„Nu hamwa Regierungskrise“ – so oder ähnlich schallt es von überall her. Dabei ist das falsch, die geschäftsführende Regierung ist nicht in einer Krise, sie regiert weiter munter vor sich hin. Da das Merkel’sche Matriachat auch bisher ohne Parlament auskam, wird ihr das Fehlen einer Parlamentsmehrheit nicht viel ausmachen. Sie ist ja schließlich geübt darin, allein zu regieren, business as usual.
Ist der Staat in einer Krise? Und wenn ja, seit wann? Diese Fragen sind schon spannender. Die Antwort hängt weitgehend von der Definition ab. Man kann Staatskrise allgemein als einen Zustand definieren, in dem die staatliche Ordnung in ihrem Bestand gefährdet ist. Wann aber ist sie das? Muss erst alles zusammen gebrochen sein, Polizeiwachen überrannt, Gerichte non existent? Oder reicht es, wenn diese in ihrer Handlungsfähigkeit derart eingeschränkt sind, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können (dürfen)? Wenn man vier, fünf oder mehr Jahre auf die Bearbeitung eines ganz normalen Zivilprozesses wartet, wenn Kriminelle aus U-Haft entlassen werden und die Aufklärung von Verbrechen von vornherein nur punktuell geschieht, kann man das dann ernsthaft als staatliche Ordnung bezeichnen? Oder ist es staatliche Unordnung? Und ab wann geht dies so weit, dass es kritisch ist?
Oder ist die staatliche Ordnung nicht mehr als „nur“ die Exekutivorgane? Was ist denn mit der Gewaltenteilung, d. h. dem Parlamentsvorbehalt? Reicht es aus, pro forma einen Abnickverein zu installieren, den auch noch aufzublähen und diesen als eine Art Potemkinsches Dorf aller Welt vorzuzeigen? Reicht das aus?
Was ist denn mit dem für westliche Demokratien ganz grundlegenden Rechtsstaatsgrundsatz? Dieser betrifft nicht den kleinen Mann, er bedeutet, dass sich die staatliche Gewalt (sic!) strikt an Recht und Gesetz halten muss. Illegales Handeln ist aber Markenkern der letzten Jahre gewesen, angefangen vom Bruch des Maastricht Vertrages über den Atomausstieg bis hin zum Zulassen von massenweiser illegaler Einwanderung.
Willkürlich ist auch ein Eingriff, der „ohne sachlich rechtfertigenden Grund“ geschieht. Vor Kurzem las ich einen Artikel über die Stickoxid-Messwerte am Neckartor in Stuttgart. Dort, wo sie gemessen werden, sind sie zu hoch, aber nur wenige Meter entfernt sieht das schon ganz anders aus. Man hat die Messstellen an die Brennpunkte gestellt und weil dort – und nur dort! – die Belastung so hoch ist, soll es flächendeckend Fahrverbote geben? Und das, wo die Grenzwerte für den zulässigen Stickoxidausstoß ganz unterschiedlich sind, in der Wohnung und am Arbeitsplatz höhere Werte zulässig sind als an Straßen? Von oben herab bekommt der Bürger dann zu hören, das sei eben so, dass seien EU-Grenzwerte, die müssten eingehalten werden. Ja, geht‘s noch?
Unsere westliche Demokratie, die auf Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten inklusive Meinungsfreiheit beruht, ist demontiert worden. Leise und geduldig, Stück für Stück, kaum einer hat es gemerkt. Wir sind auf dem Weg zurück ins Mittelalter und was viel besser ist, Freunde: Wir sind schon ein gutes Stück vorangekommen! Wir sind wirklich super, wir schaffen das!
Staatskrise?
Ja, wir haben eine Staatskrise. Aber nicht durch das Platzen der Jamaika-Blase. Diese Staatskrise haben wir schon lang, sie hat sich unbemerkt ausgebreitet. Nicht nur bei uns, sondern in vielen westlichen Ländern. Wir haben Mitte des letzten Jahrhundert einen entscheidenden Fehler gemacht: Wir haben nämlich nichts, wirklich gar nichts aufgearbeitet. Die ständig wie eine Leier wiederholten „Mea culpa, mea maxima culpa“ – Rufe der Deutschen haben verdeckt, dass eine inhaltliche Aufarbeitung der Geschehnisse der gesamten ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht stattfand. Unsere ehemaligen Feinde gaben sich damit zufrieden und feiern sich bis heute als Sieger. So aber kommt kein Lernprozess zustande.
Adenauer war einer der Wenigen, der die Notwendigkeit sah, nicht nach Schuld, sondern nach Ursachen zu suchen:
„Wie war dieser Absturz des deutschen Volkes bis ins Bodenlose möglich?…Wir wollen doch wieder heraus aus diesem Elend, aus dieser Tiefe; aber wie können wir den rechten Weg finden zum Aufstieg, wenn wir nicht erkennen, was uns in die Tiefe geführt hat?…
Was sind die tiefsten Gründe dafür, dass wir schließlich in einen solchen Abgrund gestürzt sind? Auf die Einzelheiten kommt es bei einer solchen Untersuchung nicht an; sie sind auch vielfach noch nicht klar gestellt, aber die tieferen, die wirkenden Ursachen dieser Katastrophe liegen klar zutage. Sie reichen weit zurück vor das Jahr 1933. Der Nationalsozialismus hat uns unmittelbar in die Katastrophe hineingeführt. Das ist richtig. Aber der Nationalsozialismus hätte in Deutschland nicht zur Macht kommen können, wenn er nicht in breiten Schichten der Bevölkerung vorbereitetes Land für seine Giftsaat gefunden hätte. Ich betone, in breiten Schichten der Bevölkerung…..
Das deutsche Volk krankt seit vielen Jahrzehnten in allen seinen Schichten an einer falschen Auffassung vom Staat, von der Macht, von der Stellung der Einzelperson. Es hat den Staat zum Götzen gemacht und auf den Altar erhoben. Die Einzelperson, ihre Würde und ihren Wert hat es diesem Götzen geopfert. Die Überzeugung von der Staatsomnipotenz, von dem Vorrang des Staates und der im Staat gesammelten Macht vor allen anderen, den dauernden, den ewigen Gütern der Menschheit, ist in zwei Schüben in Deutschland zur Herrschaft gelangt….“.
Adenauer versuchte, die Bonner Republik anders zu gestalten, was aber nicht gänzlich gelang. Die Nachkriegsgeneration suhlte sich dann in moralischer Überlegenheit, meint bis heute, wer in seiner Jugend nicht links gewesen sei, sei herzlos. Ist das so? Oder ist es so, dass nur einige, wenige die fundamentale Fähigkeit haben, die Folgen des Handelns stets zu bedenken und den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik kennen? Das kann man übrigens auch mit 18 Jahren. Tatsächlich setzte sich die Generation ins mühsam gemachte Nest und hatte mehr Angst als Vaterlandsliebe. Im wörtlichen Sinne sogar, sie wollte lieber rot als tot sein. Verbal kämpfen, Randale machen, das ist alles in Ordnung, wenn es aber ernsthaft gefährlich wird, dann sind sie bis heute ganz schnell weg. Da sie nicht viel Hirn hatte, war sie intellektuell viel zu impotent, um die Gefahren der Atomkraft auch nur annähernd realistisch abschätzen zu können, fürchtete die böse, unsichtbare Strahlung aber ebenso wie frühere Generationen die Flüche von Hexen oder damals unerklärliche Naturereignisse.
Nun wundern sich viele über den „Linksruck“ in unserem Land, aber er ist doch eine völlig klare, logische Folge! Wenn man die links-grünen Intellektuellen des Westen mit den sozialistisch sozialisierten Generationen des Ostens zusammenpackt, dann verschieben sich die Mehrheiten nach links. Dann ist dort die neue Mitte. Und dann sind wir wieder genau dort, wo wir standen, als das Desaster anfing.
Merkel wird beschimpft, obwohl sie nur die Mehrheiten, die sie vorfand, politisch nutzte. Deshalb war und ist sie in breiten Bevölkerungsschichten so beliebt, denn sie gab den Deutschen das, was sie wollten: Einen starken Staat, eine fürsorgliche Mutti, die sich schon um uns kümmert. Jedenfalls das Gefühl davon. Der Rest ist egal, die meisten sehen nicht einmal, dass wir damit das zerstören, was uns trägt. Wie heißt es so schön: „Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet.“. Indem der Kapitalismus den Kommunismus besiegte, taugte er nicht mehr als Achse im Koordinatensystem. Mit seinem Sieg zerstörte er sich selbst.
Statt weiter zu machen wie bisher, uns im Tagesgeschäft aufzureiben, sollten wir mal alle tief Luft holen und nachdenken. Wir können die Zukunft nicht gewinnen, indem wir in die Vergangenheit zurückkehren. Genau das aber ist der Weg der letzten Dekaden. Die meisten Deutschen und Europäer wollen nicht zurück, sie wollen eine Zukunft. Sie habe daher auch keine Lust, ein Miteinander auf einem Niveau neu auszuhandeln, das dem vergangener Jahrhunderte entspricht, ebenso wenig wie mit Eselskarren oder Kutschen fahren. Wir wollen und müssen weiter in die Zukunft.
Klar ist, dass wir die Demokratie, wenn wir sie erhalten wollen (und das will ich unbedingt), weiter entwickeln müssen. Der erste Schritt wäre, dass der Staat grundsätzlich nur maximal ein Viertel der Einnahmen der Bürger beanspruchen darf und damit auskommen muss. Meinetwegen auch nur der legendäre Zehnte, aber das könnte knapp werden.
Die Schuldenobergrenze ist schneller Makulatur, als sie Gesetz wurde. Sie dient höchstens dazu, den Regierungschef vorzuführen (siehe USA), in der Sache verhindert sie aber nichts. Richtig wäre, dass nur Schulden für Investitionen und die auch nur in einer geringen Höhe zulässig wären, ansonsten die Einnahmeseite des Staates begrenzt würde. Nur die reine Not wird zu einem effizienteren und überlegteren Umgang mit dem Geld der Steuerzahler führen. Die Bürger hätten ihrerseits mehr Geld in der Tasche, sie bräuchten dann den fürsorglichen Staat gar nicht mehr.
Der Staat ist nicht omnipotent und darf auch nicht als solches, gottähnliches Wesen betrachtet werden. Eigentlich hatte die geschichtliche Entwicklung bis hin zur Aufklärung den Staat reduziert und den Einzelnen gestärkt. Im ersten Schwung haben wir aber die alten Vorstellungen von der Bedeutung des Staates, von seinem Vorrang, nicht überwunden und aus dieser falschen Weichenstellung heraus ist das gesamte Unheil des letzten Jahrhunderts entstanden. Wir müssen dieses Denken überwinden, uns weiter entwickeln, einen zweiten Anlauf nehmen. Den Geldhahn zudrehen wäre da ein sehr hilfreiches Instrument.