Bei den Schwesterparteien ging es schon immer zu wie in ganz normalen Familien: mal lieben sie sich, mal zoffen sie sich lautstark. Beim Unionskrach vom vergangenen Sommer haben beide Parteien „in den Abgrund“ geschaut, wie die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer es formuliert. Aber bei den erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl in den 1970er- und 1980er-Jahren war man dem Abgrund noch näher gewesen.
Jetzt soll alles besser werden. Merkels Nachfolgerin an der Spitze der CDU und der neue CSU-Vorsitzende Markus Söder bemühen sich demonstrativ um Entspannung, haben 2019 unionsintern zum „Jahr der Zusammenarbeit“ (Söder) ausgerufen. So gab es zu Beginn der Woche zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder eine Schaltkonferenz zwischen den Parteispitzen in München und Berlin. Was bis zum großen Krach in der Flüchtlingskrise gang und gäbe war, soll jetzt wieder regelmäßig stattfinden.
Die Deutschen, insbesondere die konservativen unter ihnen, sind bekanntlich konsenssüchtig. Sie beobachten schon normale politische Kontroversen skeptisch. Umso weniger hatten potentielle Unionswähler Verständnis für den „Schwesterkrieg“ im vergangenen Sommer, was sich in den Umfragezahlen und Wahlergebnissen niederschlug. Eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen beiden Unionsparteien liegt schon deshalb im Interesse beider Seiten.
Allerdings werden sich die weiß-blauen „Schwarzen“ auch künftig nicht so verhalten, als wären sie der 16. Landesverband der CDU. Eigenständigkeit gehören ebenso zur CSU-DNA wie eine konservative Ausrichtung und der Kampf mit harten Bandagen. So war es bezeichnend, dass Söder jetzt nach einem Treffen mit Kramp-Karrenbauer in Berlin betonte, es sei „sehr, sehr gut, dass die CDU ihre konservative Seele wiederentdeckt“ habe. Zur Erinnerung: Im Februar vergangenen Jahres hatte CDU-Vize Armin Laschet den Konservativen in der CDU vorgehalten, der „Markenkern“ der CDU sei „eben nicht das Konservative.“ Die sich bald darauf formierende „Union der Mitte“, eine Ansammlung von 100prozentigen Befürwortern des Merkel-Kurses in der CDU, rückte die eigenen konservativen Parteifreunde sogar an den ganz rechten Rand und feierte damals jeden schlechten Umfragewert der „konservativen CSU“ fast wie einen Sieg.
Jetzt hat Söder die „drei grundlegenden Säulen“ der Volkparteien CSU so definiert: „konservativ, liberal, aber auch sozial“. Das weicht nicht zufällig von der üblichen Bezeichnung der CDU als „christlich-sozial, liberal und konservativ“ ab. Bei Söder und der CSU steht das Konservative an erster Stelle. Das war faktisch schon immer so, gewinnt jedoch in der Auseinandersetzung mit der AfD zusätzlich an Bedeutung. Schließlich gilt es den Teil der AfD-Wähler zurückzugewinnen, die noch nicht von völkischem und rechtsradikalem Gedankengut infiziert sind.
Bei allen Bemühungen der Unionsparteien um eine friedliche Koexistenz untereinander werden sich Spannungen künftig nicht vermeiden lassen. Schließlich handelt es sich um zwei eigenständige Parteien mit teilweise unterschiedlicher Programmatik und jeweils eigenem Stil. Das muss aber kein Nachteil sein, im Gegenteil. Eine eher konservative, in der Bundespolitik einflussreiche CSU, kann solche Wähler außerhalb Bayerns an die Union binden, denen die CDU zu sozialdemokratisch geworden ist. Dieses Kalkül ist bei der letzten Bundestagswahl nicht mehr aufgegangen, weil beim Thema Flüchtlinge die Menschen zu Recht den Eindruck gewonnen hatten, die CSU habe – allen markigen Worten zum Trotz – Merkels Willkommens-Politik doch nicht verhindern können. Viele von Merkel enttäuschte Wähler haben dann ihr Kreuz bei der AfD gemacht, weil sie nicht mehr auf die korrigierende Kraft der CSU bauen konnten. Dass Merkel ihre Flüchtlingspolitik unter dem Druck der CSU und aus der eigenen Partei im Laufe der Zeit deutlich geändert hat, verblasste hinter dem „Kontrollverlust“ von 2015/2016.
CDU und CSU haben in der Vergangenheit meistens voneinander profitiert. Das gut regierte und in vielerlei Hinsicht erfolgreiche Bayern diente als Modell für eine Politik der Marke „Union pur“. Umgekehrt konnte und kann die CSU im Bund nur so viel für Bayern herausholen, weil sie eben zusammen mit der CDU fast ununterbrochen die stärkste Fraktion stellt. Wie es außerhalb Bayerns Unionswähler gab und gibt, die bei der CDU wegen der CSU machen, so finden sich in Bayern nicht wenige Wähler, die die CSU wegen der CDU wählen.
Kramp-Karrenbauer und Söder sind beide erst seit kurzem in ihren Ämtern. Beide stehen vor großen Herausforderungen, müssen unter anderem versuchen, an die AfD wie an die Grünen verlorene Wähler zurückzugewinnen. Bis zur Europawahl am 26. Mai und den am gleichen Tag stattfindenden Kommunalwahlen in zehn Ländern wird die neue geschwisterliche Harmonie wohl anhalten. Wie‘s dann weitergeht, hängt nicht zuletzt von den Wahlergebnissen ab. Die Messlatte liegt bei den 35,4 Prozent von 2014. Das galt damals als mäßiges Ergebnis; heute würden CDU und CSU es feiern.