Tichys Einblick
Erst mit dem Tod verschwinden alle Risiken

Corona: Leben statt Lähmung

Unvermeidbaren Lebensrisiken kann man nur durch die Minimierung potentieller Folgewirkungen den Stachel ziehen. Medikamente, die heilen, sind effektiver als Vakzine, die manchmal versagen.

imago images / Future Image

Die Corona-Pandemie ist eine tückische Entwicklung. Denn einerseits verleiten die mit ihr verbundenen Risiken dazu, sie als bedeutendes Problem wahrzunehmen. Und andererseits scheint Abhilfe auf einfache Weise möglich. Zwei Irrtümer, denen saturierte und wohlhabende Gesellschaften besonders gerne unterliegen. Weil in solchen die Angst vor Verlust die Hoffnung auf Gewinn bei weitem übertrifft und die Mechanismen einer Aufmerksamkeitsökonomie den sorgenvollen Blick auf Gegenwart und Zukunft zusätzlich belohnen.

Tückische Entwicklungen sind mentale Keime, die primär in fortgeschrittenen Gemeinwesen auftreten und gedeihen. Bedarf es doch eines Mindestniveaus an Wissen in Verbindung mit geeigneten Mitteln und Fertigkeiten, um sie überhaupt zu erkennen. Noch im 19. Jahrhundert wäre Covid-19 niemandem aufgefallen. Über Viren und die molekularbiologischen Mechanismen, die diesen ihre Wirkung verleihen, wusste man nichts. Außerdem verbreiteten sich genügend weitaus tödlichere Erreger. Selbst die aktuelle Pandemie ist ein Artefakt ihres Nachweises. Würde man auf SARS-CoV-2 nicht testen, gäbe es kein Krisengefühl. Aus manch einer Arztpraxis kämen vielleicht Berichte über eine neuartige, grassierende Erkältungskrankheit und manch ein Krankenhaus würde eine Zunahme von Intensivpatienten registrieren. Nichts, was in einer normalen Grippesaison nicht ebenfalls geschieht. Nichts, was hinsichtlich seiner Letalität auch nur annähernd mit Pocken oder Pest, Typhus oder Cholera vergleichbar wäre.

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Als psychologische Seuchen sind tückische Entwicklungen typische Begleiterscheinungen der Moderne. Ob Klimawandel, Artensterben, Plastikmüll oder Feinstaub, immer handelt es sich um Vorgänge und Veränderungen, die katastrophal lediglich in der Phantasie der Ängstlichen erscheinen. Befeuert durch Zukunftsszenarien, deren Konstruktion auch erst mittels ausgereifter Werkzeuge wie elektronischen Rechenmaschinen gelingt. Nur wer es vermag, alle Indizien zu sammeln und den Raum des Möglichen umfassend zu durchwühlen, findet im hintersten Winkel schließlich doch noch eine Rechtfertigung seiner manisch gehegten Albträume. Eine Affektstörung, die selbst vor technischen Fortschritten nicht halt macht. Man denke nur an die Kernkraft oder die Gentechnik.

Mit der Fähigkeit, tückische Entwicklungen zu identifizieren, geht allerdings die Potenz einher, diese auch zu entwaffnen. Beides entspringt denselben technischen Optionen. Nie waren die Menschen beispielsweise besser vor den destruktiven Kräften der Natur geschützt als heute. Schlechtes Wetter ist fast überall nur noch eine Unbequemlichkeit, aber längst nicht mehr existenzbedrohend. Und wo dies noch nicht ausreichend der Fall ist, helfen neue Infrastrukturen, Maschinen und Apparate. Klimatische Veränderungen muss nicht fürchten, wer sich vom Klima unabhängig macht. Hagelstürme, die noch vor zweihundert Jahren Ernten vernichteten und ganze Regionen in Hungersnöte stürzten, werden jetzt nur mehr als faszinierende Phänomene wahrgenommen. Sturmfluten oder Überschwemmungen, die einst zehntausende Opfer forderten, stellen mittlerweile Attraktionen dar, die man von den Kronen der Deiche aus ablichtet um das Erlebnis begeistert in den sozialen Medien zu teilen. Und zu keiner Zeit war eine Pandemie für ein Gemeinwesen weniger bedrohlich als in der Gegenwart. Robustere Strukturen zur Versorgung der Bürger gab es noch nie und eine umfangreichere und leistungsfähigere medizinische Betreuung ebenfalls nicht.

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Es lohnt sich daher durchaus, tückischen Entwicklungen mit kühler Besonnenheit zu begegnen. Aufhalten lassen sie sich ohnehin nicht. Das ist ja gerade das tückische an ihnen. Schlimmer noch vermag jeder entsprechende Versuch sogar mehr Schaden anzurichten als die tückische Entwicklung selbst es jemals könnte. Emissionen zu verringern ändert nichts an der Unkontrollierbarkeit von Klima und Wetter. Ganz im Gegenteil steigt die Verwundbarkeit gegenüber Naturkatastrophen durch jeden Verzicht. Kein Gesetz schafft Wissen wieder ab, das einmal in der Welt ist. Ganz im Gegenteil vermindern Technologieverbote Gestaltungs-, Eingriffs- und Wertschöpfungsoptionen. Und ein Virus, das sich über die Luft verbreitet und Menschen wie Tiere als Vektoren nutzt, kann man nicht stoppen.

Jede Maßnahme unterhalb der Schwelle eines Massensuizids wird SARS-CoV-2 nicht wieder aus der Welt schaffen. Das Virus ist ja kein Lebewesen, das absichtsvoll handelt, dessen Verhalten man beeinflussen, das man jagen und erlegen, das man vertreiben oder einzäunen könnte. Es ist nur eine zwar komplexe, aber tote Struktur, die zwar komplexe, aber genau definierte chemische Reaktionsketten auslöst, entlang derer sie sich selbst repliziert. Wobei es ausschließlich den durch die Naturgesetze festgelegten Rahmenbedingungen unterworfen ist, gegen die es keine Waffen und keine Mauern gibt. Früher oder später findet sich dieses Molekül daher in jedem Menschen. Auch in allen Verstorbenen, ganz unabhängig von der tatsächlichen Todesursache.

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Ein längst überkommen geglaubter mittelalterlicher Aberglaube feiert angesichts dessen seine Wiederauferstehung in der Vorstellung, mikrobiologischen Prozessen mit Mindestabständen oder gar Stofflappen vor Mund und Nase beikommen zu können. Wie überhaupt die Idee der Regierung, den Bürgern vorzuschreiben, wann und wo sie welche Luft atmen dürfen, wie ein Rückgriff auf Rezepte der Spätantike erscheint, als die justinianische Pest im östlichen Mittelmeerraum wütete. Nun jedoch verheert nicht ein Virus das Land, sondern allein die von Panik ergriffenen Exekutivorgane mit Betriebsschließungen, Veranstaltungsverboten, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren. Zwangsmaßnahmen, die zwar ein auf der mikroskopischen Ebene agierendes Makromolekül nicht tangieren, aber jene sozialen und ökonomischen Zerstörungen erst anrichten, die man doch eigentlich zu vermeiden trachtet.

Tückische Entwicklungen sind eben keine bevorstehenden Apokalypsen, mögen sie sich auch noch so wirkungsvoll als solche tarnen. Potentielle Risiken stellen keine akuten Gefährdungen dar. Sie verweisen lediglich auf noch vorhandene Schwächen. Die zu beheben ihnen jede Relevanz nimmt.

Getreu dem alten Motto, nach dem das Wetter nur jenen als schlecht erscheint, denen es an der passenden Kleidung mangelt, lassen sich alle Bedenken über Umweltveränderungen durch eine weitergehende Emanzipation der Zivilisation von der Willkür ungebändigter Lebensumgebungen ausräumen. Argwohn gegenüber Innovationen wird durch deren Optimierung gegenstandslos. Und neuen Krankheiten begegnet man am besten mit neuen Therapien, statt alle Ressourcen auf Vorsorgemaßnahmen zu konzentrieren, die aufgrund prinzipiell nicht verschließbarer Lücken einen Erreger niemals vollständig blockieren.

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Es ist nicht notwendig, eine Gesellschaft zu paralysieren und einzusperren, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Vielmehr würde dessen gezielte Ertüchtigung hinsichtlich seiner Flexibilität und seiner Befähigung sowohl dieser als auch allen zukünftigen Pandemien genügen. Es ist nicht zweckmäßig, besonders gefährdete Gruppen durch das Schließen ausgerechnet jener Orte zu schützen, an denen sie sich nicht aufhalten. Bewohner von Alten- und Pflegeheimen besuchen eher selten Bars und Restaurants, Konzerte, Theateraufführungen oder Fußballspiele. Es ist kontraproduktiv, den Konsum und dadurch letztendlich jedes Gewerbe zu ersticken. Schließlich wird dort der Wohlstand erwirtschaftet, den es für die Resilienz gegenüber destruktiven Kräften nun einmal braucht.

Hinter tückischen Entwicklungen verbergen sich nämlich keine ungekannten Heimsuchungen. Auch wenn sie in neuen Gewändern daherkommen, sind Infektionen und Siechtum, Unfälle und Unglücke, technische und natürliche Desaster seit jeher untrennbar mit dem Leben verknüpft. Man müsste schon sterben, um solchem Unheil sicher aus dem Weg zu gehen. Lähmende Regulierungen, Einschränkungen und Verbote als gegenwärtig populäre Konzepte folgen diesem Pfad ein Stück weit. Es wird Zeit für eine Kehrtwende. Statt mit blindem Aktionismus zu unterbinden zu versuchen, was nicht zu unterbinden ist, gilt es, denkbare Folgewirkungen nüchtern zu analysieren und gezielt zu reduzieren. Medikamente heilen auch dann, wenn eine Impfung versagt.

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