Wie „die Deutschen“ wählen würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, erfahren wir wöchentlich aufs Neue. Aber ich frage mich, wen ich denn wählen würde, wenn ich jetzt eine Entscheidung treffen müsste. Gehen wir doch das Angebot mal in Ruhe durch:
Die CDU/CSU ist wieder ein Kanzler- bzw. Kanzlerinnenwahlverein geworden. Angela Merkel ist alternativlos – und sie sieht das in Bezug auf ihre Politik auch. Das Gegrummel in den Reihen der CDU wird lauter und das Grollen aus den Bayerischen Bergen ebenso. Aber letztlich folgt die Mehrheit der Abgeordneten ihr brav.
Die CDU: vor allem sehr beweglich
Fragt sich nur, wofür die CDU eigentlich noch steht? Wirtschaftspolitisch schreibt sie Markt immer kleiner, außenpolitisch hält sie an Europa und am Bündnis mit den USA fest, macht sich aber in der Flüchtlingsfrage vom Sultan Erdogan abhängig. Ihre Hoffnung: Dass es irgendwie zu einer Mehrheit mit den Grünen reicht. Nicht solide finanzierte Rentenerhöhungen, auf ein „Macht hoch die Tür“ in der Flüchtlingsfrage, auf das Modell einer „bunten“ Republik, auf Doppelpass und Gender-Mainstreaming – auf all das würde sich die CDU mit den Grünen schnell einigen. Wie beweglich die CDU ist, hat sie 2013 gegenüber der SPD bewiesen; dasselbe tut sie jetzt in Baden-Württemberg in Bezug auf die Grünen.
Die SPD: auf der Flucht
Die SPD wird den Wählern empfehlen, den Mann zum Kanzler zu machen, den sie als Parteivorsitzenden am liebsten weg hätte: Sigmar Gabriel. Programmatisch ist die Partei auf dem Weg zurück in die siebziger Jahre: Schulterschluss mit den Gewerkschaften, Rentenerhöhungen nach Wahlkalender, mehr Geld für fast alle und natürlich Umverteilung. „Agenda 2010“ – das ist aus der Sicht der tonangebenden SPD-Funktionäre ein Relikt aus einer Zeit, als die „Neoliberalen“ den Kurs bestimmten, angeführt von einem „Kanzler der Bosse“ namens Gerhard Schröder. Schröder? Den kennt kaum noch einer.
Nichts spiegelt das Dilemma der SPD besser als ihre Haltung zu Schröders Wirtschafts- und Sozialreformen. Die gute Verfassung des Arbeitsmarktes und die gute Lage der Rentenkassen basieren letztlich auf den Veränderungen von damals. Doch bis heute schämt sich die SPD heimlich dafür. Und vernunftbegabte Sozialdemokraten, die eigentlich stolz auf diese Leistungen sind, trauen sich nicht, das offen zu sagen.
Die Grünen: zwei Parteien
Die Grünen leiden ebenso wie ihr einstiger Traumpartner SPD unter partieller Schizophrenie. Da Gerhard Schröder und die SPD bei ihrer Reformpolitik bekanntlich keine absolute Mehrheit hatten, brauchten sie einen Partner. Und der hieß – aufgepasst ihr Grünen – Bündnis 90/Die Grünen. Ja, wirklich. Die mutmaßliche Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt warf sich damals als Fraktionsvorsitzende gewaltig in die Bresche für das, was sie heute so heftig kritisiert.
Ohnehin wählt, wer den Grünen seine Stimme gibt, zwei Parteien: die Trittin-Fundis und die Kretschmann-Realos. Die Grünen, einst angetreten als ehrliche Alternative zu den angeblich so verschlagenen „Altparteien“, präsentieren sich inzwischen als ein Kessel Buntes. Nur auf Umverteilung setzen sie nicht mehr so eindeutig wie im letzten Bundestagswahlkampf. Das hat ihre Stammklientel – überdurchschnittlich gut besoldete Lehrer, Beamte und Mitarbeiter der üppig alimentierten Sozial- und Betreuungsindustrie – 2013 nämlich überhaupt nicht goutiert.
Die FDP: mehr Auftritt als Haltung
Die FDP ist zumindest halbwegs wieder da. Stringent ist ihr peppig-poppiger Auftritt, weniger stringent ist ihre Haltung zu Koalitionen. In Rheinland-Pfalz hatte sie Wahlkampf gegen Rot-Grün gemacht. Jetzt hält sie die abgewählte rot-grüne Koalition im Amt – als Dritter im Bunde. Falls der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen den gleichen Kurs einschlagen sollte – erst hart gegen SPD und Grüne kämpfen, um sie anschließend an der Macht zu halten –, macht sie das für die Bundestagswahl nicht zu einer wählbaren Alternative.
Was man bei der FDP besonders vermisst: Sie hat keinen Mann, der das Zeug zu einem neuen „Marktgrafen“ à la Lambsdorff hätte, eine Frau auch nicht. Doch das Land bräuchte dringend einen wirtschaftspolitischen Kopf, der den „Verteilungsparteien“ Union und SPD Paroli bietet.
Die Linke: mehren durch umverteilen
Die Linke ist und bleibt die Partei der Staatsgläubigen und Umverteiler. Wenn man „den Reichen“ nur genügend Geld wegnimmt und es „den Armen“ gibt, wenn man die Unternehmen zu deutlich höheren Löhnen zwingt, dann geht – so die linken Träume – alles wie von selbst: Hartz IV verliert an Bedeutung, es gibt keine armen Rentner mehr und der Staat hat genügend Geld für „mehr“: für mehr Lehrer, mehr Sozialarbeiter, mehr Pflegekräfte, mehr Polizei, mehr Investitionen. Kurz, es winkt das sozialistische Paradies.
Die AfD: Protest und kein umsetzbares Programm
Bleibt die AfD, die wahre Alternative für Wutbürger, Europa-Gegner, auf höhere Zinsen Wartende, D-Mark-Nostalgiker, Putin-Freunde, Nato-Skeptiker, völkische Ideologen, enttäuschte CDU-Wähler, um die „gute alte Zeit“ Trauernde, fanatische Islam-Gegner und Rechtsradikale. Wer es „denen da oben“ richtig zeigen will, der wird von der AfD bestens bedient. Das sagt übrigens die Mehrheit der AfD-Wähler selber: dass sie am 13. März die Partei nicht wegen ihrer Inhalte gewählt hätten, sondern aus Protest. Aber Protest ist noch kein Programm. Und nicht über all dort, wo Programm drauf steht, ist auch ein umsetzbares Programm drin.
Das alles machte die Wahl, wenn sie denn jetzt stattfände, so sehr zur Qual: Wer die Union wählt, unterstützt eine Fortsetzung der GroKo ebenso wie Schwarz-Grün, wer SPD wählt, verlängert unter Umständen die GroKo oder bekommt plötzlich eine Kenia-Koalition aus Union, SPD und Grünen. Wer FDP wählt, bekommt sicherlich nicht wieder Schwarz-Gelb, eher eine Ampel oder eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP. Da hätten es die Sympathisanten der Parteien am linken und rechten Rand leichter: Sie könnten fröhlich für die Opposition – und damit „gegen die da oben“.
Plötzlich scheint Nicht-Wählen alternativlos
Den Meinungsforschern zufolge werden Wahlen in der Mitte gewonnen. Nur: Wer in der Mitte eine wählbare Partei sucht, der findet derzeit keine. Da erscheint plötzlich das Nicht-Wählen alternativlos – jedenfalls, dann, wenn am Sonntag Wahl wäre. Schon bei dem Gedanken sträuben sich mir die Haar; aber auch bei der Aussicht, was für eine Politik eine Partei meiner Wahl letztlich machen würde – dank meiner Stimme. Bleibt nur der Trost: Gewählt wird erst in 16 Monaten. Und auch in Bezug auf die Politik gilt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.