Hohn und Spott ergießen sich über Bundeswirtschaftsminister Altmaier, weil er den Wunsch der Wirtschaft nach einem deutschen Weltraumbahnhof ernsthaft prüfen möchte. Üblicher Reflex einer gleichermaßen saturierten wie trägen Gesellschaft, die Zukunft lieber vermeidet denn gestaltet. Könnte doch das Kommende die bequeme Vorstellung von der Gegenwart als bereits bestmöglicher aller denkbaren Welten zum Einsturz bringen. Immerhin trainiert der tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Wunsch nach überraschungsfreier Beständigkeit den Instinkt für Innovationen mit erheblichem Veränderungspotential. Wann immer also verschiedene, sonst miteinander streitende Interessengruppen unisono den Dreiklang aus „geht nicht“, „wird nicht gebraucht“ und „zu gefährlich“ anstimmen, ist Aufmerksamkeit geboten. Denn den Auslösern dieses harmonischen Chorgesangs wohnt häufig eine besondere Wirkmacht inne. In die Palette der dies bestätigenden Themen, man denke nur an Künstliche Intelligenz, an Genscheren wie das CRISPR/Cas-Werkzeug oder auch an den Individualverkehr in der Luft mit seinen Flugautos und Lufttaxis, reiht sich nun der Weltraumbahnhof nahtlos ein. Und tatsächlich ist es nicht nur sinnvoll, einen solchen in Deutschland einzurichten, sondern sogar geboten, wollen wir nicht erneut den Anschluss an eine bedeutende Entwicklung verpassen.
Die Zeiten, in denen Raumfahrt von öffentlich finanzierten Prestigeprojekten und Missionen zur Grundlagenforschung dominiert wurde, sind längst vorbei. Trotzdem hat sich bei vielen Zeitgenossen das Bild leistungsstarker und entsprechend dimensionierter Raketen festgesetzt, die Menschen zum Mond oder Sonden zu fernen Planeten transportieren. Manchen fallen vielleicht noch tonnenschwere und kleinbusgroße Satelliten ein, die aus dem geostationären Orbit Fernsehsignale übertragen. Aber auch dieses zumindest halbwegs kommerzielle Segment vermittelt nur eine Ahnung von den Wertschöpfungsmöglichkeiten, die sich heute bieten.
Unternehmen wie SpaceX, OneWeb oder Swarm Technologies haben die ersten Orbiter ihrer geplanten Konstellationen, die einen schnellen Internetzugang an jedem Punkt des Planeten bieten, bereits platziert. Iridiums von derzeit gut sechzig Satelliten gestütztes globales Telefonnetz erfährt eine Modernisierung, die auch die Datenübertragung gestattet. Auch Orbcomm bringt seine weltraumgestützten IoT-Plattformen, über die bereits mehr als 1,5 Millionen Maschinen weltweit Daten austauschen (M2M oder Maschine-zu-Maschine-Kommunikation) auf den neuesten Stand (IoT steht für Internet of Things, Internet der Dinge). PlanetLabs startete 2013 seinen ersten Erdbeobachtungssatelliten, 350 weitere folgten, von denen derzeit 140 in Betrieb sind. Darunter gut 100 selbstentwickelte Nanosatelliten (jeweils vier Kilogramm Gewicht bei Dimensionen von zehn mal zehn mal dreißig Zentimetern), die in einer Höhe von 400 Kilometern die Erde umkreisen. Kunden erhalten auf Bestellung hochaufgelöste Bilder von jedem beliebigen Ort auf der Erdoberfläche in flexibler zeitlicher Taktung. Die Konstellation wird stetig verbessert und erweitert, erst vor einigen Tagen kündigte die kalifornische Firma, die auch in Berlin über eine Niederlassung verfügt, höhere Auflösungen und die Abdeckung weiterer Spektralbänder an.
Es sind nicht die Boliden wie Sojus, Falcon oder Atlas, die den LEO effizient und effektiv bedienen können. Niemand denkt ernsthaft daran, eine Ariane von deutschem Boden aus zu starten. Stattdessen bieten kleine Träger wie die Pegasus von Orbital ATK oder der LauncherOne von Virgin Galactic die erforderliche Flexibilität zu weit geringeren Kosten. Solche Raketen werden von herkömmlichen Strahlflugzeugen, beispielsweise einer 747, zunächst in Höhen von zehn bis fünfzehn Kilometer transportiert, um erst dort abgeworfen und gezündet zu werden. Was dann aus Sicherheitsgründen über unbewohntem Gebiet geschehen sollte, etwa über dem offenen Ozean. Bald schon werden auch horizontal startende und landende Raketengleiter wie Virgin Galactics SpaceShipOne oder das Rocketplane XS des Unternehmens Rocketplane Global zur Verfügung stehen, die in der Stratosphäre und im erdnahen Weltraum Systeme aussetzen, manipulieren, reparieren und wieder einfangen. Hybride Triebwerke wie die sich derzeit in der Entwicklung befindende „Synergetic Air-Breathing Rocket Engine“, auch kurz SABRE genannt, ermöglichen einen luftatmenden, lärmreduzierten Atmosphärenflug ebenso, wie den reinen Raketenmodus in größeren Höhen.
Rostock-Laage und Cuxhaven-Nordholz bieten all dies. Die noch erforderlichen Hangarkapazitäten und technischen Einrichtungen zu Wartungs- und Reparaturzwecken, zur Treibstoffversorgung und zur Endmontage und Integration von Nutzlasten und Trägern stellen kein Hexenwerk dar. Die wahre Herausforderung liegt im Luftraummanagement, das auch die neuen, schnellen und vertikal orientierten Verkehrsströme sicher abwickeln muss. Dazu bedarf es eines jederzeit aktuellen und vollständigen Lagebildes über die Vorgänge in den oberen Schichten der Atmosphäre und darüber hinaus. Hochfliegende, solarbetriebene Stratosphärendrohnen und natürlich Orbiter im LEO selbst wären in dieser Hinsicht zur Ergänzung bodengestützter Radarsysteme sinnvoll.
Was letztendlich zur verteidigungspolitischen Dimension der Thematik führt. Wir werden in Zukunft nicht nur wissen müssen, was im erdnahen Weltraum geschieht. Wir werden auch die Fähigkeit benötigen, unsere dort installierten Einrichtungen zu schützen. Was die Zerstörung feindlicher Systeme einschließt, falls notwendig. Dazu aber bedarf es eines jederzeit verfügbaren Startplatzes, auf den wir hoheitlichen Zugriff haben. Missionen müssen innerhalb von Stunden möglich sein, nicht erst nach Tagen oder gar Monaten. Selbst wenn es „nur“ darum geht, rasch einen Schwarm simpler Nanosatelliten auszusetzen, der für einige Wochen hochgenaue Aufklärungsdaten aus einem Krisen- oder Katastrophengebiet liefert und das Rückgrat eines dort ad-hoc einzurichtenden, sicheren Kommunikationsnetzes bildet. Die Forderung des BDI, zusätzlich zur Einrichtung eines Weltraumbahnhofs auch einen eigenen kleinen, flugzeuggestützten Träger zu entwickeln, ist vor diesem Hintergrund mehr als gerechtfertigt.
All dies entlarvt die momentan in den sozialen Medien populäre Häme als kurzsichtig und unbegründet. Wer jetzt noch über das „ob“ diskutieren will, lebt im Gestern. Selbst über das „wo“ hat die Realität eigentlich schon entschieden. Es werden tatsächlich beide Standorte gebraucht, sowohl Rostock-Laage, als auch Nordholz. Die Bundesregierung sollte die zu treffenden Rechtssetzungen, vor allem ist ein Haftungsfragen klärendes Weltraumgesetz dringend notwendig, daher mit hoher Priorität bearbeiten. Und die Industrie ihrer „Berliner Erklärung“ auch Taten folgen lassen.