Schon optisch mutet das neue, nahe Houston gelegene Erdgaskraftwerk eher wie eine Raffinerie an. Und tatsächlich kann man es auch als eine chemische Fabrik verstehen, die einen Überschuss an Energie und Wasser erzeugt, während sie Methan in Kohlendioxid umsetzt. Um letzteres in einer Beschaffenheit herzustellen, die es wertvoll macht. Zu wertvoll, als dass man es einfach in die Atmosphäre blasen möchte. Die Anlage am West Fairmont Parkway im Bayport-Gewerbegebiet der kleinen texanischen Stadt La Porte emittiert rein gar nichts.
Entwickelt hat den hier erstmals großtechnisch umgesetzten und entsprechend nach ihm benannten Prozess der britische Ingenieur Rodney John Allam. Realisiert wird das Vorhaben von dem Startup NET Power, hinter dem Exelon und einige andere größere Partner aus der amerikanischen Energiebranche stehen. Im Mai 2018 wurde das Kraftwerk erstmals angefahren, seit einigen Monaten läuft es im Regelbetrieb. Mit nur fünfzig Megawatt thermischer Leistung ist sein Beitrag zur Energieversorgung natürlich marginal, aber es soll ja auch nicht Kraft demonstrieren, sondern technische Eleganz.
Deren erstes Element darin besteht, das zugeführte Methan nicht in Luft, sondern in purem, aus der Umgebungsluft gefiltertem Sauerstoff zu verbrennen. Auf diese Weise entstehen weder Stickoxide, noch Schwefeloxide oder andere Schadstoffe. Die zweite zentrale Idee ist die Verwendung des so produzierten Kohlendioxid-Wasserdampf-Gemisches als Arbeitsmedium, das direkt auf die Turbine geleitet wird, statt den Umweg über eine Dampferzeugung zu gehen. Trotz der notwendigen zusätzlichen Aufwendungen für die Sauerstoffbereitstellung, die Wasserabscheidung und die Komprimierung sind auf diesem Weg Wirkungsgrade von deutlich über 50 Prozent und damit eine Stromproduktion zu wettbewerbsfähigen Kosten möglich. Das gilt auch beim Einsatz von Kohle als Primärenergieträger, der eine zusätzliche, vorgeschaltete Vergasung erfordert. Wer an den technischen Details interessiert ist, findet in der nachfolgenden Abbildung eine graphische Erläuterung des Konzepts. Soweit verfügbar sind Angaben zu den Stoffströmen (Massenprozent), Temperaturen (in Grad Celsius) und Drücken in den verschiedenen Abschnitten des Kreislaufes enthalten.
Schornsteine gibt es nicht mehr. Abscheidung und Speicherung des überschüssigen Kohlendioxids, häufig mit dem englischen Akronym CCS für „carbondioxide capture and storage“ abgekürzt, sind integrierte Konstruktionsmerkmale eines Allam-Kraftwerks, die keine zusätzlichen Einrichtungen erfordern und nicht mit Wirkungsgradverlusten einhergehen. Das abgeleitete Kohlendioxid liegt zudem in einem als super- oder überkritisch bezeichneten Zustand vor. In diesem verhält es sich wie ein Gas mit der Dichte einer Flüssigkeit. Superkritisches Kohlendioxid ist chemisch stabil, nicht entflammbar, enorm fließfähig, ungiftig und ein hervorragendes Lösungsmittel.
Verkaufen kann Net Power das „Abfallprodukt“ seines Kraftwerks beispielsweise an Erdgas- und Erdölförderer. Denn die Einleitung von superkritischem Kohlendioxid in entsprechende Lagerstätten erhöht deren Ausbeute erheblich. Das Gas verdrängt die fossilen Kohlenwasserstoffe auch aus den kleinsten Rissen und Spalten in den Tiefen der Erdkruste und treibt sie zum Bohrloch. Das Kohlendioxid selbst verbleibt dabei im Boden, die Physik hält es dort sicher gefangen. Auch Methanhydratlagerstätten am Meeresgrund lassen sich auf diese Weise erschließen. Vielleicht werden also schon bald Gaskraftwerke mit Methan betrieben, das wiederum mithilfe seiner Verbrennungsprodukte gewonnen wurde. So geht Kreislaufwirtschaft.
Andere bereits etablierte Anwendungen für superkritisches Kohlendioxid finden sich in der Lebensmittelproduktion, der Medizintechnik und Pharmazeutik. Als Arbeitsmedium eignet es sich nicht nur für fossile Kraftwerke, sondern auch für Kernreaktoren, für die tiefe Geothermie oder für Wärmepumpen. Hinsichtlich seines Einsatzes als Reaktionspartner oder Ausgangsprodukt in der Grundstoffherstellung, man denke an Zement, Keramik oder Kunststoffe, gibt es erste, vielversprechende Forschungsergebnisse. Vielleicht gelingt es mit ihm sogar, unter Einsatz geeigneter Katalysatoren auf neuen Reaktionspfaden Methanol und andere synthetische Treibstoffe energetisch günstiger als bislang möglich darzustellen.
Nicht ein Preis für CO2, sondern sein Wert ist entscheidend
So könnten Allam-Kraftwerke die Keimzellen für eine neue, die bestehende Kohlenwasserstoffwirtschaft ergänzende Kohlendioxid-Ökonomie werden. Und das Thema Klimaschutz wäre gleich mit erledigt, zumindest im Sektor der Stromerzeugung. Um diese Entwicklung zu beschleunigen, sollte die Politik die Betreiber fossiler Kraftwerke für jede Tonne Kohlendioxid prämieren, die nicht in die Atmosphäre gelangt. Geld dafür stünde aus den dann nicht mehr erforderlichen Subventionen und Fördermaßnahmen zur Verfügung, die derzeit auf die Defossilisierung des Energiesektors abzielen.
Auch die Net-Power-Technologie benötigt einen wachsenden, die Phantasie von Investoren anregenden Markt, um sich ausbreiten zu können. Energie einzusparen, wie mit der Energiewende beabsichtigt, schafft keinen Raum für Innovationen, deren Antworten auf die Klimafrage nicht Verzicht, Enteignung und Wohlstandsabbau lauten. Allam-Kraftwerke stellen ebenso wie Kernreaktoren der vierten Generation und die Kernfusion einen Lackmustest für die Klimaschutzbewegung dar. Die angesichts solcher Fortschritte entscheiden muss, ob es ihr wirklich um das Klima geht. Oder vielleicht doch nur um eine sozialistische Gesellschaftstransformation.