Gesucht: „Ein Bewerber, der unser Land repräsentieren kann, aber auch die Herausforderungen unserer Zeit kennt und Antworten darauf hat.“ Diese Stellenbeschreibung hat SPD-Chef Sigmar Gabriel verfasst. Er hat auch schon die ideale Besetzung gefunden: Frank-Walter Steinmeier, einst glückloser Kanzlerkandidat der SPD, heute allseits respektierter Außenminister.
Weil Sigmar Gabriel aber in erster Linie Sigmar Gabriel ist, muss man sein Loblied auf den eigenen Genossen nicht wörtlich nehmen. Vor ein paar Wochen hatte der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler noch die einstige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann als Präsidentin ins Gespräch gebracht, offenbar ohne sie vorher zu fragen. Nach deren Absage hob Gabriel flugs den Außenminister aufs Schild. Was niemand wundern darf: Beweglichkeit und Beliebigkeit sind bei „Siggi Pop“ zwei Seiten derselben Medaille.
Besonders pikant: Gabriel brachte die Dame und den Herrn öffentlich ins Gespräch, als er noch offiziell mit Angela Merkel und Horst Seehofer über einen gemeinsamen Kandidaten der GroKo-Parteien nachdachte. Angeblich sucht der Genosse immer noch, obwohl er gar nicht daran denkt, nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. „Gemeinsam“ heißt für ihn: Die CDU/CSU schließt sich dem Vorschlag Steinmeier an, basta.
Machtprobe vor der Bundestagswahl
Obwohl Steinmeier offenbar nur Gabriels zweite Wahl ist, steht seine Eignung für das Amt außer Zweifel. Steinmeier „kann“ Präsident. Aber darum geht es bei der Kandidatensuche gar nicht. Es geht am 12. Februar 2017, wenn der oder die Nachfolger(in) von Joachim Gauck gewählt wird, um etwas ganz anderes: um eine Machtprobe vor der Bundestagswahl. Die SPD will ebenso wie die CDU/CSU mit einem Erfolg bei der Bundespräsidentenwahl sozusagen das Vorspiel für den viel wichtigeren Urnengang im September gewinnen – als kleinen, gleichwohl wichtigen Schritt auf dem Weg zum Großen Preis.
Dabei will die SPD vor allem eines vermeiden: dass ein gemeinsamer Kandidat, eine gemeinsame Kandidatin von Schwarz-Rot als Vorankündigung für die Fortsetzung der Großen Koalition nach September 2017 gesehen würde. Denn die Perspektive, Juniorpartner der CDU/CSU zu bleiben, brächte der SPD keine zusätzlichen Stimmen. Also setzt Gabriel auf die rot-rot-grüne Perspektive: lieber Kanzler von Sahra Wagenknechts Gnaden als abermals der Vize unter Angela Merkel. Dass es dem SPD-Vorsitzenden dabei in erster Linie um Macht und erst in zweiter um Inhalte geht, versteht sich von selbst.
Nun sind die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung so, dass die SPD einen eigenen Kandidaten nur mit Hilfe der Grünen und der Linken im dritten Wahlgang durchsetzen kann, wenn die relative Mehrheit in der Bundesversammlung ausreicht. Bei der Linkspartei gibt es aber erhebliche Vorbehalte gegen Steinmeier: Er war einer der Architekten der angeblich unsozialen und unmenschlichen „Agenda 2010“, und er steht als Außenminister für Kampfeinsätze der Bundeswehr ebenso wie für Deutschlands Mitgliedschaft in der Nato. So besehen ist Steinmeier – ideologisch gesehen – für die Linke nicht wählbar.
Kampfkandidatur wäre gut
Doch werden am linken Rand des politischen Spektrums bereits Lockerungsübungen unternommen. Aus Sicht der linken Machtpolitiker geht es in der Bundesversammlung in erster Linie darum, Angela Merkel und der CDU/CSU eine Niederlage beizubringen. Dafür würde ein großer Teil der Linke-Wahlmänner die Kröte Steinmeier schlucken. Das wäre dann ein Auftakt nach Maß für alle, die bei der Bundestagswahl eine rot-rot-grüne Regierung anstreben.
Noch ist in der Präsidentenfrage das letzte Wort nicht gesprochen; noch kann es zu einem gemeinsamen Kandidaten von Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün kommen. Doch hätte eine Kampfkandidatur Steinmeiers gegen einen Kandidaten der Union unter dem Aspekt der politischen Hygiene einen großen Vorteil: Falls Rot-Rot-Grün gemeinsam einen Bundespräsidenten wählen kann, werden die Beteiligten sich auch für die rot-rot-grüne Regierungsperspektive entscheiden. Ein Bundespräsident Steinmeier, nominiert von der SPD und gewählt mit den Stimmen von Jürgen Trittin und Sahra Wagenknecht, wäre wenigstens ein eindeutiges Signal – ein Signal für eine andere Republik.