Olaf Scholz hat eine Debatte losgetreten. Der Bundesfinanzminister und SPD-Vize will, dass der Staat bis 2040 ein Rentenniveau von 48 Prozent garantiert. Das bedeutete: Rentner mit durchschnittlichem Einkommen, die 45 Jahre lang Beiträge entrichtet haben, sollen Altersbezüge von mindestens 48 Prozent des jeweiligen Durchschnittseinkommens erhalten. Kostenpunkt: 650 bis 750 Milliarden Euro. Oder anders ausgedrückt: das Doppelte des aktuellen Bundeshaushalts.
Dass ein so kühl auftretender Hanseat wie Scholz einfach so mit hunderten von Milliarden um sich wirft, mag verwundern – oder auch nicht. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2017, als Scholz sich noch heimlich Hoffnungen auf eine Kanzlerkandidatur machte, preschte er mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde vor. Das sollte die SPD-Linke beeindrucken. Offenbar scheint Scholz auch mit Blick auf 2021 daran gelegen zu sein, ab und zu auch als Kümmerer aufzutreten. Ein „Rentenwahlkampf“ kommt innerhalb der SPD jedenfalls immer an.
Bei einem Überbietungswettbewerb, wer sozial besonders großzügig und fiskalisch besonders leichtfertig ist, hat Scholz freilich Konkurrenz von links. Also macht Die Linke beim Thema Rentenniveau das, was sie am besten kann: Sie fordert einfach mehr. Ein Rentenniveau von 48 Prozent ist ihr natürlich zu niedrig. Aus Sicht der Linken müssen es mindestens 53 Prozent sein. Warum auch nicht? Irgendwelche „Reiche“ werden das schon bezahlen.
Eine gesetzliche Rentenversicherung für alle, das ist das Ideal aller Linken und damit aller, denen Gleichheit wichtiger ist als Freiheit. Dass es so etwas nicht einmal in der DDR gab, haben selbst viele in der Linkspartei offenbar vergessen. Die SED-Nomenklatura wusste schon, wie man sich Privilegien sichert, die den „Werktätigen“ vorenthalten blieben. Aber jetzt setzen der Paritätische Wohlfahrtsverband und Die Linke die „Einheitsrente“ wieder auf die Tagesordnung. Genossen im sozialen Gleichschritt.
Die Idee, alle Deutschen in die gesetzliche Rentenversicherung zu zwingen, findet weit über den linken Rand hinaus Anhänger. Alle Probleme der Rentenversicherung wären nach Ansicht dieser Gerechtigkeits-Apostel gelöst, wenn auch die „Reichen“ in die Rentenkasse einzahlen müssten. Mit den Beiträgen dieser „Besserverdienenden“, so das schlichte Argument dieser Umverteiler, käme so viel Geld in die Kassen, dass alle Finanzprobleme gelöst werden – für alle Ewigkeit.
Wenn es mit dem Geldsegen nur so einfach wäre. Nehmen wir einmal an, jeder müsste in die Rentenversicherung einzahlen, also nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch Beamte, Ärzte, Architekten, Handwerker und Freiberufler aller Art, ja sogar Abgeordnete. Da würde plötzlich viel Geld in die Kassen kommen. Nur: Die Beitragszahler von heute sind die Rentenempfänger von morgen. Das heißt: Für jeden zusätzlichen Euro, der heute eingezahlt wird, entsteht morgen ein Anspruch auf Altersbezüge. In naher Zukunft stünde die Einheits-Rentenkasse folglich vor denselben Schwierigkeiten wie die Rentenversicherung in ihrer heutigen Form: zu viele Rentenempfänger bei zu wenigen Beitragszahlern.
Man kann es drehen und wenden wie man will: Wenn die geburtenstarken Jahrgänge demnächst mit dem Arbeiten aufhören, steigt in einem Umlagesystem die Belastung der aktiven Arbeitnehmer. Diese Unwucht innerhalb des Systems lässt sich nicht beseitigen, indem man neue Beitragszahler in die Rentenversicherung zwingt. Denn die heute nicht gesetzlich Versicherten weisen keine andere Altersstruktur auf als die Bevölkerung insgesamt. Ja, mehr Beitragszahler spülten mehr Geld in die Kasse – vergrößerten aber auch das ohnehin vorhandene strukturelle Defizit.
Um es nicht so weit kommen zu lassen, sind die Rentenreformer von ganz links auf eine scheinbar einfache Lösung gekommen. Für die Bezieher hoher Einkommen soll es keine Beitragsbemessungsgrenze mehr geben; der Rentenbeitrag wäre demnach auf das gesamte Einkommen fällig. Damit dies wiederum keine extrem hohen Renten nach sich zieht, müsste dann eine Renten-Obergrenze eingeführt werden. Damit würde das Äquivalenzprinzip ausgehebelt, das den Zusammenhang zwischen den geleisteten Beitragszahlungen und der Rentenhöhe garantiert. Es wäre eine kalte Enteignung derer, die überdurchschnittlich verdienen. Da aber Rentenanwartschaften unter den Eigentumsschutz des Grundgesetzes fallen, dürfte ein solches sozialistisches Rentenmodell am Verfassungsgericht scheitern.
Mehr als fraglich wäre auch der finanzielle Nutzen, wenn Beamte bei der Rente den Arbeitnehmern gleichgestellt würden. Da die Staatsdiener derzeit keine Beiträge zur eigenen Altersvorsorge leisten, führten Beiträge zu einer deutlichen Reduzierung ihrer Nettoeinkommen. Folglich müsste der Staat ihre Gehälter erhöhen, ehe er sie mit Rentenbeiträgen belastet. Zugleich müsste der Staat für seine Beamten auch die Arbeitgeberbeiträge an die Rentenkasse abführen. Die Kosten der Operation für den Staat wären demnach höher als die Mehreinnahmen der Rentenkasse.
Die Befürworter der „Einheitsrente“ haben also keine echte Lösung anzubieten. Vielmehr geht es ihnen nur darum, die scheinbar Privilegierten in das staatliche System zu zwingen – im Namen von Gleichheit und Gerechtigkeit. Die „Einheitsrente“ ist jedenfalls keine Antwort auf die Frage, wie immer weniger aktive Arbeitnehmer die wachsende Zahl der Rentenempfänger finanzieren sollen. Das wird ohne eine moderate Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht möglich sein. Ein solches Rentenkonzept wäre wohl nicht sehr populär; aber es wäre solider als die populistischen Rentenversprechen von Sozialdemokraten und Sozialisten.