Gut fünf Wochen nach der Bundestagswahl haben die Spitzengremien der CDU noch keine Zeit für eine gründliche Wahlanalyse gefunden. Das ist bei CSU und SPD nicht anders – und völlig normal. Bei guten Ergebnissen glaubt man keine Analyse nötig zu haben, bei schlechten verzichtet man liebend gerne darauf. Warum auch in noch schwärenden Wunden herumstochern?
Auch wenn die CDU sich nicht ernsthaft mit Zahlen beschäftigt, ist sie nach Kräften bemüht, das wenig schmeichelhafte Ergebnis vom 24. September schönzureden. Die CDU ist (außerhalb Bayerns) bei den Zweitstimmen um 7,4 Punkte auf 26,8 Prozent abgesackt. Sie hat trotz der Aufblähung des Bundestags 55 ihrer bisher 255 Mandate verloren. Sieger sehen so sicher nicht aus. Dennoch handelt die CDU-Spitze, allen voran die Parteivorsitzende und Kanzlerin, nach dem Motto „Nicht das Erreichte zählt, uns reicht das Erzählte.“ Folglich verkündete Angela Merkel noch in der Wahlnacht, sie wisse nicht, was sie hätte anders machen können. Also alles paletti?
Selbst CDU-Generalsekretär Peter Tauber müsste es inzwischen gedämmert haben, dass seine Prognose von 2014, die AfD werde so schnell wieder verschwinden wie einst die Piraten, nicht gerade von großer Weisheit geprägt war. Inzwischen vermitteln die führenden Köpfe der CDU jedoch den Eindruck, sich mit der Existenz der rechten Konkurrenz abgefunden zu haben. Motto: „Wenn die da sind, dann sind sie halt da.“ Nebenbei: Sich mit der Existenz der AfD abzufinden, ist für Parteimanager recht bequem. Wenn man die neue Partei wie ein Naturereignis betrachtet und nicht auch als Ergebnis eigener Fehler, dann lebt es sich viel leichter.
Alle Wahlanalysen der Meinungsforscher zeigen: Keine Partei hat so viele Stimmen an die AfD abgegeben wie die Union. Wenn aber vereinzelte CDU-Politiker laut darüber nachdenken, wie man diese enttäuschten Konservativen wieder zurückgewinnen könnte, stoßen sie auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung. Stört unsere Jamaika-Kreise nicht, lautet implizit die Botschaft.
Weil der Zusammenhang zwischen weit geöffneten Grenzen und immer schlechter werdenden CDU-Werten nicht zu übersehen ist, hat die Merkel-Fraktion in der CDU eine zweite Verteidigungslinie aufgemacht: Die 32,9 Prozent für die CDU/CSU seien ein „normales“ Ergebnis – auf einer Linie mit den 35,2 Prozent von 2005 und den 33,8 Prozent von 2009. Demgegenüber seien die 41,5 Prozent von 2013 ein „Ausreißer“ gewesen, mithin keine seriöse Vergleichsgröße.
Die Chancen für „Jamaika“ stehen 50:50. Sollte es dazu kommen, wird die CDU diese Koalition als Ausdruck ihrer Modernität interpretieren. Es bedarf freilich einer sehr großen Portion Phantasie, sich bei „Jamaika“ eine „Flüchtlingspolitik” oder Familienpolitik vorzustellen, die nach Rechts(außen) abgewanderte CDU-Wähler wieder mit „ihrer“ Union versöhnen könnte. Aber darum geht es der CDU-Führung auch gar nicht. Sollen die ungeliebten und unbequemen „Konservativen“ doch die AfD wählen. Solange die CDU die Kanzlerin stellt, ist dies aus der Perspektive des Adenauer-Hauses ein leicht zu verschmerzender Kollateralschaden. Übrigens: Adenauer wurde 1949 mit 31,0 Prozent der Stimmen Kanzler. Es ist also noch Luft nach unten.