Tichys Einblick
Andere produzieren, die EU reguliert

EU ohne KI: Wie sich der Staatenbund vom Wachstum ausschließt

Es geht schon gar nicht mehr um künstliche Intelligenz. Die natürliche fehlt den EU-Großen anscheinend auch. Während andere Länder sich einem neuen Markt mit offenen Augen stellen, blinzelt die EU widerwillig zwischen den Lidern. KI gilt hierzulande als Gefahr, anderswo als Chance.

IMAGO, Screenprint EU - Collage: TE

Die Nobelpreise für Chemie und Physik gingen in diesem Jahr an Forschungen im Feld der Künstlichen Intelligenz und an insgesamt fünf Forscher, von denen drei nicht an Universitäten, sondern für Google forschen. Das ist das erste Symptom einer neuen Zeit und einer neuen Technologie. Daneben stammt keiner der ausgezeichneten Forscher aus der EU, was man ebenfalls als symptomatisch betrachten kann. Stattdessen gingen die Preise an drei britische und zwei amerikanische Forscher. Die Chemiker unter ihnen haben laut dem Nobelkomitee „völlig neue Arten von Proteinen“ gebaut und ein Modell entwickelt, mit dem sich die Strukturen von Proteinen vorhersagen lassen. Und hier gibt es offenbar einen Übergang zur Genforschung, die von vielen kritisch gesehen wird, und das teils zu Recht. Proteine werden eigentlich durch Gene produziert und haben verschiedene Auswirkungen auf unseren Körper.

Aber ein bisschen Reue gehört anscheinend auch zum Beruf des KI-Forschers. Der britische Informatiker Geoffrey Hinton meint, dass die von ihm mit angestoßene Entwicklung „am Ende nicht gut ausgehen“ könnte. Hinton und der amerikanische Physiker John Hopfield haben künstliche neuronale Netze entworfen und damit die Grundlagen vieler heutiger KI-Programme geschaffen. Aber Hinton glaubt auch an einen großen Nutzen durch seine Arbeit, weil dieselbe Arbeit in kürzerer Zeit und unter geringerem Personaleinsatz leistbar werde.

Aus der EU waren Fortschritte in dieser Richtung nicht zu erwarten, weil Big Tech ohnehin nicht hier zu Hause ist. Daneben hat sich die EU-Politik aber durch eine KI-Gesetzgebung hervorgetan, die erneut dem Grundsatz folgt: Reguliere, was du selbst nicht schaffen kannst.

Serie KI – dritter und letzter Teil
Die Grenzen der KI
Etwas davon hat zuletzt sogar Emmanuel Macron erahnt. Beim „Berlin Global Dialogue“ meinte er Anfang Oktober, die EU „könnte sterben“, und überhaupt stünde man an einem Wendepunkt: „Wir regulieren zu viel und investieren zu wenig.“ Mit dem derzeit eingeschlagenen Kurs würden die Europäer an den internationalen Märkten keine Rolle mehr spielen. Aber dieses „Investieren“ ist bei Macron natürlich streng schuldenbasiert, und diese Schulden sollen gemeinsam, kollektiv aufgenommen werden. Macron steht wie kaum ein anderer für einen neuen EU-Merkantilismus, also Etatismus, der sich durch Schutzzölle nach außen abschirmt und nach innen überreguliert.

Allbekannt ist, dass die EU beim Autobau hinterherhinkt, während in den USA und China längst eine neue Generation von Bordcomputern gebaut wird. Auch die europäischen Batterien taugen demnach kaum für die E-Mobilität. Es gibt allgemein eine geringe Dynamik in der EU. Doch die neuen Energiekosten geben den Mitgliedern den Rest. Seit zwei Jahren hat sich das Wachstum in der EU minimiert. Von Deutschland muss man an dieser Stelle gleich ganz schweigen.

„Übereilter und unordentlicher Text“

Anfang September sprach Giorgia Meloni auf dem Ambrosetti-Forum am Comer See, einer Art Mini-Davos der europäischen Wirtschafts- und Politikelite, und zitierte eine fast schon altbekannte Formel: „Amerika macht Neues, China kopiert es, Europa reguliert es.“ 1990 hätten damals zwölf EG-Staaten noch ein gutes Viertel aller addierten Bruttoinlandsprodukte erwirtschaftet, heute schaffen die EU-27 gerade einmal 16 Prozent, während die USA weiterhin bei 26 Prozent liegen, so Meloni.

Im August trat nun das KI-Gesetz der EU in Kraft. Der scheidende Binnenmarkt-Kommissar Breton lobte sich und die Kommission dafür, dass man die erste quasi-staatliche Entität sei, die einen solchen Gesetzestext verabschiedet habe. Der rechtliche Rahmen soll der KI-Entwicklung in der EU Halt geben. Aber was, wenn diese Entwicklung gar nicht stattfindet? Wenn die KI vielmehr überall anders, nur nicht in der EU erblüht? Dann nützt auch das beste EU-KI-Gesetz nichts, und es bildet sich auch keine globale Meinungsführerschaft heraus, wie deutsche und EU-Politiker sie sich regelmäßig erträumen, gleich ob es nun um Ökologie, ‚Klima‘ oder anderes geht. Für den britischen Telegraph ist es ein „übereilter und unordentlicher Text“, der die Künstliche Intelligenz „bis zum Beweis des Gegenteils“ als „schuldig“ ansieht und entsprechend behandelt, also vor allem als Bedrohung, nicht als Chance.

In Japan, Indien, aber auch im Vereinigten Königreich gehen die Gesetzgeber es sachter an, in der Hoffnung auf den wirtschaftlichen Mehrwert, den die neue Technologie abwerfen möge. In der EU steht das nicht im Vordergrund. Sogar der Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit kommt zum Schluss, dass die voreilige Regulierung dazu führen dürfte, dass die EU von der zu erwartenden Dynamik ausgeschlossen bleibt. Nur sechs Prozent des in KI-Start-ups gesteckten Geldes wird in der EU investiert. Der Löwenanteil von 61 Prozent fließt an amerikanische Unternehmen, 17 Prozent bekommen chinesische Start-ups ab.

Ostasien ist der EU voraus – ganz ohne Subventions-Staatenbund

Allein in den letzten fünf Jahren hat die EU der Wirtschaft 850 neue Regulierungen auferlegt, sagt Fredrik Persson, Chef der EU-Lobbygruppe „Business Europe“. Persson nennt das einen „Regulierungs-Tsunami“. Für kleine und mittelständische Neugründungen bedeutet dieser häufig einen frühen Tod. In den nächsten fünf Jahren will Ursula von der Leyen die Brüssler Bürokratie angeblich lichten. Aber das bleibt sehr abzuwarten.

Ein treffendes Beispiel, wie die EU ihre Ressourcen einsetzt, war der Covid-Fonds, der aus der wiederum kritischen Perspektive des Telegraph letztlich für den „Imperiums-Aufbau und Tätschelprojekte“ genutzt wurde. Er blieb eine Ausnahme und lieferte noch keine Begründung für eine verstetigte kollektive Schuldenaufnahme in der EU, vor allem nicht aus Sicht der ‚sparsamen‘ Nordstaaten wie etwa der Niederlande, umso mehr seit dort Geert Wilders an die Macht gekommen ist. Auch Viktor Orbán aus Ungarn will weniger Bürokraten in Brüssel sehen, nicht mehr gemeinsame Schulden und ganz sicher keine Fiskalunion, die noch mehr ‚gemeinsame‘ Aktivitäten brächte.

Schließlich bleibt klar, dass Ostasien der EU um Längen voraus ist, zumindest im Feld der Wirtschaft, und das ganz ohne einen Staatenbund mit eigener Subventionsindustrie und umfassendem ‚Regulierungsauftrag‘ für Mensch und Wirtschaft.

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