Die CDU/CSU ist in den Umfragen von 41 auf 38 Prozent gefallen, Merkel muss im Popularitätsrang Wolfgang Schäuble, Frank-Walter Steinmeier und den CDU-Rebellen Wolfgang Bosbach an sich vorbeiziehen lassen. Die laut Umfragen begeisterte Zustimmung zu ihrer Flüchtlingspolitik ist in mehrheitliche Ablehnung umgeschlagen. In einer aktuellen INSA-Umfrage fordern 33 Prozent der Deutschen, die Kanzlerin solle wegen ihrer Flüchtlingspolitik zurücktreten. Selbst in der CDU, von der Fraktion bis zur Parteibasis, regt sich Widerspruch.
„Die Wirklichkeit ist real, Genossen.“
Natürlich ist es Unsinn, aus den aktuellen Umfragezahlen einen „Absturz“ der Union herauszulesen. Denn weder die SPD, die die Kanzlerin für ihre „sozialdemokratische“ Flüchtlingspolitik lobt, hat von der Schwäche der Union profitiert, noch nutzt das der Linken oder gar den Grünen. Alle drei linke Parteien haben nämlich ein gemeinsames Problem: Ihre eigenen Kommunalpolitiker erinnern täglich daran, dass zwischen der Aufnahmebereitschaft eines Landes und seiner faktischen Aufnahmefähigkeit eine breite Lücke klafft. Vor Ort sieht eben vieles anders aus als unter der gläsernen Reichstagskuppel im fernen Berlin. Wie sagte man so schön in der DDR: „Die Wirklichkeit ist real, Genossen.“
Von einer gefährlichen Merkel-Dämmerung kann aber noch nicht die Rede sein. Derzeit hat niemand Interesse an Neuwahlen. Viele Abgeordnete von CDU und CSU würden ihre Mandate verlieren, eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün ist nicht in Sicht. Rein machtpolitisch gesehen unterstreicht die aktuelle Stimmungslage sogar die Alternativlosigkeit einer Kanzlerin Merkel. Dafür sorgt, zumindest mit Blick auf die nächsten zwei Jahre, die „Alternative für Deutschland“ (AfD). Die geriert sich als „Pegida-Partei“ und vermischt berechtigte Sorgen der Bürger mit Überfremdungsangst und Fremdenhass. Dies macht es sehr wahrscheinlich, dass die AfD bei den drei Landtagswahlen am 13. März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt die 5-Prozent-Hürde überspringt, in Magdeburg vielleicht sogar mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag einzieht.
Rot-grün-rote Träume platzen
Der Verlierer hieße dann nicht CDU; Opfer der Flüchtlingsströme wären vielmehr SPD und Grüne. Mit einer AfD-Fraktion im Landtag stünden Grün-Rot in Stuttgart und Rot-Grün in Mainz ohne Mehrheit da. In Sachsen-Anhalt wären die Träume von einer weiteren rot-rot-grünen Regierung als Vorstufe für eine gleichgefärbte Bundesregierung geplatzt. Am wahrscheinlichsten wären dann im Westen schwarz-rote oder schwarz-grüne Koalitionen, in Sachsen-Anhalt eine Fortsetzung der CDU/SPD-Regierung. Aus Sicht der CDU also nur eine Umfragedelle und doch keine Merkel-Dämmerung?
So einfach ist die Sache nicht, zumal die Folgen der ungebremsten Zuwanderung in den kommenden Monaten den bundesdeutschen Alltag stärker verändern dürften, als mancher das jetzt sieht oder zugeben will. Denn die bröckelnden Umfragewerte Merkels und der CDU/CSU haben einen tieferen Grund. Merkel, die manche schon bis zum Jahr 2025 im Kanzleramt sahen, hat nämlich ihr stärkstes Pfund eingebüßt: das Grundvertrauen der Mehrheit, dass „Mutti“ das Kind schon schaukeln werde.
Angela Merkel ist keine charismatische Persönlichkeit, keine mitreißende Rednerin und auch nicht der Typus von Politiker, der das Publikum mit einer Nobelpreis-verdächtigen Vision nach der anderen verzückt. Nein, Merkel lebte in der öffentlichen Wahrnehmung von ihrer Solidität und ihrer Verlässlichkeit. Ihr unprätensiöses Auftreten, ihre sachlich-nüchterne Art, ihr Verzicht auf jeglichen Pomp ließ sie geradezu zum Gegenstück ihres „Hoppla-jetzt-komme-ich“-Vorgängers Schröder werden. Zu ihrer politischen „Mutti“ entwickelte das Wahlvolk ein Verhältnis wie zur eigenen Mutter: Man weiß, dass sie niemals Miss Germany war oder wird, aber man kann sich auf sie verlassen – weil es ihr nicht in erster Linie um sich geht, sondern um das eigene Land und die eigene Familie.
Dieses Grundvertrauen war Merkels wertvollstes Kapital in den knapp zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft – bei der Fortsetzung der noch von Gerhard Schröder eingeleiteten Wirtschaftsreformen, bei der Überwindung der Folgen der Finanzkrise, bei der Verteidigung des Euros und auch bei ihrer Haltung gegenüber dem unverhohlen aggressiver auftretenden neuen Kreml-Zaren Putin. Die Kanzlerin handelte immer nach dem gleichen Muster: nüchtern an die Sache herangehen, nichts versprechen, was man nicht halten kann, aus der Lage das Beste machen. Ihr ging es nie um Visionen. Ihre Aufgabe verstand sie als Auftrag, das Land einigermaßen unbeschädigt durch Krisen zu manövrieren. Man könnte auch sagen: Merkel war die Großmeisterin in der politischen Disziplin des „Durchwurstelns“.
Von Mutti zur Basta-Kanzlerin
Das hat sich schlagartig geändert. Mit der Öffnung der Grenzen für die in Ungarn campierenden Flüchtlinge, mit ihrem “Wir schaffen das“-Versprechen, dem kein konkreter Plan zugrunde lag, und ihrem trotzig-aggressiven „Dann ist das nicht mein Land“-Ausbruch an die Adresse derer, die ihr hier nicht folgen, machte Merkel plötzlich den Schröder, wurde Merkel zur Basta-Kanzlerin. Obendrein verurteilte Horst Seehofer, der neben SPD-Chef Sigmar Gabriel wichtigste Mann in der Großen Koalition, Merkels Politik als völlig falsch. Das hatte es in der fast zehnjährigen Kanzlerschaft Merkels nicht gegeben, dass ein Politiker aus der ersten Reihe der Union sie so frontal angeht, ihr letztlich Unfähigkeit bescheinigt.
Man sollte die Härte und mecklenburgisch-pommersche Sturheit Merkels nicht unterschätzen: Wegen schlechter Umfragezahlen knickt sie nicht ein. Doch ihr Vertrauensbonus ist weg. Und dieser Verlust wiegt mit Blick auf 2017 viel schwerer als ein paar Punkte weniger in aktuellen Umfragen.