von Mitarbeiter(inne)n, aufbauen und vielfältige, aber nur intern gültige Vorschriften, erlassen. Hierbei werden fast immer, spätestens nach leidvollen Erfahrungen, interne Mechanismen, z.T. Suborganisationen, aufgebaut, die gewährleisten sollen, dass die Eigentümer jederzeit gut informiert sind, so dass sie bei Bedarf. eingreifen und jederzeit gute Entscheidungen treffen können. Die Mittel dazu sind Buchführung, Controlling, Revision sowie eine Vielzahl weiterer Mechanismen und Berichts- und Planungspflichten, die sie den Schlüsselpersonen, dem Management und allen Untergliederungen auferlegen. Ohne diese Mechanismen, die übrigens auch den Zweck haben, das Unternehmen mit anderen vergleichbar zu machen, ist eine auch nur mittelgroße Firma kaum führbar. Ständig besteht die akute Gefahr, dass zu viel oder zu wenig Geld ausgegeben oder eingenommen wird und letztlich das Falsche entwickelt wird.

Ganz übergeordnet, jenseits der Wirtschaft oder Politik gilt, dass man umso bessere Entscheidungen treffen kann, je mehr und bessere Informationen man hat. Vor allem gilt der Umkehrschluss, schlechte Entscheidungen sind fast unvermeidbar, wenn man zu wenig, zu späte und zu schlechte Information hat.

Da nun laut Grundgesetz Artikel 20 die Wahlbürger die obersten Entscheider bzgl. Öffentlicher Angelegenheiten sind, folgt hieraus in Kombination mit der eben erläuterten fundamentalen Menschheitserkenntnis (bzw. informationstheoretischen Tatsache), dass die Wahlbürger bzw. genereller die Bürger und Einwohner systematisch, regelmäßig und umfassend informiert werden müssen bzgl. aller Öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere über das Agieren aller staatlichen Stellen. Denn Entscheidungen ohne vorherige, gute Information und ohne gute nachträgliche Information, ohne Rückmeldung, sind offensichtlich nicht sinnvoll. Aus der Machtübertragung des Artikels 20 an die Wahlbürger folgt also unabweisbar und zwingend, dass es entsprechende Informationsmöglichkeiten mindestens für eben diese Wahlbürger geben muss.

Im Folgenden will ich meine Gedanken und erste Vorschläge für eine inhaltliche Ausformung dieser Informationsmöglichkeiten anreißen:

Umfang der Informationsmöglichkeiten

Im Grundsatz müssen diese sehr umfassend und vollständig sein, so wie ein/e Eigentümer/in eines Unternehmens auch umfassende Einsicht hat und auch bestimmte Informationen zusammenstellen lassen kann. Insbesondere müssen alle Ausgaben, bis auf den letzten Cent, alle Verträge, alle Angestellten- und Beamtenverhältnisse, die komplette Organisationsstruktur, alle Vorgänge nachvollziehbar sein.

Es gibt aber mehrere wichtige Einschränkungen: a) Vorgänge, die andere Personen betreffen, hier kann es Gründe für einen Datenschutz geben, d.h., es können dann höchstens aggregierte Daten bereitgestellt werden, b) Geheimhaltungsbedürftiges, insbesondere bezüglich Geheimdiensten und Militär, aber auch laufende Verhandlungen und c) Informationswünsche, deren Erarbeitung sehr aufwändig sind, und/oder wiederkehrend sind (z.B. monatliche, sehr detaillierte Berichte). Für Fall c) siehe aber auch weiter unten.

Auskunftsrecht oder Informationspflicht?

Aktuell gibt es immerhin einige Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der meisten Bundesländer, die regeln, wie Bürger an welche Informationen gelangen können. Diese Regelungen sind aber von interessierten Kreisen formuliert worden, nicht von Wahlbürgern.

Für politische Entscheidungen im Sinne des Artikels 20 sind aber weniger Einzelinformationen, die man erst mühsam anfragen muss, wichtig, sondern eine stetige, umfassende und gute Information mit einem hohen bzw. steuerbaren Detaillevel. Mit anderen Worten, die öffentlichen Stellen müssen veranlasst werden, regelmäßig Informationen zu publizieren und zwar kostenfrei, sie müssen also Informationspflichten auferlegt bekommen.

Das alles schließt Auskunftsrechte entlang der bisherigen Regelungen als zusätzliches Mittel nicht aus.

Wer legt den Umfang der Informationspflichten fest?

Mein Vorschlag hierfür wäre, dass alles zu einer Informationspflicht wird, was mindestens 5% der Wahlbürger wollen. Gibt es also z.B. einen Informationsbedarf, der bisher nicht gedeckt ist, kann ein entsprechender Bürgerentscheid (ist auch in Artikel 20 erwähnt!) initiiert werden und wenn die Zustimmungsrate mindestens 5% beträgt, werden die entsprechenden Punkte zu neuen Informationspflichten. Damit ist einerseits gewährleistet, dass es nicht ständig und zu kleinteilig neue Informationspflichten gibt, andererseits aber keine de facto Monopolisierung der Festlegung stattfindet, was in der Realität eine extrem große Gefahr ist, denn die Informationspflichten haben gerade den Zweck, die Dinge aufzudecken, die bestimmte Player, insbesondere die Parteien, unter der Decke halten wollen.

Grundsätzlich gilt, dass alle Kontrollmechanismen nicht von den zu Kontrollierenden kontrolliert werden dürfen. Und dazu zählen maßgeblich die Informationspflichten.

Natürlich sollten die Möglichkeiten, Informationspflichten festzulegen, nicht schrankenlos sein, z.B. sollte die Privatsphäre nicht unnötig verletzt werden.

Festgelegt werden sollen nicht nur der Inhalt, sondern auch die (technischen) Formate, in denen die Informationen veröffentlicht werden sollen.

Räumlich sollten solche Festlegungen der Informationspflichten dem jeweiligen Zuständigkeitsraum der zu verpflichtenden Behörde entsprechen. Bürgerentscheide zu  Bundesthemen werden bundesweit durchgeführt, lokale Entscheide, z.B. einer Dorfbehörde, eben nur in dem jeweiligen Dorf.

Wie sollten die Informationen veröffentlicht werden?

Regelmäßig, min. einmal im Quartal, kostenlos, downloadbar, aber auch per Brief anforderbar, als Text und auch alle Zahlenwerte in maschinenlesbarer Form (Stichwort Open Data), so dass auch eigene Analysen ermöglicht werden und man als Bürger nicht nur auf – häufig tendenziös aufbereitete – Extrakte angewiesen ist.

Die Daten sollten auch online selektierbar und aggregierbar sein, die Zeiträume sollten änderbar sein, auch eine grafische Aufbereitung sollte möglich sind, um z.B. Trends abzubilden. Aber auch ein Reinzoomen muss möglich sein, z.B. Stadtteil-genau.

Was sollte mindestens der Inhalt von Informations-pflichten sein?

Hierzu könnte man wahrscheinlich eine ganze Artikelserie schreiben, daher nur ein paar high-level Beispiele:

Zusätzlich gibt es einen Bedarf an Statistiken diverser Art, z.B. bzgl. Bevölkerungsdaten, Projektionen der Bevölkerungsdaten, Umweltdaten, wirtschaftliche Daten, sowie Bildungsdaten: einen Teil davon erheben die statistischen Ämter bereits, aber mehr ist in jedem Falle möglich. Soweit die Daten Personen betreffen, müssen diese detailliert nach Alter, Geschlecht, Bildungsabschlüssen, sowie auch nach Staatsbürgerschaft(en), ggf. Herkunftsstaatsbürgerschaften (inkl. der der Eltern und Großeltern), aufgeschlüsselt sein, da sonst keine fundierten Entscheidungen der Bürger bzgl. Einwanderung getroffen werden können.

Und last, but not least, sind auch Vergleichswerte von anderen Ländern (oder aus historischen Zeiten) hochgradig interessant, Stichwort best practice. Auch hier sollte eine entsprechende Behörde kostenfrei Vergleichswerte bereitstellen und zwar auch in einer normierten Form, so dass echte Vergleiche auch einfach möglich sind (die OECD z.B. wurde ursprünglich mal gegründet, um zumindest einige derartige Daten zu liefern).

Automatische Amts- und Mandatsträgerenthebung bei Verweigerung der Informationspflichten

Von wenigen Sonderfällen (extreme Arbeitsüberlastung) abgesehen wäre eine nicht-Ausführung der Informationspflichten, eine nicht-Veröffentlichung von durch die Bürger vorgeschriebenen Informationen, nur durch Vorsatz zu erklären, es würde sich um gezielte Obstruktion handeln. Daher müssen in solchen Fällen die entsprechenden Amtsträger vollautomatisch ihrer Ämter enthoben werden und aus dem Staatsdienst entlassen werden. Gleiches gilt für die zuständigen Mandatsträger, deren Aufgabe die Überwachung der Behörden ist, so mein Vorschlag.

Mit anderen Worten, die Erfüllung der Informationspflichten ist konstituierend für das entsprechende Anstellungs- / Mandats- oder Beamtenverhältnis. Wird die Informationspflicht nicht erfüllt, ist das Verhältnis beendet.

Fazit

Bisher ist der Geist der Rechtsordnung der Bundesrepublik nur unvollständig in die Tat umgesetzt worden, ein zwingend notwendiger Bestandteil fehlt bisher weitgehend. Zwar werden durchaus viele Daten veröffentlicht, aber vieles ist trotzdem nur mühsam ermittelbar und vieles fehlt, zum großen Teil, weil es interessierte Machtkreise nicht wollen. Unter dem Strich können die Wahlbürger daher keine guten Entscheidungen treffen.

Es ist daher überfällig, diese Informationspflichten unverzüglich umzusetzen. Ein Beginn ist in wenigen Wochen machbar. Es richtig zu machen, wird natürlich Jahre dauern, aber vieles könnte schon in den nächsten Tagen beginnen; viele Daten sind ja intern sehr wohl schon vorhanden.

Übergeordnet kann man dieses Thema als Teilfacette einordnen auf dem Weg weg von einer separaten politischen Sphäre, in der sich zunehmend als abgehobene Obrigkeit aufspielende Funktionärskader (die Linkskader) weitgehend ungestört auf Kosten und zu Lasten der Bürger ausleben, zu einer zunächst partiellen Umsetzung einer Bürger-basierten, Bürger-fundierten politischen Ordnung, in der die Bürger die Öffentlichen Angelegenheiten als selbstverständlichen Teil des Bürger-Seins begreifen und leben. Genau das ist die Konzeption des Grundgesetzes. Und nicht der Kaderstaat.

Bryan Hayes ist als Softwarearchitekt in der IT-Branche tätig.

Die Zukunft der Parteien in fünf Teilen:

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