Der Bundespräsident wurde am Tag der Deutschen Einheit beim Thema Flucht und Migration sehr deutlich. „Wir müssen uns ehrlich machen“, forderte er. Und er tat es auch – jedenfalls bedingt.
Ehrlich war Frank-Walter Steinmeier, als er eine Unterscheidung forderte zwischen politisch Verfolgten und denen, die aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen. Ehrlich war er auch, als er eine Klärung verlangte, „welche und wie viel Zuwanderung wir wollen, vielleicht sogar brauchen.“
Ehrlich war Steinmeier auch bei seinen Forderungen an Flüchtlinge und Zuwanderer. Sie müssen nach Ansicht des Staatsoberhaupts „unsere Sprache lernen“, unsere Verfassung ebenso akzeptieren wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
An die aus Osteuropa, Afrika oder den muslimisch geprägten Regionen zu uns Kommenden hatte er noch eine spezielle Forderung: „Zum Deutsch-Werden gehört, unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen.“
So sprach der Präsident. Es war die abgehobene Sprache eines Staatsoberhaupts, das sich nicht in parteipolitische Grabenkämpfe begeben will und soll. Es war aber auch – deutlicher formuliert – das bei dem Ex-Außenminister Steinmeier gewohnte diplomatische Geschwurbel.
Versuchen wir also zu übersetzen, was der Bundespräsident gesagt hat:
- Unterscheidung zwischen Asylbewerbern und „Wirtschaftsflüchtlingen” „zurückzugewinnen“ bedeutet nicht weniger als zurück zu einer Asylpolitik nach Recht und Gesetz.
- Seine Integrations-Forderungen sind im Grunde der Ruf nach einer deutschen Leitkultur, weil die Verfassung als Leitlinie allein nicht ausreicht. Die Pflicht, „unsere Geschichte anzuerkennen und anzunehmen“ steht nämlich nicht im Grundgesetz.
Werden antisemitische Zuwanderer, die den Holocaust leugnen, des Landes verwiesen? Und was geschieht mit muslimischen Ehemännern und Vätern, die ihren Frauen und Töchtern elementare Menschenrechte verweigern? Auf all das bleibt der Präsident eine Antwort schuldig.
Mit Sicherheit hat es vielen Mitgliedern der „Refugees are welcome here“-Fraktion nicht gefallen, was Steinmeier in seiner Einheitsrede gefordert hat. Aber wer als moralische Instanz an der Spitze des Staates ein ganzes Land auffordert, sich ehrlich zu machen, müsste selbst mit gutem Beispiel vorangehen – mit umfassender Ehrlichkeit.