Olaf Scholz hat recht: Erst bei einem Mindestlohn von 12 Euro zahlt ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ausreichend in die Rentenversicherung ein, um im Alter nicht mit einer Minirente in die Grundsicherung zu fallen. Also fordert er eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro in der Stunde und hält diese Höhe in einer „innovativen Volkwirtschaft“ für „gut zu verkraften.“ So weit, so konsequent.
Mit seinem überraschenden Vorstoß präsentiert sich der von Hause aus unideologische Hamburger Bürgermeister als kühler Machtstratege. Während der glücklose Martin Schulz immer nur nach „mehr Gerechtigkeit“ rief, macht der Hanseat der SPD-Linken ein konkretes Angebot. Und begibt sich zugleich auf die Linie der Linkspartei, die schon seit langem für 12 Euro plädiert. So macht man sich Freunde, wenn man SPD-Vorsitzender werden will. So ebnet man – mit Blick auf 2021 – den Weg für Rot-Rot-Grün.
Wer 12 Euro Mindestlohn fordert, räumt zugleich ein, dass der jetzige Mindestlohn von 8,84 Euro eine Mogelpackung war und ist. Davon kann niemand recht leben und entsprechende Rentenansprüche erwerben. Die von der SPD in der Großen Koalition durchgesetzte Regelung hat nicht einmal die Zahl der „Aufstocker“ signifikant reduziert. Etwa 40.000 Alleinstehende ohne Unterhaltsverpflichtung stehen sich mit 8,84 Euro besser als ein Hartz IV-Empfänger, brauchen also keine Transferleistung mehr. Für die weit über eine Million an arbeitenden „Aufstockern“ hat der Mindestlohn dagegen an den finanziellen Verhältnissen nichts geändert: Sie erhalten etwas mehr Lohn und etwas weniger „Stütze“ – ein sozialpolitisch verbrämtes Nullsummenspiel.
Diesen 12-Euro-Glaubwürdigkeitstest kann die SPD nicht bestehen, weder in Hamburg noch sonstwo. Immerhin könnte sich aus dem Hamburger Vorstoß ein neuer Slogan kreieren lassen: „Zeit für noch mehr Unglaubwürdigkeit. Zeit für Olaf Scholz.“ Die Wirklichkeit ist real, Genossen!