So sollte wohl das moderne deutsche Paradies aussehen: Menschen unterschiedlicher Abstammung, Hautfarbe und Nationalitäten leben hierzulande zusammen. Die Nicht-Deutschen bereichern die Ureinwohner durch ihre Sitten und Gebräuche, durch ihre kulturelle Andersartigkeit. Das Zusammenleben ist geprägt von asymmetrischer Toleranz: Die Zuwanderer und ihre Nachkommen dürfen an allem festhalten, was nicht gegen das deutsche Strafrecht verstößt. Die Einheimischen zeigen dafür volles Verständnis. Zudem praktizieren die Bio-Deutschen ihre eigenen kulturellen und religiösen Rituale eher zurückhaltend. Niemand soll sich provoziert fühlen; schließlich haben es die Minderheiten im fremden Land ohnehin schwer.
Selbstverständlich bekommt jeder Zuwanderer, wenn er möchte, einen deutschen Pass als Zweit-Dokument, auf dass er mal als Deutscher, mal als Staatsbürger seines Heimatlandes auftreten kann – je nachdem, was gerade günstiger ist. Ach ja: Wer hier lebt, soll in der neuen als auch in der alten Heimat wählen und mitbestimmen dürfen. Je mehr Demokratie, umso besser.
Wirklichkeit geworden ist sie nicht, diese heile Multikulti-Idylle. Das zeigt sich im Alltag vor allem bei der größten hier lebenden Bevölkerungsgruppe mit ausländischen Wurzeln: den Türken. Jeder türkische Fahnen schwingende, „Erdogan, Erdogan“ skandierende und uns angeblich undemokratischen Deutschen als Nazi beschimpfende Türke mit und ohne deutschen Zweitpass ist der lebendige Gegenbeweis. Niemand kann beziffern, wie viele Milliarden in den letzten drei, vier Jahrzehnten in die Integration von türkischstämmigen Bürgern geflossen sind, wie viele Lehrerinnen und Lehrer sich abgemüht haben, Zuwandererkindern die deutsche Sprache und Grundkenntnisse über die Werte einer freien, demokratischen Gesellschaft beizubringen, wie viele Deutsche sich ehrenamtlich und in bester Absicht darum bemüht haben, den Zuwanderern hier das Eingewöhnen zu erleichtern.
Wer ein ehrliches Fazit zieht, muss ernüchternd zugeben: Die meisten Türken sind allenfalls formal integriert, leben und arbeiten hier und halten sich an die Gesetze. Doch von ihrer Mentalität her sind sie Türken und Muslime geblieben. Sie schätzen unsere wirtschaftlichen Chancen und die Großzügigkeit unseres Sozialsystems. Doch die offene, freiheitliche Gesellschaft ist ihnen ebenso fremd geblieben wie gleichgültig. Sie fühlen sich als Türken in Deutschland – und zwar als demokratieferne mit einer Vorliebe für autokratische Strukturen.
Das ehrliche Fazit: „Integration“ ist gescheitert
Viele von ihnen, die sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, verstanden dies nicht als Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes, sondern als Erleichterung ihres täglichen Lebens. Es ist es kein Zufall, dass Sultan Erdogan gerade bei den in Deutschland lebenden Auslandstürken um Stimmen für sein Ermächtigungsgesetz wirbt. Seine „deutschen“ Landsleute erscheinen ihm für seine Zwecke nützlicher, also undemokratischer zu sein als viele in der Türkei lebende Türken.
Die große türkische Parallelgesellschaft in Deutschland zeigt gerade mit Blick auf das Erdogan-Referendum, dass das Multikulti-Konzept krachend gescheitert ist – nicht am fehlenden Willen der meisten Deutschen, sondern am Unwillen der türkischen Mehrheit, sich hier nicht nur formal, sondern auch mentalitätsmäßig zu integrieren. Die Bereitschaft von Zuwanderern, sich der neuen Umgebung anzupassen, nimmt dem Maß ab, wie ihre eigene Zahl wächst. Warum sich eigentlich mit den Deutschen und Deutschland mehr abgeben, als unbedingt nötig, wenn man hier in vielen „Klein-Istanbuls“ leben kann wie zu Hause – nur besser.
Der Traum vom deutschen Multikulti-Paradies ist an der Wirklichkeit zerschellt. Umso schlimmer für die Wirklichkeit, folgern die grün-roten Integrationsapostel*innen, und suchen die Schuld bei den Deutschen. Wenn jeder Türke einen Zweit-Pass haben könnte, wenn auch Nicht-EU-Ausländer hier wählen dürften, wenn die Bio-Deutschen doch jedem Zuwanderer Tag für Tag mit einem fröhlichen „Wie schön, dass Du jetzt bei uns bist, wir hätten Dich sonst sehr vermisst“ zumindest verbal umarmten, dann wäre die Welt wieder heil – jedenfalls im „gutmenschlichen“ Sinn.
Man kann den Vorkämpfern für ein multikulturelles Deutschland (mit möglichst offenen Grenzen) nicht mit Fakten und den Erfahrungen aus drei Jahrzehnten gescheiterter Multikulti-Ideologie kommen; dafür sind Utopisten jeder Couleur nicht empfänglich. Doch bietet Erdogans Buhlen um in Deutschland lebende, nicht integrierte und zumindest Demokratie-skeptische Türken die Chance, bei den Themen Zuwanderung und Integration endlich die überfällige, ehrliche Debatte zu führen. Deutschland muss endlich Schluss machen mit der Praxis, lediglich passiv zu registrieren, wer zu uns kommt – ganz gleich, aus welchen Gründen, welchen Motiven und mit welchen Absichten auch immer. Deutschland muss endlich aussuchen, wen es als Zuwanderer haben will. In sechs Monaten wird gewählt. Wann, wenn nicht jetzt, sollen wir darüber diskutieren und streiten?