Tichys Einblick
Wie grüner Nihilismus das Land paralysiert

Windmühlen sind Heiligtümer einer falschen Nachhaltigkeit

Deutschland verliert seine Wirtschafts- und Innovationskraft. Weil sich seine Gesellschaft umfassend einer lähmenden Maxime unterworfen hat, die jeden Fortschritt im Keim erstickt. Der irrationale Glaube an das Heilsversprechen einer fiktiven Nachhaltigkeit ist nicht nur unbegründet, sondern auch gefährlich.

IMAGO / blickwinkel

Seit jeher prägt das Ringen zwischen Glauben und Wissen die Entwicklung der menschlichen Zivilisation. Seit jeher steht die vorbehaltlose Akzeptanz einer von anerkannten Autoritäten formulierten Maxime gegen deren kritische Überprüfung. Und seit jeher lockt die intellektuelle Anpassung an den vorherrschenden Zeitgeist mit dem berauschenden Gefühl moralischer Überlegenheit und dem Versprechen sinnstiftender Orientierung. Konformität erleichtert Kooperation, was jene zusätzlich belohnt, die sich trotz fehlender Evidenz an etablierte Anschauungen klammern. Allzu ernüchternd gestaltet sich im Vergleich der anstrengende Erwerb von Wissen, der ja auch nicht mit letztgültigen Wahrheiten belohnt. Aber eine unvoreingenommene Berücksichtigung der Fakten gestattet zumindest, manche nicht zweifelsfrei belegbare Überzeugungen als potentielle Irrtümer zu identifizieren.

Wissen induziert Fragen, deren Beantwortung Glaubenssätze als Mumpitz entlarvt und neues Wissen schafft. Der Beharrlichkeit des Glaubens obliegt es, den so ermöglichten Fortschritt in akzeptable Bahnen zu lenken. Problematisch wird dieser im historischen Verlauf nicht selten fruchtbare Konflikt, wenn der Glauben von einer spirituell höchst anziehenden These ausgeht, deren scheinbare Offensichtlichkeit jeden Zweifel axiomatisch als gleichermaßen unhaltbar wie verwerflich verurteilt. Wann immer sich Gemeinwesen einer solchen Direktive unterwerfen, folgen Stagnation und Niedergang.

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In der gegenwärtigen Misere Deutschlands zeigt sich dieser Zusammenhang. Denn der wirtschaftliche Abstieg einer einst führenden Industrienation fällt nicht zufällig mit der rasanten Karriere einer realitätsfernen Doktrin zusammen. Der Ursprung aller Schwierigkeiten heißt Nachhaltigkeit.

Deren bis heute anerkannte Definition auf den 1987 unter dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“ veröffentlichten Abschlussbericht der von der UN eingesetzten „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ zurückgeht. Demgemäß eine Entwicklung dann „nachhaltig“ sei, wenn sie gegenwärtige Bedürfnisse befriedige, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu riskieren, ihren Bedürfnissen ebenfalls nachzukommen. Das zuvor wertneutrale Synonym für „Beständigkeit“, „Wirksamkeit“ oder „Nachdrücklichkeit“ meint seitdem „Generationengerechtigkeit“. Notwendig seien an dieser Vorgabe ausgerichtete, jedes menschliche Handeln betreffende Verhaltensänderungen, weil andernfalls die mit der Zerstörung „natürlicher Lebensgrundlagen“ einhergehende Überschreitung absoluter Wachstumsgrenzen drohe. Im alltäglichen Sprachgebrauch steht „Nachhaltigkeit“ daher auch für „möglichst wenig Einfluss auf die Natur“.

Das nach seiner Vorsitzenden, der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, auch „Brundtland-Kommission“ genannte Gremium gab mit dieser Dogmatik der symbiotischen Beziehung zwischen sozialistischen und ökologischen Ideologien eine stabile Architektur. Weidlich nutzte die Sozialistin Brundtland den ihr gewährten Freiraum hinsichtlich der Zusammensetzung des Ensembles aus und trommelte 22 ausschließlich dem linken politischen Spektrum angehörende Persönlichkeiten (darunter einige Umweltaktivisten) zusammen. Dem Bild des gesellschaftlichen Zwängen hilflos ausgelieferten Menschen mit der Abhängigkeit von der Umwelt einen weiteren Aspekt hinzuzufügen, verschaffte dem Sozialismus eine Renaissance in grüner Gewandung.

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Begierig greifen seither die Kollektivisten in Parteien und Bürokratien, in Medien, Vereinen und Verbänden, in Wirtschaft und Wissenschaft den Ökosozialismus, kurz Ökologismus, und seinen neuen, elegant und eingängig formulierten Slogan auf, um mit einem neuen Heilsversprechen zu mobilisieren. Der Erfolg war und ist überwältigend. Alle wollen heute nachhaltig sein oder sich zumindest für mehr Nachhaltigkeit einsetzen, um nicht von vornherein als Vertreter abseitiger und indiskutabler Meinungen zu gelten. Alle mit der Eigenschaft „nachhaltig“ etikettierte Vorhaben sind weitgehend gegen jede Kritik an den mit ihnen verfolgten Zielen immunisiert. Gestritten wird längst nicht mehr über das „ob“, sondern höchstens noch über das „wie“, wenn Transformationen am Reißbrett entworfen und als planwirtschaftliche Wenden erzwungen werden sollen. Schließlich mahne das immer wieder angeführte Schicksal der Osterinsel zur Umkehr, will die Menschheit überleben.

Doch falls die Hypothese stimmt, die polynesische Urbevölkerung von Rapa Nui hätte sich durch Raubbau, insbesondere durch eine mit Entwaldung und Bodenerosion einhergehende Intensivlandwirtschaft selbst vernichtet, war es Stillstand, der zum Untergang führte. Auch die isländischen Urwälder wurden nach ungefähr zeitgleicher Ankunft der ersten Siedler rasch gerodet und heute ist die Insel nahezu frei von Bäumen, was aber nie Probleme bereitete. Die Konzentration auf Weidewirtschaft und Fischerei in Verbindung mit der Einbindung in ein nordatlantisch/europäisches Handelsnetz bot ein gutes Auskommen und spülte ständig neue Optionen an die Küsten der nordischen Vulkaninsel.

Während man also in der Südsee höchst nachhaltig an Isolation und tradierten Wirtschaftsweisen festhielt, reagierten die Wikinger mit weltoffener, proaktiver Flexibilität. Und entfesselten so den Erfindungsgeist, der dauerhaft bestehenden Ansprüche wie Gesundheit, Ernährung, Mobilität oder Kommunikation mit einer immer größeren Vielfalt an Angeboten begegnet. Die dadurch entstehende Unklarheit, sowohl hinsichtlich der Mittel, über die unsere Erben dereinst verfügen, als auch hinsichtlich ihrer dann drängenden Wünsche, macht Nachhaltigkeit zu einem sinnlosen Ratgeber. Wer im Jetzt Weiden oder Felder benötigt, fälle halt die Wälder. Bäume sind ohnehin nicht mehr relevant, sobald Steinkohle für die Energieerzeugung, Ziegel für Gebäude und Bleche für Schiffe bereitstehen.

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Pessimisten glauben, diese Art des Wachstums, das Mangel in Überfluss und Minderwertigkeit in Qualität überführt, habe sein Potential ausgereizt. Sie begreifen nicht, wie jede Innovation direkt oder indirekt eine weitere induziert, was den Raum des Machbaren schneller erweitert, als man ihn ausnutzen könnte. Und die Umweltbewegten ignorieren den artifiziellen Charakter des vollständig menschgemachten Lebenserhaltungssystems, das erst die Bewohnbarkeit des „Raumschiffes Erde“ garantiert. In dieses biologische Prozesse zu integrieren, künstlich editiert und gelenkt, etwa in der Landwirtschaft oder der Medizin, fixiert gerade nicht eine bleibende Abhängigkeit von der Natur.

Ganz im Gegenteil verliert deren schon immer nur marginaler Beitrag durch zunehmend effektivere Maschinen und Verfahren jegliche noch verbliebene Relevanz. Und da uns weder die Atome ausgehen, auf deren zweckgerichteter Kombination alle Technik beruht, noch die Kreativität, die unsere Fertigkeiten zur Neuordnung der Materie stetig erweitert und verbessert, gibt es keine Grenzen des Wachstums. Mitnichten sind die dazu erforderlichen Ressourcen kostbare und knappe Geschenke der Natur. Sie werden vom Menschen durch die Anwendung von unbegrenzt verfügbarem Wissen geschaffen und unterliegen daher keinen prinzipiellen Beschränkungen.

Eingedenk dessen besteht das menschliche Erfolgsrezept seit jeher darin, die Gegenwart mit den verfügbaren Werkzeugen zu verbessern, ohne sich von fiktiven Problemen lähmen zu lassen, die deswegen in fünfzig oder hundert Jahren auftauchen könnten. Man räumt halt die auf dem jeweiligen Stand der Technik sicht- und handhabbaren Hindernisse aus dem Weg und verplempert die Zeit nicht mit der Sorge um noch nicht existente Nachfahren. So haben die mittelalterlichen Isländer ohne jede vorausschauende Rücksicht auf das Seelenheil heutiger Tierfreunde ihre Walfangmethoden immer weiter verfeinert.

Dagegen richtet sich die Furcht, eine primär auf ihr aktuelles Wohlergehen bedachte Generation könne ungewollt katastrophale Folgen auslösen. Begleitet von der Sorge vor den potentiell ebenso zerstörerischen Nebenwirkungen denkbarer Lösungen. Der rational bestehende Widerspruch zwischen der Angst vor Klimawandel oder Artensterben und der gleichzeitigen Ablehnung von Kernenergie oder Gentechnik löst sich in Wohlgefallen auf, wenn die Nachhaltigkeitsdogmatik das Denken regiert. Was für ein wirkmächtiger mentaler Parasit, der die Emotionen, von denen er sich nährt, nicht nur rechtfertigt, sondern auch noch selbst schürt und verstärkt! Die gegenwärtig nirgends so stark wie in Deutschland ausgeprägte Marginalisierung des Wissens durch den Glauben in Politik und Medien beruht auf dieser perfiden Selbstbezüglichkeit.

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Wenn aber das Weitergehen auf bekannten Wegen ebenso ins Verderben führt wie das Beschreiten neuer, bleiben nur Stillstand oder Umkehr. Die Genügsamkeit der Nachhaltigkeit lässt hierzulande Überzeugungen wachsen, nach denen Lastenräder, Wärmepumpen und Gebäudedämmungen aussichtsreiche Wertschöpfungsquellen seien, während die Welt an Fusionskraftwerken, Quantencomputern und Mondstationen arbeitet. Der Mystizismus der Nachhaltigkeit impliziert den Umstieg auf ertragsarme Biolandwirtschaft, während anderswo hochproduktive hydroponische Farmfabriken oder Bioreaktoren den Acker gleich ganz ersetzen.

Die Rigorosität der Nachhaltigkeit gebietet die Abschaffung des Individualverkehrs und der Fliegerei, während an Flugtaxis und Raketengleitern gebaut wird. Und betroffen sind längst nicht nur alle Hoch- und Spitzentechnologien, bei denen Deutschland bereits einen Rückstand von zehn Jahren oder mehr aufgebaut hat. Nachhaltigkeit paralysiert die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft in allen Branchen und Sektoren, führt dadurch zu Wohlstandsverlusten, sozialen Spannungen und Verteilungskämpfen. Noch kann man das durch den Rückgriff auf die im letzten Jahrhundert erarbeitete Substanz in einem gewissen Umfang abfangen. Nachhaltigkeit ist nicht zuletzt deswegen hierzulande so populär, weil man sie sich (noch) leisten kann.

Für die Rapa Nui galt das nicht. Ihnen wäre im Rahmen einer „nachhaltigen Entwicklung“ kein Ausweg außer der Einstellung der Landwirtschaft und der Rückkehr zu einer steinzeitlichen Jäger- und Sammlerkultur mit strikter Regulierung der Bevölkerungsgröße geblieben. Materielle, intellektuelle und gegebenenfalls auch territoriale Expansion als Alternativen kamen ihnen nicht in den Sinn. Die Isländer hingegen haben die Walpopulationen weit genug reduziert, um heute von diesen auf andere Weise zu profitieren. Wale sind selten, die Begegnung mit ihnen also werthaltig genug, um zahlende, mit Kameras statt Harpunen ausgerüstete Touristen anzulocken. Was Nachhaltigkeit als Raubbau verdammt, nutzen die Klügeren für neue Geschäftsmodelle. Island bietet seinen Einwohnern heute einen Lebensstandard wie kaum ein anderes Land und teilt sich mit Hongkong den vierten Platz im „Human Development Index“ der UN. Und forstet übrigens wieder auf, weil man es kann und möchte.

Deutschland hingegen ist einem Hirngespinst erlegen. Wie einst die Osterinsulaner alle verbliebene Kraft in die Errichtung steinerner Statuen legten, um Götter, Ahnen oder sonst wen um Hilfe zu bitten, baut man hierzulande Windmühlen zur Anrufung der Nachhaltigkeit. Die Zukunft aber gewinnt nur, wer den Götzen entsagt und wieder wissen will, statt nur zu glauben. Sonst bleibt nur der Untergang.

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