Wann immer ein technischer Erfolg in der öffentlichen Rezension nahezu einhellig als gefährlich, unbrauchbar, verantwortungslos und verbotswürdig gebrandmarkt wird, handelt es sich um eine bahnbrechende Neuerung. Liegt doch das Wesen jeder bedeutenden Innovation darin, einen bislang ungekannten Nutzen durch die Überwindung irrationaler Ängste, übertriebener Vorbehalte und bornierter moralischer Grenzziehungen zu schaffen. Aus dieser Perspektive hat He Jiankui alles richtig gemacht. Und sich nicht nur einen Nobelpreis gesichert, den er allerdings erst in dreißig Jahren bekommen wird, sondern auch noch einen Multimilliarden-Dollar-Markt initialisiert. Denn was ist für angehende Eltern attraktiver als eine Garantie auf gesunden Nachwuchs?
In ihrer etablierten Form bietet die In-vitro-Fertilisation (IVF) eine solche lediglich eingeschränkt. Diagnostische Methoden gestatten die Untersuchung der außerhalb des Mutterleibs erzeugten Embryonen auf zahlreiche genetische Defekte. Und natürlich finden Analysen statt, die die Erfolgswahrscheinlichkeit einer künstlichen Befruchtung erhöhen sollen. Passive Ansätze für eine Negativauslese, die vermeiden helfen, mit Sicherheit kranke Kinder auszutragen und zur Welt zu bringen. Zweckmäßiger wäre eine positive Selektion, bei der von vornherein nur gegen bestimmte Risiken und Krankheiten vollständig gewappnete Blastozysten in die mütterliche Gebärmutter transferiert werden.
Nach allem, was man derzeit weiß, hat He Jiankui diesen Ansatz erstmals erfolgreich demonstriert. Im November 2018 gab der 34jährige chinesische Biophysiker, Professor an der Universität Shenzhen und Gründer zweier Biotech-Startups, die Geburt weiblicher, mittels künstlicher Befruchtung gezeugter Zwillinge bekannt, deren Erbgut von ihm mit der CRISPR/Cas-Genschere bereits im Keimstadium verändert wurde. Noch steht eine unabhängige Begutachtung des Projektes aus. Noch hat er die Details seines Vorgehens und seiner Resultate nicht in einer Fachpublikation veröffentlicht. Die Erfahrung mit schlagzeilenträchtigen Botschaften aus asiatischen Genlaboren lehrt Skepsis. Aber bis zum Beweis des Gegenteils sollten seine bislang getätigten Angaben als wahrheitsgemäß angesehen werden. Schließlich wird, selbst wenn He übertreibt oder gar lügt, der nächste gleichgelagerte Versuch irgendeines Wissenschaftlers irgendwo auf der Welt nicht lange auf sich warten lassen. Zu niedrig sind mittlerweile die technischen Hürden geworden, die es für einen solchen zu nehmen gilt. Und die von vielen Kommentatoren noch immer trotzig verteidigte, aus ethischen Spiegelfechtereien gezimmerte Grenzmauer wurde nun mit großem Geschick pulverisiert.
Jedenfalls zeugt es von argumentativer Beliebigkeit, einerseits die tägliche Vernichtung tausender theoretisch entwicklungsfähiger Embryonen in Fruchtbarkeitskliniken rund um den Erdball zu akzeptieren und gleichzeitig weitergehende Experimente mit diesen als unvertretbare Menschenversuche zu brandmarken. Zumal mittels genchirurgischer Eingriffe die Notwendigkeit zur Produktion überzähliger Zygoten während einer IVF deutlich reduziert werden könnte.
Die Natur nachbauen
He ein riskantes Glücksspiel vorzuwerfen, ignoriert außerdem seine Wahl eines vergleichsweise einfachen Eingriffs. Der mitnichten künstliche, bislang unbekannte Eigenschaften in die menschliche Keimbahn integriert, sondern lediglich nachbaut, was die Natur selbst bereits realisiert. Von hundert Europäern oder deren Nachfahren auf anderen Kontinenten trägt ohnehin einer jene Mutation, über die nun wohl eines der neugeborenen Mädchen auch verfügt und die ihr Immunität gegenüber einer Ansteckung mit dem AIDS-Virus verleiht. Was möglicherweise, die Wissenschaft vermag das nicht genau zu sagen, mit einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber einigen anderen Infektionskrankheiten einhergeht. Das ist eben der Kompromiss, den die Eltern bewusst und freiwillig eingegangen sind. Alle an dem Projekt beteiligten Paare schätzen den möglichen Vorteil eines risikofreien Umgangs der jeweils HIV-positiven Väter mit ihren Kindern höher ein als die potentiellen Nachteile eventueller Nebenwirkungen. Eine auf Basis persönlicher Umstände individuell getroffene Entscheidung, die zu verdammen externen Beobachtern nicht zusteht.
Kommissionen sind nicht legitimiert(er)
Aber dürfen denn Eltern überhaupt in die genetische Ausstattung ihrer Kinder eingreifen? Bislang jedenfalls konnte sich noch kein Embryo sein Genom selbst aussuchen. Mutter und Vater determinieren dieses schon immer eigenständig und eigenverantwortlich, wenn sie sich vereinen. Obwohl auch sie keine Möglichkeit haben, die Folgen umfassend abzusehen. Weil das Ergebnis in wesentlichen Teilen immer zufällig ausgewürfelt wird. Einer aus wenigen Zellen bestehenden, morphologisch undifferenzierten Struktur in einer Petrischale, die nicht mehr als einen Datenträger darstellt, ein in der Praxis nicht umsetzbares Mitbestimmungsrecht einzuräumen, wäre zweifellos absurd. Es stattdessen einer Kommission zu übertragen, wie heute in vielen Ländern bei speziellen fortpflanzungsmedizinischen Fragestellungen bereits üblich, kann nur als anmaßende Despotie gewertet werden. Das Erbgut der Nachkommen zu deren Gunsten verändern zu dürfen, erweitert hingegen individuelle Selbstbestimmungsrechte um eine gewisse genetische Autonomie. In zumindest einigen wesentlichen Aspekten Unabhängigkeit von natürlicher Willkür und Ungerechtigkeit zu erlangen, stellt einen Akt der Befreiung dar. Für Eltern und Kinder gleichermaßen.
Wie bei allen neuen Produkten rechtfertigt rückblickend vor allem der Erfolg das Vorgehen des Entwicklers. He Jiankui wird die in den Mutterleib zu implantierenden Embryonen so sorgfältig ausgewählt haben, wie es in herkömmlichen Kinderwunschpraxen auch üblich ist. Die erfolgreiche Einnistung der gentechnisch modifizierten Blastozysten im Uterus, ihr anschließendes Heranwachsen zu intakten Föten und ihre Geburt als gesunde Babys bestätigen seine Verfahrensweise. Denn hätte er etwas falsch gemacht, hätten natürliche Selektionsmechanismen in all ihrer ethisch nicht bewertbaren Gnadenlosigkeit diesen Ablauf konsequent unterbunden. Ihm Leichtsinn zu unterstellen, blendet die Vorgeschichte aus.
Noch handelt es sich lediglich um eine exemplarische Darstellung funktionaler Prinzipien anhand eines niedrigschwelligen Einsatzes für eine kleine, sehr spezifische Zielgruppe. Die wenigsten Menschen werden nun mit dem Wunsch ein Labor aufsuchen, ihren Nachfahren HIV-Immunität zu schenken. Aber weitere Anwendungen erscheinen jetzt rasch realisierbar. Vor allem gibt es nun Hoffnung für alle Paare, die befürchten müssen, ihren Kindern schwere genetisch bedingte Erkrankungen zu vererben. In vielen Fällen, in denen keine vollständige Immunität gewährleistet werden kann, bestehen zumindest Möglichkeiten für eine deutliche Verminderung bestimmter Risiken.
He Jiankui hat die In-vitro-Fertilisation, ein bisher rein auf die Behebung von Reproduktionshindernissen ausgerichtetes Verfahren, um therapeutische Elemente ergänzt. Und damit das Fundament für eine neue, vielversprechende Dienstleistung geschaffen, eine neue Art der künstlichen Befruchtung, die schon bald aus Sicht vieler angehender Eltern der natürlichen überlegen sein wird. Es mögen sich allerlei unterschiedlich motivierte Maschinenstürmer und selbsternannte Menschheitsretter nun ereifern, soviel sie mögen. Die Sache ist in der Welt und kann nicht mehr zurückgenommen, nicht mehr nicht gedacht, nicht mehr nicht gemacht werden. Sollte man hierzulande mit Ignoranz und Verboten reagieren, werden in naher Zukunft eben viele deutsche Paare ihre Flitterwochen dort verbringen, wo Fruchtbarkeitskliniken mit entsprechenden Angeboten locken. Und schwanger zurückkehren, in guter Hoffnung auf Babys, denen so manches schlimme Schicksal erspart bleibt. Wer gegen Innovationen Krieg führt, kämpft in Wahrheit gegen die Menschen, die von ihnen profitieren. Und verliert daher immer.