Tichys Einblick
Wie einst den Grünen und der PDS

Der AfD blüht im Bundestag ein frostiger Empfang

Falls die Neulinge von der AfD wissen wollen, wie das „Hohe Haus“ mit unerwünschten Schmuddelkindern umgeht, könnten sie das von altgedienten Kollegen der Grünen und der Linkspartei alias PDS erfahren. Auch die wurden erst einmal ausgegrenzt.

© Sean Gallup/Getty Images

Am kommenden Dienstag ist es so weit: Zum ersten Mal seit den 1950er-Jahren nimmt mit der AfD wieder eine Rechtsaußenpartei in Bundestag Platz. Die – noch – 92 Abgeordneten werden ganz rechts sitzen, also dort, wo bis vor vier Jahren die FDP gesessen hatte. Noch früher hatten dort Rechts-Parteien wie die Deutsche Partei (DP) oder der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) ihre Plätze. Zur Vollständigkeit gehört auch, dass im alten Bonner Plenarsaal viele ehemalige NSDAP-Mitglieder Politik gemacht haben – relativ viele in der FDP-Fraktion, aber auch bei CDU/CSU und SPD.

Wenn eine neue Fraktion ins Parlament kommt, sind die etablierten Parteien zunächst einmal skeptisch. Das war schon 1983 bei den Grünen so und 1990 bei der PDS nicht anders. Das hat machtpolitische Gründe: Die Neuen schmälern den Anteil der Alten an Sitzen und Positionen. Dazu kommen inhaltliche Gründe: Union, SPD und FDP sahen in den frühen Grünen in erster Linie Linksradikale und in den PDS-Abgeordneten Kommunisten. Jetzt ist die Gefechtslage dieselbe – nur seitenverkehrt: Aus der Sicht der anderen Fraktionen sind die AfD-Abgeordneten Rechtspopulisten, Rechtsradikale oder gar Nazis. Auch Grüne und Linke sehen in der neuen Fraktion das, was sie selbst einmal waren: unerwünschte Eindringlinge.

Wie also mit der AfD umgehen? Carsten Schneider, der neue Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, hat dazu eine ganz pragmatische Position: Die Wähler der AfD hätten „einen Anspruch“ auf eine parlamentarische Vertretung. Deshalb ist er gegen jede Änderung der Geschäftsordnung zu Lasten der AfD und plädiert für einen „ordentlichen Umgang“ mit der neuen Fraktion.

AfD beim Alterspräsidenten ausgetrickst

Wirklich glaubwürdig ist das aber nicht. Noch im Frühsommer hat der alte Bundestag mit den Stimmen von Union und SPD schnell die Geschäftsordnung geändert, damit kein AfD-MdB Alterspräsident werden kann. Dieses zeremonielle Amt – der Alterspräsident eröffnet nur die konstituierende Sitzung des neugewählten Parlaments – stand traditionell dem an Lebensjahren ältesten Parlamentarier zu. Das wäre, wie schon vor der Wahl absehbar, der AfD-Abgeordnete Wilhelm von Gottberg gewesen. Der schien der Bundestagsmehrheit wegen seiner umstrittenen Äußerungen zum Holocaust jedoch nicht würdig. Also darf jetzt der Abgeordnete mit der längsten Zugehörigkeit zum Bundestag das Amt ausüben. Das hätte auf Wolfgang Schäuble (CDU) zugetroffen. Da er aber als Bundestagspräsident kandidieren wird und er schlecht seine eigene Wahl leiten kann, fällt die Aufgabe Hermann Otto Solms (FDP) zu, dem MdB mit der zweitlängsten „Amtszeit“ von 33 Jahren. So viel zum „normalen Umgang“ mit der AfD.

Falls die Neulinge von der AfD wissen wollen, wie das „Hohe Haus“ mit unerwünschten Schmuddelkindern umgeht, könnten sie das von altgedienten Kollegen der Grünen und der Linkspartei alias PDS erfahren. Auch die wurden von den etablierten Parteien – demokratische Wahl hin, Wählerwille her – erst einmal ausgegrenzt. Und zwar nach allen Regeln der Geschäftsordnungskunst.

Schon bei den Grünen schlug „das Imperium“ zurück

Als die Grünen 1983 mit 28 von damals 530 Abgeordneten in den Bundestag einzogen, kam das im alten Bonner Plenarsaal einem Kulturschock gleich – bärtige Männer in Latzhosen und Frauen in langen Röcken und selbstgestrickten Pullovern. Es war nicht nur die feste Absicht der neuen Fraktion, mit allen Regeln des Protokolls zu brechen, die das Bonner Establishment erregte. Vizepräsidentin Annemarie Renger befürchtete vielmehr die Wiederkehr der für den Weimarer Reichstag charakteristischen Turbulenzen.

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So schlug das Bonner „Imperium“ zurück, wo immer es nur konnte. Ganz selbstverständlich bekamen die unerwünschten Neuen keinen Sitz im Bundestagspräsidium. Ebenso wenig gestanden CDU/CSU, SPD und FDP dieser „Anti-Parteien-Partei“ einen Sitz in den mit geheimdienstlichen Fragen befassten Ausschüssen zu. Viele Konservative sahen in den Grünen ohnehin von Ostberlin gesteuerte U-Boote. (Dass ein Grünen-MdB tatsächlich Stasi-IM war, stellte sich erst nach 1990 heraus). Vorstellungen aus der Union, die Grünen durch einen Krawattenzwang bekleidungsmäßig zur Raison zu bringen, machte der gegenüber der „grünen Gefahr“ recht entspannt agierende Parlamentspräsident Rainer Barzel (CDU) jedoch nicht mit.

Die formale Quarantäne hielt bis 1994 an. Nach dem knappen Wahlsieg der CDU/FDP-Koalition ahnte der damalige CDU/CSU-Fraktionschef Schäuble, dass die Union vielleicht doch einmal die Grünen als Partner brauchen könnte. So sorgte er gegen den Willen der SPD dafür, dass die Grünen mit Antje Vollmer zum ersten Mal eine Vizepräsidentin stellen durften. Die Geheimdienste beaufsichtigen durften sie fortan auch.

Der PDS schlug 1990 regelrecht Hass entgegen

Nicht besser, sondern noch schlechter ging es der PDS/SED, als diese nach den Einheitswahlen 1990 ins Bonner Bundeshaus einzog. Deren Abgeordnete fielen nicht durch unbotmäßige Bekleidung auf. Auch protestierten sie nicht wie einst die Grünen während einer Kohl-Rede mit einem Transparent vor dem Rednerpult. Aber selbst um Fairness bemühten westdeutschen Abgeordneten fiel es schwer, ehemalige hochrangige Funktionsträger im SED-Staat wie den Wahlfälscher Heinz Modrow als Demokraten unter Demokraten zu respektieren oder wenigstens zu akzeptieren.

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So war es nicht verwunderlich, dass den PDS-Abgeordneten Verachtung, ja teilweise Hass entgegenschlug. Von einem normalen, überparteilichen Arbeitsverhältnis konnte in den beiden ersten Wahlperioden von 1990 bis 1998 nicht die Rede sein. Lange Zeit gehörte es zum „Ritual“, dass die meisten Parlamentarier den Plenarsaal demonstrativ verließen, sobald ein PDS-Redner das Wort ergriff. Die verbliebenen sparten nicht mit Zwischenrufen, machten die PDS-Mandatsträger direkt für das Unrecht der DDR verantwortlich, und überschütteten sie mit Häme wegen der desolaten Lage der DDR-Wirtschaft.

Typisch für den Umgang mit den Unerwünschten: Als der für die PDS gewählte Abgeordnete Stefan Heym 1994 als Alterspräsident amtierte, druckte die Regierung Kohl/Kinkel die Rede nicht im amtlichen Bulletin ab. Parteiübergreifende Betroffenheit über das vergiftete Klima löste indes 1992 der Selbstmord des thüringischen PDS-Abgeordneten Gerhard Riege, SED-Mitglied seit 1946, aus. Als dessen Spitzeltätigkeit für die Stasi bekannt wurde, nahm er sich das Leben. In seinem Abschiedsbrief an seine Frau hieß es, er habe Angst gehabt vor dem Hass, der ihm im Bundestag entgegenschlage.

Linker Kandidat fürs Parlamentspräsidium fiel vier Mal durch

Anders als bei den Grünen gestand die Mehrheit der PDS einen Bundestagsvizeposten zu, nachdem sie 1994 Fraktionsstärke erreicht hatte. Doch 2005 demütigten vor allem Abgeordnete der CDU/CSU den PDS-Kandidaten Lothar Bisky, indem sie ihn vier Mal bei der Wahl durchfallen ließen. Erst nach einem halben Jahr gab es dann eine überparteiliche Mehrheit für die PDS-Kandidatin Petra Pau. Die wird seitdem auf allen Seiten des Hauses ob ihrer Professionalität als Vizepräsidentin geschätzt.

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In mehreren Landtagen haben die Mehrheiten durch offenkundige Geschäftsordnungstricks dafür gesorgt, dass kein AfD-Abgeordneter ins Präsidium einzieht, unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Bund haben CDU/CSU, SPD, Grüne und Linke dieser Versuchung widerstanden. Es wäre rechtlich auch schwierig geworden, die drittstärkste Fraktion vom Präsidium auszuschließen. Der AfD steht also ein Vizepräsident zu; es soll der einstige Frankfurter Stadtkämmerer Albrecht Glaser werden. Ob der langjährige CDU-Politiker allerdings gewählt wird, ist fraglich. Grüne, Linke und auch viele Sozialdemokraten haben bereits angekündigt, ihm die Stimme zu verweigern, da Glaser den Islam als politische Ideologie bezeichne und ihm die im Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit verweigern wolle. Gut möglich also, dass Glaser das Schicksal eines Lothar Bisky widerfährt.

Sollte die Bundestagsmehrheit Glaser durchfallen lassen, wäre das kein Verstoß gegen die Geschäftsordnung. Der AfD steht ein Vize zu. Aber der wird nicht von der eigenen Fraktion ernannt, sondern muss von der Mehrheit aller Abgeordneten gewählt werden. Eine oder mehrere Wahlniederlagen Glasers könnten sich indes als kurzfristiger Triumph erweisen. Für die zahlreichen Verschwörungstheoretiker in der AfD wäre es sogar ein willkommener Beweis, dass dieses „System“ undemokratisch ist. Das würde nicht nur in der zerstrittenen AfD-Fraktion die Reihen schließen, sondern auch Wutwähler fester an die Rechtsaußenpartei binden.

Mehrheit stellt sich auf Provokationen von Rechtsaußen ein

In jedem Fall können sich die Gaulands und Weidels darauf einstellen, dass man ihnen im „Hohen Haus“ das parlamentarische Leben möglichst schwer machen wird.
Umgekehrt dürften AfD-Abgeordnete ständig mit nationalistischen, rechtsradikalen Tönen die Mehrheit zu provozieren versuchen, werden testen, was parlamentarisch gerade noch geht. Die Mehrheit wäre gut beraten, sich mit den Provokateuren von ganz rechts nicht in kleinlichen Geschäftsordnungsstreitereien abzugeben, sondern sich inhaltlich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Gut möglich, dass der Bundestag eine Wiederholung der Entwicklung der 1980er Jahre erlebt. Rainer Barzel stellte in seinen Memoiren fest, die ständigen Provokationen des Grünen Joschka Fischer wären nach einiger Zeit verpufft, weil der „bald seine Kraft und Intelligenz den Querelen innerhalb seiner Gruppe zuwenden musste“. So wie es aussieht, könnte das bei der schon jetzt heftig zerstrittenen AfD auch so kommen – und das ohne jegliches Zutun der „Altparteien“.

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