Vor drei Jahren, am 6. Februar 2013, wurde die AfD gegründet. Vom ersten Tag an gab es, was bei Neugründungen nicht unüblich ist, personelle Querelen und Richtungskämpfe. Nach zweieinhalb Jahren spaltete sich der wirtschaftsliberale Flügel ab. Seitdem wird die Partei von den Nationalkonservativen dominiert. Zugleich haben sich rechtsradikale und völkische Tendenzen verstärkt.
Ungeachtet aller internen Streitigkeiten und ihrer zunehmenden Radikalisierung gewinnt die AfD stetig an Zustimmung. Bei den Wahlen am 13. März dürfte sie in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt in die Landtage einziehen. Sie wäre dann nach Sachsen, Brandenburg, Thüringen, Hamburg und Bremen in insgesamt acht Landesparlamenten vertreten. Im Herbst dürften Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dazu kommen. Die Rechtspopulisten in ihrem Lauf halten derzeit weder Ochs noch Esel auf – derzeit.
Markt-Modell pluralistische Demokratie
Das hat mit unserer pluralistischen Demokratie zu tun. Sie ist ein Markt-Modell: Die unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen werden von Parteien gebündelt. Die Parteien, deren Angebote bei Wahlen auf die stärkste Nachfrage stoßen, ziehen in die Parlamente ein. Dieses System ist aber keinesfalls statisch. Wenn viele Bürger der Meinung sind, ihre Interessen würden von den bestehenden Parteien nicht hinreichend vertreten, kommt es zur Gründung neuer Gruppierungen. Die 5-Prozent-Hürde im Wahlrecht soll abschrecken und einer zu großen Zersplitterung entgegenwirken. Sie ist jedoch, wie vor der AfD schon so unterschiedliche Parteien wie NPD, Republikaner, Grüne und Linkspartei bewiesen haben, nicht unüberwindbar.
Neue Parteien entstehen, wenn die vorhandenen nicht in der Lage sind, drängende Probleme zu lösen, oder zumindest den Eindruck von Hilflosigkeit oder Überforderung vermitteln. Das war Ende der sechziger Jahre der Fall, als die erste Rezession die vom Wirtschaftswunder verwöhnten Deutschen ebenso verunsicherte wie die Studentenrevolte. Da zudem eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD regierte, fehlte eine schlagkräftige Opposition, die diese Stimmung aufnehmen konnte. Es war die Stunde der NPD, die zwischen 1966 und 1968 in sieben Landtage einzog.
Ähnlich verlief der Aufstieg der Republikaner Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Ursprünglich gaben dort CSU-Politiker den Ton an, die mit dem Milliarden-Kredit an die DDR unzufrieden waren und das Ausbleiben der von Helmut Kohl versprochenen geistig-moralischen Wende beklagten. Ihr eigentliches Thema wurde dann aber der Zustrom an Flüchtlingen im Gefolge der Balkan-Kriege. Als die Bundesregierung dieses Problem in den Griff bekam, war es wieder aus mit dieser Rechtsaußen-Partei.
Nach demselben Muster entstanden auf der linken Seite des politischen Spektrums zwei neue Parteien: Ende der siebziger Jahre die Grünen und ein Vierteljahrhundert später die „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG)“.
Grüne und Linke etablierten sich bleibend
Umweltschutz, Pazifismus und Basisdemokratie waren Themen, die von Union, SPD und FDP nach Meinung vieler Bürger nicht ernst genug genommen wurden. Diese Marktlücke besetzten alternativ-grüne Gruppierungen. Die WASG-Gründer wiederum nahmen auf, was die SPD in den Augen vieler ihrer Wähler im Zuge der „Agenda 2010“ vernachlässigt hatte: das Thema soziale Gerechtigkeit. Auch hier funktionierte der politische Markt. Die Anhänger staatlicher Vollkasko-Politik bekamen eine Interessenvertretung, wobei der Zusammenschluss mit der ostdeutschen PDS den erfolgreichen Start sehr beförderte. Anders als NPD oder Republikaner hatten und haben Grüne wie die Linkspartei mehr zu bieten als nur das Aufgreifen diffuser Proteste. Deshalb etablierten sie sich auf Dauer.
Und nun die AfD. 2013 war sie die einzige Partei, die die Euro-Rettungspolitik strikt ablehnte. Dieses Alleinstellungsmerkmal, garniert mit einigen konservativen, von der CDU vernachlässigten Elementen, verhalfen ihr fast in den Bundestag. Den eigentlichen Durchbruch schaffte die AfD aber dank des 2014 einsetzenden starken Zustroms an Zuwanderern, von denen die meisten nicht vor politischer Verfolgung oder Kriegsgefahr geflohen waren, sondern aus wirtschaftlichen Gründen.
Das Flüchtlingsthema war sozusagen der Dünger, der der neuen politischen Pflanze zu schnellem und kräftigem Wachstum verhalf. Niemand kann bestreiten, dass die Regierung der Großen Koalition die Kontrolle über den Zustrom von Menschen aus aller Herren Länder verloren hat. Und die Bürger spüren, dass Regierung wie Opposition die Folgen und Kosten dieser Zuwanderungswelle mehr oder weniger negieren. Allen darüber Unzufriedenen bietet sich die AfD als neue politische Heimat an. Eine praktikable Lösung hat sie freilich nicht anzubieten.
Wutbürger zu Wutwählern
Das stört zwar politische Analysten, aber nicht Wutbürger und Wutwähler, die ein Ventil für ihren Unmut, ihr Unbehagen und ihre Ängste suchen. Wer es „denen da oben“ mal so richtig zeigen will, der entscheidet sich für die AfD. Sie lebt vom Protest, nicht von ihrem Personal, ihrem Programm oder gar ihrer Politik. Solange große Teile der Bevölkerung nicht den Eindruck haben, die Regierenden hätten das Heft in der Hand, solange kann die AfD kommenden Wahlterminen optimistisch entgegen sehen.
Die zu erwartenden Wahlerfolge der AfD im März und September werden noch nichts darüber aussagen, ob sich diese Partei dauerhaft am rechten Rand etablieren kann. Es kann ihnen auch wie den Republikanern ergehen. Ganz gleich, ob man die AfD für eine willkommene Alternative im Parteienspektrum oder eine rechtsradikale Gefahr hält: Ihr Aufstieg ist jedenfalls ein Beleg dafür, dass die pluralistische Demokratie in diesem Land funktioniert. Das Verrückte dabei ist, dass ausgerechnet die AfD den angeblichen Niedergang der Demokratie beklagt und damit des Systems, das sie hervorgebracht hat.