Angela Merkel hat Recht: Der Bundestagswahlkampf 2017 wird „sehr anders“ sein als vergangene Wahlschlachten: härter, polarisierter, hasserfüllter als frühere Auseinandersetzungen. Denn der Union ist in der AfD eine neue Konkurrenz am rechten Rand entstanden, die auch konservative Protestwähler anzieht. Zugleich macht die SPD keinen Hehl mehr aus ihrer Absicht, ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel gerne auch mit Hilfe der Linkspartei ins Kanzleramt hieven zu lassen. Aus der Sicht der linksgewendeten SPD ist die einstige SED eine über alle Zweifel erhabene, staatstragende Partei. Das würden – auch das ist neu – große Teile der SPD mit Blick auf die CSU so nicht unterschreiben.
Viele haben Merkels Ankündigung, abermals anzutreten, in dem Sinne kommentiert, nun werde Helmut Kohls einstiges „Mädchen“ den „ewigen Kanzler“ bei der Amtszeit einholen – 16 Jahre bis 2021. Das unterstellt, dass die AfD mit einem deutlichen zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einzieht. Da aber niemand mit den völkischen Schmuddelkindern spielen will, werde Merkel die Chance der Wahl haben: weiter mit der SPD oder ein Schritt ins machtpolitische Neuland: Schwarz-Grün oder die Jamaika-Lösung mit CDU, Grünen und FDP, da es für CDU/CSU und Grüne allein nicht reichen dürfte.
Alles Gedankenspiele, mehr nicht. Denn vor der Bundestagswahl stehen noch vier weitere Entscheidungen an, die die politische Stimmung im Land nachhaltig verändern können: im Februar die Wahl des Bundespräsidenten, im März die Landtagswahl an der Saar und dann im Mai die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Die Kür des neuen Staatsoberhaupts wird nicht spannend: Frank-Walter Steinmeier ist so gut wie gewählt. Aber wenn der Sozialdemokrat sein Amt antritt, dann wird die SPD das einen „Machtwechsel“ inszenieren wie weiland bei Gustav Heinemann im Jahr 1969. Und der neue Mann im Schloss Bellevue wird, da darf man sicher sein, innerhalb der Grenzen seines Amtes tun, was er kann, um die ihm zufliegenden Sympathien auch auf seine wahlkämpfenden Genossen zu übertragen. Ein Präsident ist kein parteipolitischer Eunuch. Und der alte Schröder-Spezi Steinmeier weiß, wie man über die Bande spielt.
NRW 2017: Rot-Schwarz?
Bei den folgenden Landtagswahlen hat die SPD formal mehr zu verlieren als die CDU. In Nordrhein-Westfalen wird es für eine Neuauflage von Rot-Grün sicher nicht reichen; dafür ist die SPD zu schwach. Aber es spricht einiges dafür, dass eine geschwächte SPD dennoch die Nase vor einer in der Opposition kaum erstarkten CDU haben wird. Dann bliebe Hannelore Kraft Ministerpräsidentin an der Spitze von Rot-Schwarz. Das käme einem Punktsieg für die SPD gleich.
Ähnlich sieht es in Schleswig-Holstein aus. Auch dort müssen SPD und Grüne mit Einbußen rechnen. Doch die zerstrittene, abgewirtschaftete CDU ist im hohen Norden kein ernsthafter Gegner. Dafür kann Rot-Grün, wie schon vor fünf Jahren, auf den von der Fünf-Prozent-Hürde befreiten Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen Minderheit, als Mehrheitsbeschaffer bauen. Schließlich stünde auch die erstaunliche starke Kubicki-FDP für eine „Ampel“ zur Verfügung. Von der Ostseeküste her kann die Union demnach nicht auf Rückenwind hoffen.
An der Saar kann die CDU – bestenfalls – darauf hoffen, dass sie dank der populären Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die Große Koalition unter ihrer Führung fortsetzen kann. Doch an der Saar ist Die Linke so stark wie sonst nur in der ehemaligen DDR. Deshalb könnte es auch knapp für Rot-Rot-Grün reichen. Falls das rechnerisch möglich ist, wird die SPD zugreifen. Die seit 2005 von 11 auf 5 geschrumpfte Zahl der von CDU und CSU gestellten Ministerpräsidenten auf 4 zu reduzieren, wäre aus Sicht der SPD eine perfekte Steilvorlage für den Kampf um den Großen Preis im September.
Bis zur Bundestagswahl im September sind es noch zehn Monate, eine politische Ewigkeit. Zur Erinnerung: Im November 2012, also zehn Monate vor der Bundestagswahl 2013, war die CDU mit 38 Prozent viel stärker als heute mit Werten zwischen 31 und 35 Prozent. Aber zugleich brachte es Rot-Rot-Grün in den Umfragen auf zusammen 49 Prozent und die inzwischen vergessenen Piraten hatten eine gute Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Dies nur als Hinweis an alle, die meinen, aus den Umfragewerten von heute ließe sich das Wahlergebnis vom September 2017 bereits ablesen.
Fragezeichen FDP
Wenn sich etwas ablesen lässt, dann dies: Für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün, also eine klassische Zweier-Koalition, wird es nicht reichen. Schwarz-Rot wird – anders als in manchen Bundesländern – dagegen möglich sein. Interessant sind die Zahlen für Rot-Rot-Grün, die in den aktuellen Umfragen der sechs großen Meinungsforschungsinstitute ermittelt wurden: Bei Emnid, der Forschungsgruppe Wahlen und Infratest dimap kommt „r2g“ jeweils auf 45 Prozent, bei Forsa auf 44 und bei Allensbach auf 43. Berücksichtigt man die zusammen rund 5 Prozent für sonstige Parteien, die bei der Sitzverteilung unter den Tisch fallen, müssen es potentielle Koalitionspartner auf 47 bis 48 Prozent bringen, um im Bundestag die Kanzlermehrheit zu erreichen. Rot-Rot-Grün bereits abzuschreiben, wäre also mehr als voreilig.
Ob es dazu kommen kann, hängt in hohem Maße von der FDP ab. Ungeachtet aller Fehler der GroKo werden die Liberalen nur von einem kleinen Teil der Wähler als echte Alternative wahrgenommen; ihre Umfragewerte schwanken zwischen 5 Prozent (Emnid, Forschungsgruppe) und 7,5 Prozent (Allensbach). Es dürfte also im Herbst 2017 von der FDP abhängen, ob es zu einer rot-rot-grünen Bundesregierung kommt. Sollten es die Liberalen abermals nicht schaffen, hätte „r2g“ – aus der Sicht von heute – eine komfortable Regierungsmehrheit. Das sind „nur“ Momentaufnahmen – aber keine beruhigenden.