Tichys Einblick
Auf ins All

Ein Weltraumbahnhof für Deutschland

Überwiegend kritisch wird der Vorschlag kommentiert, in Deutschland einen Weltraumbahnhof einzurichten: dies ist kurzsichtig und realitätsblind. Der erdnahe Weltraum entwickelt sich rasant zu einem bedeutenden Investitionsstandort. Und nur wer über einen Zugang verfügt, vermag die neuen Wertschöpfungspotentiale auch zu nutzen.

The SpaceX Falcon 9 rocket blasts off carrying the AMOS-17 commercial payload from Space Launch Complex-40 August 6, 2019 in Cape Canaveral, Florida.

imago images / ZUMA Press

Hohn und Spott ergießen sich über Bundeswirtschaftsminister Altmaier, weil er den Wunsch der Wirtschaft nach einem deutschen Weltraumbahnhof ernsthaft prüfen möchte. Üblicher Reflex einer gleichermaßen saturierten wie trägen Gesellschaft, die Zukunft lieber vermeidet denn gestaltet. Könnte doch das Kommende die bequeme Vorstellung von der Gegenwart als bereits bestmöglicher aller denkbaren Welten zum Einsturz bringen. Immerhin trainiert der tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Wunsch nach überraschungsfreier Beständigkeit den Instinkt für Innovationen mit erheblichem Veränderungspotential. Wann immer also verschiedene, sonst miteinander streitende Interessengruppen unisono den Dreiklang aus „geht nicht“, „wird nicht gebraucht“ und „zu gefährlich“ anstimmen, ist Aufmerksamkeit geboten. Denn den Auslösern dieses harmonischen Chorgesangs wohnt häufig eine besondere Wirkmacht inne. In die Palette der dies bestätigenden Themen, man denke nur an Künstliche Intelligenz, an Genscheren wie das CRISPR/Cas-Werkzeug oder auch an den Individualverkehr in der Luft mit seinen Flugautos und Lufttaxis, reiht sich nun der Weltraumbahnhof nahtlos ein. Und tatsächlich ist es nicht nur sinnvoll, einen solchen in Deutschland einzurichten, sondern sogar geboten, wollen wir nicht erneut den Anschluss an eine bedeutende Entwicklung verpassen.

Die Zeiten, in denen Raumfahrt von öffentlich finanzierten Prestigeprojekten und Missionen zur Grundlagenforschung dominiert wurde, sind längst vorbei. Trotzdem hat sich bei vielen Zeitgenossen das Bild leistungsstarker und entsprechend dimensionierter Raketen festgesetzt, die Menschen zum Mond oder Sonden zu fernen Planeten transportieren. Manchen fallen vielleicht noch tonnenschwere und kleinbusgroße Satelliten ein, die aus dem geostationären Orbit Fernsehsignale übertragen. Aber auch dieses zumindest halbwegs kommerzielle Segment vermittelt nur eine Ahnung von den Wertschöpfungsmöglichkeiten, die sich heute bieten.

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Satelliten müssen nicht mehr als teure, mit hochgezüchteten Spezialsystemen auf einen langjährigen Betrieb unter Weltraumbedingungen ausgerichtete Einzelstücke konstruiert werden, die beim Start bereits wieder technisch veraltet sind. Leistungsstarke Mikroelektronik aus irdischer Massenproduktion, leicht und mit geringen Bauraumerfordernissen genügt, um eine Funktion im All für wenige Monate oder gar nur Wochen darzustellen. Entsprechend preiswert und schnell gelingt die Fertigung von Orbitern hochautomatisiert in großen Stückzahlen. Daher rechnen sich nun Geschäftsmodelle mit Konstellationen in niedrigen Umlaufbahnen, im sogenannten „Low Earth Orbit“ oder kurz LEO in Höhen bis etwa 2.000 Kilometer. An solchen arbeiten viele neue, kommerzielle Unternehmen, die sich eher als Dienste- denn als Hardwareanbieter verstehen und das Konzept der Softwarebranche auf die Raumfahrt übertragen. Zweckdienliche Funktionalitäten werden den Nutzern bereits in einem noch unvollkommenen Zustand angeboten, denn neue, verbesserte Versionen lassen sich schnell realisieren. Die kurze Lebenserwartung der Billigsatelliten aus der Massenproduktion stellt in diesem Ansatz sogar eine nützliche Eigenschaft dar. Schließlich ist die nächste Generation mit verbesserter Leistung rasch verfügbar. Die Innovationsdynamik der Raumfahrt koppelt sich an die der Informationstechnologie an.

Unternehmen wie SpaceX, OneWeb oder Swarm Technologies haben die ersten Orbiter ihrer geplanten Konstellationen, die einen schnellen Internetzugang an jedem Punkt des Planeten bieten, bereits platziert. Iridiums von derzeit gut sechzig Satelliten gestütztes globales Telefonnetz erfährt eine Modernisierung, die auch die Datenübertragung gestattet. Auch Orbcomm bringt seine weltraumgestützten IoT-Plattformen, über die bereits mehr als 1,5 Millionen Maschinen weltweit Daten austauschen (M2M oder Maschine-zu-Maschine-Kommunikation) auf den neuesten Stand (IoT steht für Internet of Things, Internet der Dinge). PlanetLabs startete 2013 seinen ersten Erdbeobachtungssatelliten, 350 weitere folgten, von denen derzeit 140 in Betrieb sind. Darunter gut 100 selbstentwickelte Nanosatelliten (jeweils vier Kilogramm Gewicht bei Dimensionen von zehn mal zehn mal dreißig Zentimetern), die in einer Höhe von 400 Kilometern die Erde umkreisen. Kunden erhalten auf Bestellung hochaufgelöste Bilder von jedem beliebigen Ort auf der Erdoberfläche in flexibler zeitlicher Taktung. Die Konstellation wird stetig verbessert und erweitert, erst vor einigen Tagen kündigte die kalifornische Firma, die auch in Berlin über eine Niederlassung verfügt, höhere Auflösungen und die Abdeckung weiterer Spektralbänder an.

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Durch solche und viele weitere Anwendungen in den Bereichen Kommunikation, Ortung und Navigation, Erd- und Wetterbeobachtung entwickelt sich der LEO derzeit zu einem bedeutenden Investitionsstandort. Zählt man alle bereits begonnenen und (seriös erscheinenden) geplanten Projekte zusammen, kommen mehr als 20.000 Satelliten zusammen, die in den nächsten Jahren ins All gebracht werden wollen. Eine enorme Zahl angesichts der derzeit lediglich knapp 2.000 vorhandenen Orbiter. Ein Weltraumbahnhof stellt vor diesem Hintergrund eben keinen abgelegenen Startplatz für große Träger mehr dar, die nach entsprechend aufwendiger Vorbereitung zwei oder dreimal im Jahr abheben können. Er ist ein Verkehrsknotenpunkt, der die Erdoberfläche dauerhaft, regelmäßig und in dichter Taktung mit der Stratosphäre und dem erdnahen Weltraum verbindet. Einige Starts pro Tag müssen zur Pflege von Konstellationen schon möglich sein. Hinzu treten weitere Anwendungen, etwa die Handhabung von Weltraumschrott bis hin zur Rückholung ausgedienter Orbiter, die Versorgung von Raumstationen oder auch die Suche nach erdnahen Asteroiden, die uns entweder gefährlich werden könnten oder sich gar für den Weltraumbergbau eignen, was wiederum neue Verkehre induziert. Ländern, die über keine für solche Zwecke geeignete Infrastruktur verfügen, werden zurückbleiben und die Chancen von „New Space“ verpassen.

Es sind nicht die Boliden wie Sojus, Falcon oder Atlas, die den LEO effizient und effektiv bedienen können. Niemand denkt ernsthaft daran, eine Ariane von deutschem Boden aus zu starten. Stattdessen bieten kleine Träger wie die Pegasus von Orbital ATK oder der LauncherOne von Virgin Galactic die erforderliche Flexibilität zu weit geringeren Kosten. Solche Raketen werden von herkömmlichen Strahlflugzeugen, beispielsweise einer 747, zunächst in Höhen von zehn bis fünfzehn Kilometer transportiert, um erst dort abgeworfen und gezündet zu werden. Was dann aus Sicherheitsgründen über unbewohntem Gebiet geschehen sollte, etwa über dem offenen Ozean. Bald schon werden auch horizontal startende und landende Raketengleiter wie Virgin Galactics SpaceShipOne oder das Rocketplane XS des Unternehmens Rocketplane Global zur Verfügung stehen, die in der Stratosphäre und im erdnahen Weltraum Systeme aussetzen, manipulieren, reparieren und wieder einfangen. Hybride Triebwerke wie die sich derzeit in der Entwicklung befindende „Synergetic Air-Breathing Rocket Engine“, auch kurz SABRE genannt, ermöglichen einen luftatmenden, lärmreduzierten Atmosphärenflug ebenso, wie den reinen Raketenmodus in größeren Höhen.

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Die künftigen Weltraumbahnhöfe sind also eher Weltraumflughäfen. Sie brauchen keine Rampen, sondern Start- und Landebahnen in ausreichenden Dimensionen. Sie sollten in den mittleren Breiten liegen, von denen aus die für Konstellationen so wichtigen Umlaufbahnen mit hohen Inklinationen (Neigung gegen die Äquatorebene) energetisch günstig zu erreichen sind. Und an Küsten, damit man schnell in den Luftraum über dem Meer gelangt. Eine gute verkehrstechnische Anbindung und die räumliche Nähe zu wichtigen Industrie- und Dienstleistungszentren wären ebenfalls von Vorteil, um ihre Magnetwirkung auf die Ansiedlung von Firmen aus allen Segmenten der neu entstehenden Wertschöpfungsketten zu erhöhen.

Rostock-Laage und Cuxhaven-Nordholz bieten all dies. Die noch erforderlichen Hangarkapazitäten und technischen Einrichtungen zu Wartungs- und Reparaturzwecken, zur Treibstoffversorgung und zur Endmontage und Integration von Nutzlasten und Trägern stellen kein Hexenwerk dar. Die wahre Herausforderung liegt im Luftraummanagement, das auch die neuen, schnellen und vertikal orientierten Verkehrsströme sicher abwickeln muss. Dazu bedarf es eines jederzeit aktuellen und vollständigen Lagebildes über die Vorgänge in den oberen Schichten der Atmosphäre und darüber hinaus. Hochfliegende, solarbetriebene Stratosphärendrohnen und natürlich Orbiter im LEO selbst wären in dieser Hinsicht zur Ergänzung bodengestützter Radarsysteme sinnvoll.

TECHNOLOGIE
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Was letztendlich zur verteidigungspolitischen Dimension der Thematik führt. Wir werden in Zukunft nicht nur wissen müssen, was im erdnahen Weltraum geschieht. Wir werden auch die Fähigkeit benötigen, unsere dort installierten Einrichtungen zu schützen. Was die Zerstörung feindlicher Systeme einschließt, falls notwendig. Dazu aber bedarf es eines jederzeit verfügbaren Startplatzes, auf den wir hoheitlichen Zugriff haben. Missionen müssen innerhalb von Stunden möglich sein, nicht erst nach Tagen oder gar Monaten. Selbst wenn es „nur“ darum geht, rasch einen Schwarm simpler Nanosatelliten auszusetzen, der für einige Wochen hochgenaue Aufklärungsdaten aus einem Krisen- oder Katastrophengebiet liefert und das Rückgrat eines dort ad-hoc einzurichtenden, sicheren Kommunikationsnetzes bildet. Die Forderung des BDI, zusätzlich zur Einrichtung eines Weltraumbahnhofs auch einen eigenen kleinen, flugzeuggestützten Träger zu entwickeln, ist vor diesem Hintergrund mehr als gerechtfertigt.

All dies entlarvt die momentan in den sozialen Medien populäre Häme als kurzsichtig und unbegründet. Wer jetzt noch über das „ob“ diskutieren will, lebt im Gestern. Selbst über das „wo“ hat die Realität eigentlich schon entschieden. Es werden tatsächlich beide Standorte gebraucht, sowohl Rostock-Laage, als auch Nordholz. Die Bundesregierung sollte die zu treffenden Rechtssetzungen, vor allem ist ein Haftungsfragen klärendes Weltraumgesetz dringend notwendig, daher mit hoher Priorität bearbeiten. Und die Industrie ihrer „Berliner Erklärung“ auch Taten folgen lassen.

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