Es mangelt nicht an negativen Urteilen über die Griechen. Manche sind geradezu abwegig, viele aber berechtigt. Zu letzteren zählen diejenigen, die sich mit der Athener Politik befassen: Nicht vertragstreu und populistisch sei das Land in der Vergangenheit von der konservativen Nea Dimokratia wie von der sozialdemokratischen Pasok regiert worden. So besehen ist die von Syriza angeführte Links-Rechts-Regierung eine würdige Nachfolgerin.
Bei all dem Griechen-Bashing sollten gerade wir Deutschen nicht übersehen, dass manches, was wir als „griechische Verhältnisse“ beklagen, auch in Deutschland nicht ganz unbekannt ist. Nehmen wir den Vorwurf, Griechenland habe sich nicht an die Euro-Regeln gehalten. Ja, das stimmt. Aber auch Deutschland ist nicht der Musterknabe, als den wir uns gerne darstellen lassen und selbst darstellen. Als der Euro eingeführt wurde, galten unter anderem zwei Maastricht-Regeln: Der Schuldenstand darf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen und die Nettokreditaufnahme nicht 3 Prozent des Staatshaushaltes.
Schummeln beim Euro-Eintritt
Die Bundesrepublik hat beim Euro-Start diese Bedingungen brav erfüllt. Aber kaum hatte der Prüfling das Eintrittsexamen überstanden, schlug er über die Stränge. Die Schuldenquote lag letztmals 2002 unter 60 Prozent. Von da an ging’s steil bergauf bis auf 80 Prozent im Jahr 2010 und nur langsam wieder bergab auf aktuell 75 Prozent (2014).
Etwas besser, aber keineswegs vorbildlich sieht es bei der Nettokreditaufnahme aus. Bald nach dem Euro-Start verstieß der Bundeshaushalt gegen das 3-Prozent-Kriterium und das gleich fünf Jahre hintereinander: von 2001 bis 2005. Das wiederholte sich bei den Haushalten 2009 und 2010. Das war allerdings nicht nur hausgemacht, sondern auch eine Folge der damaligen Finanzkrise war.
Wenn den verschiedenen griechischen Regierungen der letzten Jahrzehnte eines gemein ist, dann eine ausgeprägte Klientelpolitik – zugunsten der Reichen wie der kleinen Leute. Der faktischen Steuerfreiheit für „die da oben“ entspricht die großzügige Rentenpolitik für die kleinen Leute und die Öffnung des Staatsdienstes für treue Parteigänger. Wenn 25 Prozent auf der Gehaltsliste des Staates stehen, sind 25 Prozent der Wähler plus ihre Familien der Partei dankbar, die ihnen den Job verschafft haben. So einfach ist das.
Nein, Auswüchse dieses Ausmaßes gibt es hierzulande nicht. Aber so makellos, wie wir uns gerne sehen, sind wir auch nicht. Nehmen wir zum Beispiel die Erbschaftssteuer, die in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung das steuerfreie Vererben von Riesenvermögen erlaubt, sofern es sich um Unternehmen handelt. Wenn ein Kind 10-Millionen in Aktien und Immobilien erbt, schlägt der Fiskus zu, nicht jedoch bei einem Unternehmen, das 100 Millionen wert ist. Das wird mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen begründet, was nicht völlig aus der Luft gegriffen ist.
Nun ließen sich durchaus Lösungen finden, die die Kinder von Unternehmern nicht länger privilegierten und dennoch keine Firma wegen der Erbschaftssteuer in die Insolvenz zwängten. Darüber wird aber in der CDU/CSU aus naheliegenden Gründen nicht nachgedacht. Und selbst Teilen der SPD gehen mit Blick auf Wahlen in den „Mittelstandsländern“ Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, das Privatvermögen von Firmenerben zu Begleichung der Erbschaftssteuer heranzuziehen, entschieden zu weit.
Klientelpolitik auf bei deutschen Rentenbeschlüssen
Reine Klientelpolitik sind auch die Rentenbeschlüsse der Großen Koalition. Die Union hatte den sie überdurchschnittlich wählenden Frauen die Verbesserung der „Mütterrente“ versprochen, die SPD den ihr zugetanen Facharbeitern die Rente mit 63. Die Rechnung ging auf. Die GroKo-Parteien kamen bei der Bundestagswahl in der Altersgruppe 60 plus auf 77 Prozent, knapp zehn Prozentpunkte mehr als bei allen Wahlberechtigten. Als Dankeschön hat Schwarz-Rot denn auch prompt ein sehr teures und überflüssiges Rentenpaket geliefert.
Ebenfalls der „Klientelpolitik pur“ verdanken wir den gesetzlichen Mindestlohn. Solange die Gewerkschaften gegen diesen Eingriff in den Arbeitsmarkt waren, war die SPD dagegen. Als dann vor rund zehn Jahren sich die Gewerkschaften anders besannen, schwenkte die SPD in Richtung Lohn-Dirigismus um. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns war zudem ein Versöhnungsangebot der SPD an die seit der „Agenda 2010“ nicht mehr ganz so SPD-nahen DGB-Gewerkschaften. Kleine Geschenke erhalten eben die Freundschaft, große umso mehr.
Typisch griechisch, typisch deutsch? Wie antwortete doch der Deutsch-Grieche Jorgo Chatzimarkakis so treffend auf die Frage, warum die Syriza-Linken sich denn nicht wenigstens die reichen Steuerflüchtlinge zur Brust nähmen: „Weil auch eine linke griechische Regierung aus Griechen besteht.“ Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Auch der deutsche Michel ist ein kleiner Grieche.