Im Sport würde man sagen: Die Grünen haben einen Lauf. In den Umfragen liegen sie zwischen 18 und 20 Prozent – mit klarem Vorsprung vor der SPD. Hier die wichtigsten Gründe.
1. SPD und FDP machen Grüne stark
Die SPD dümpelt bei 15 Prozent vor sich hin, weil sie eher einer Selbstfindungsgruppe gleicht als einer Partei mit klarem Profiel. Da wandern viele Wähler zum ehemaligen grünen Koalitionspartner ab. Den Liberalen fehlte bekanntlich der Mut zum Regieren. Darunter leidet die Partei, wie die Umfragen zeigen, bis heute. Wer mit der GroKo unzufrieden ist und sich mit der in Teilen rechtsradikalen AfD nicht gemein machen will, der artikuliert seine Enttäuschung über die Regierung durch Sympathien für die Grünen.
2. Die Grünen haben eine attraktive Spitze
Robert Habeck und Annalena Baerbock sind das Traum-Paar ihrer Partei. Anders als ihre Vorgänger Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir genießen sie den Nimbus der Unverbrauchtheit, bieten den Reiz der Neuen. Dabei ergänzen sie sich bestens: Habeck, ein philosophierender, wuscheliger Pandabär, bedient den Wunsch gerade des wohlhabenden, großstädtischen Publikums nach „Coolness“. Annalena Baerbok dagegen, stets modisch gekleidet und perfekt gestylt, bestätigt dem bürgerlichen Teil des Publikums, dass die Grünen aus ihren selbst gestrickten Pullovern und ihren Jesuslatschen herausgewachsen sind. Eine perfekte Mischung.
3. Die Medien als allzeit willige Helfer
Als Baerbock und Habeck 2018 gewählt wurden, twitterte die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, Tina Hassel, verzückt: „Frische grüne Doppelspitze läßt Aufbruchstimmung nicht nur in Frankreich spüren. Habeck und Baerbock werden wahrgenommen werden …“. Mit ihrer Begeisterung stand und steht Hassel nicht allein. Die Grünen sind die Lieblinge der Medien, nicht nur der öffentlich-rechtlichen Anstalten, sondern auch der meisten Zeitungsverlage.
Die Journalisten, bei denen die Grünen mit 35 Prozent die mit Abstand höchste Zustimmung genießen, behandeln „ihre“ Partei und deren Repräsentanten nach der Methode Artenschutz: Grüne gelten als lebensnotwendig. Deshalb sieht man über vieles hinweg, was den schönen Schein von der grünen Weltenrettung verdunkeln könnte. Logisch, dass in den Talkrunden von ARD und ZDF grüne Politiker irgendwie zur Möblierung gehören.
4. Alle wollen zu den „Guten“ gehören
Die Grünen machen es denen leicht, die sich moralisch stets auf der richtigen Seite wähnen: Vorrang der Ökologie vor der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, Verteuerung von Flügen, Hilfe für die sozial Schwachen, höhere Steuern für die Reichen, weit offene Grenzen, das Beschwören einer Multikulti-Idylle, Bevorzugung von Minderheiten jeder Art (kirchentreue Katholiken und Protestanten mal ausgenommen) gegenüber der angeblich dumpfen Mehrheit, aggressiver Feminismus samt „Gender Mainstreaming“. Im grünen Katalog des politisch Korrekten ist Platz für jede Absonderlichkeit. So wird die grüne Option für eine lautstarke Minderheit zum Bekenntnis der eigenen moralischen Überlegenheit und Unfehlbarkeit.
5. Alles versprechen – nur nichts Konkretes
Das ist das schöne am oppositionellen Dasein: Man kann fast allen fast alles versprechen, denn liefern muss man aktuell nicht. Davon machen die Grünen regen Gebrauch. Ob es um die Enteignung von Wohnungsunternehmen geht, ein Grundeinkommen, höhere Steuern, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, das Aus für Autos mit Verbrennungsmotor, die Aufnahme von mehr Flüchtlingen und um die Brandmarkung von Abschiebungen als unmenschlich – auf Details lassen sich die Grünen nicht ein. Alles bleibt irgendwie unverbindlich – aber politisch korrekt.
Die Strategie ist klar: Potentielle Wähler sollen sich irgendwie wohlfühlen, aber nicht mit dem Kleingedruckten beschäftigen. Deshalb ähneln die Grünen-Vorschläge einem Katalog, in dem bewusst auf Preisangaben verzichtet wird – auf finanzielle Kosten wie auf immaterielle. Offensichtlich hat die Partei von ihren Umverteilungsplänen aus dem Wahlkampf 2013 gelernt. Als damals der wohlbetuchte Teil der eigenen Klientel merkte, dass sie als Schröpfungsobjekte betrachtet werden, verlor die Partei rasch an Zustimmung.
Fazit: Derzeit setzen die Grünen auf die richtige Strategie – eine Politik der moralisch überlegenen Unverbindlichkeit. Dabei hilft ihnen der kräftige Rückenwind der Medien, die Unfähigkeit der SPD, sich auf einen klaren Kurs zu einigen, und nicht zuletzt die Neigung eines Fünftels der Wähler, ein gutes Gefühl mit guter Politik gleichzusetzen. Da schwingt zudem ein gewisser bürgerlicher Hang mit, sich mit der Politik nicht allzu intensiv zu beschäftigen.