Die Wahl ist gelaufen. Jetzt gilt es, das Wort an die neue, alte Bundeskanzlerin zu richten, die in ihrer vierten Legislaturperiode vor der Wahl stehen wird, den Euro zu reformieren oder zu begraben. Eine echte Reform muss an der Governance ansetzen, denn dort liegt die tiefere Ursache für die Probleme unserer Währung.
Das heißt:
- Vollmacht und Verantwortung müsssen in Einklang gebracht werden. Wer zahlt, schafft an. Wer für die Folgen der in der Europäischen Zentralbank (EZB) getroffenen Entscheidungen haftet, der muss auch das entsprechende Stimmgewicht haben. Das bedeutet: 26 Prozent der Stimmrechte müssen bei der Bundesbank liegen.
- Unabhängigkeit ist nicht das Gleiche wie das Fehlen jeder Kontrolle. Die EZB ist zu einer Schattenregierung des Kontinents geworden, ohne jede Kontrolle durch das Volk. Angesichts des kompletten Fehlens einer stabilitätsorientierten Kultur bei der südlichen Mehrheit des Zentralbankrats braucht es auch eine diesen Namen verdienende demokratische Kontrolle.
- Die Selbstbedienung an der Supergemeinschaftskasse namens Target 2 ist eine unkontrollierte Verschiebung von Lasten und Risiken zugunsten der Ausgabensüchtigen und zulasten der verantwortungsvoll Wirtschaftenden in Europa. Es ist unwahr, dass ohne Target 2 eine Währungsunion unmöglich ist. In den USA müssen diese Salden regelmäßig von den regionalen Mitgliedern der Zentralbank Fed ausgeglichen oder mit Sicherheiten gedeckt werden.
Geld soll von Nordeuropa nach Süden geschickt und Risiken von Süden nach Norden verlagert werden. - Der Maastricht-Vertrag braucht Zähne. In 136 Verstößen gegen den Vertrag haben sich Europas Politiker die Selbstabsolution erteilt. Dieses „Ego me ab solvo“ wird bestenfalls noch garniert mit zehn Ave Angela zur Vergebung aller stabilitätspolitischen Sünden. Das kann Sanktionen aber nicht ersetzen. Es bedarf automatischer Sanktionen, die von Geldstrafen über den Verlust des Stimmrechts im EZB-Rat bis zum Verlust des Anspruchs auf Transfers aus der so freigiebig sprudelnden EU-Subventions- und Sykophanten-Alimentierungs-Kasse reichen. Regeln sind ohne ein funktionierendes Sanktionsregime sinnlos. Würde der Vertragsverstoß aber zum Verlust von Stimmrechten und Alimenten führen, wäre es mit der Politik organisierter Verantwortungslosigkeit schnell vorbei!
- Keine neue Transferunion: Die Forderungen von Emmanuel Macron sind Scheinlösungen, im besten Fall nutzlos, im realistischen Falle sogar schädlich. Dazu gehören die angestrebte Transferunion und die Vergemeinschaftung von Risiken ebenso wie die Einrichtung eines europäischen Finanzministers mit einem bundesstaatlichen Budget.
Das Verschieben von Lasten und Risiken an Deutschland, das ebenso wie die gescheiterte Governance der EZB Macht von der Verantwortung für die Folgen trennt, kommt in vielerlei Gewand daher: über Eurobonds und EU-Einlagensicherung bis zur Errichtung eines EU-Währungsfonds unter dem Dach des ESM. Sie alle sollen Geld von Nordeuropa nach Süden schicken und im Gegenzug Risiken von Süden nach Norden verlagern.
Der geforderte EU-Finanzminister ist dabei ein demokratietheoretischer Wechselbalg: Kann er selbst Steuern erheben und Schulden machen, dann fragt sich, auf welcher demokratischen Legitimationsgrundlage das erfolgen soll. Soll er den Ländern skalische Vorschriften machen, wird seine arbiträre Hoheit die Souveränität aller EU-Staaten untergraben. So geht das nicht, Frau Merkel. Schlechte Governance wird nicht durch noch schlechtere Governance geheilt.
Darf Deutschland diese Reform verlangen? Von Deutschland wird seit Beginn der Eurokrise Solidarität gefordert. Wir müssen sie gewähren. Niemand aber kann Nordeuropa zwingen, ökonomischen Selbstmord zu begehen. Solidarität muss eine Gegenleistung haben, und die heißt: funktionierende, demokratisch legitimierte Governance zum Vorteil aller. Die Alternative ist – sehr schlicht –, dass die Kanzlerin in ihrer letzten Amtsperiode dem Zerbrechen des Euro präsidieren wird.