Fünfzig Jahre nach „1968“ werden den Revoluzzern und selbsternannten Weltenrettern gerne Lorbeerkränze geflochten. Dabei haben sie ihr Hauptziel, nämlich die revolutionäre Umwälzung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, meilenweit verfehlt. Doch ist es den Achtundsechzigern gelungen, die politische Auseinandersetzung hierzulande nachhaltig zu verändern, besser: zu vergiften, zu radikalisieren, zu brutalisieren. Die Bundesrepublik ist durch „1968“ ein anderes Land geworden – aber kein besseres.
Freund-Feind-Denken als Normalfall
Die Achtundsechziger waren Fanatiker. Entsprechend fanatisch haben sie Politik betrieben. Das Freund-Feind-Denken, mit dem Nationalsozialisten und Kommunisten die Weimarer Republik zugrunde gerichtet haben, feierte nach 1968 Urstände. Die für die junge Bundesrepublik so wichtige „Gemeinsamkeit der Demokraten“ verlor an Bedeutung. Aus politischen Gegnern wurden Feinde, aus den für die Demokratie konstituierenden politischen Auseinandersetzungen Glaubenskriege.
Wenn nicht mehr „nur“ um die bessere Lösung gerungen wird, sondern es um absolute Wahrheiten geht, bleibt der Respekt für den anderen auf der Strecke, wird die Auseinandersetzung radikaler und giftiger. Das prägt das politische Klima bis heute. Wir leben dank „1968“ in einem politischen Reizklima, in dem eine Empörungswelle die andere ablöst, ein Skandal auf den anderen folgt, an jeder Ecke alte und neue Nazis lauern.
Political Correctness als Messlatte
Das wirkt bis heute nach. Wer die Verbrechen der Nazi-Zeit zu relativieren sucht, wird – zu Recht – an den Pranger gestellt. Wer dagegen den Unrechtsstaat DDR verteidigt, wer Mauer und Stacheldraht als Kollateralschaden des Kalten Kriegs abtut, darf auf Verständnis rechnen. Zwei andere Beispiele: Wer gegen eine unkontrollierte Zuwanderung ist, landet sofort in den Kategorien „Ausländerfeind“ oder „Rassist“, wer die „Ehe für alle“ kritisch sieht, ist – natürlich – homophob.
Intoleranz als Markenzeichen
Angeblich kämpfte die Außerparlamentarische Opposition für mehr Demokratie. In Wirklichkeit waren die damaligen Rebellen im höchsten Maße totalitär und intolerant. Meinungsfreiheit und Pluralismus galten nur – wenn überhaupt – innerhalb des linken Spektrums. Gegenüber anderen Positionen galt: mundtot machen, unterdrücken, am besten verbieten.
Ihre totalitäre, zutiefst undemokratische Einstellung demonstrierten die Achtundsechziger, wenn sie damals Vorlesungen sprengten, um politische Diskussionen zu erzwingen. Wenn die daran nicht interessierte Mehrheit im Hörsaal eine Abstimmung darüber forderte, ob überhaupt diskutiert werden soll, wurde ihnen von der selbsternannten Avantgarde entgegengehalten, sie könnten in Ermangelung des „richtigen Bewusstseins“ gar nicht abstimmen, müssten sich also zuerst indoktrinieren lassen.
Für die Achtundsechziger war klar: Wer sich ihren Vorstellungen nicht beugte, war ein Feind. Und gegen den war jedes Mittel recht. Das erfuhren Professoren, die ihnen zu widersprechen wagten, auf üble Weise, zum Beispiel der Soziologe Theodor W. Adorno, der Begründer der „Frankfurter Schule“. Im Prinzip teilte er die Kritik der Studenten „an den restaurativen Tendenzen der spätkapitalistischen Gesellschaft“, lehnte aber deren Bereitschaft zur Gewalt entschieden ab. Das führte zu massiven Störungen seiner Vorlesungen und zur Besetzung seines Instituts an der Universität Frankfurt. Anfang 1969 musste Adorno seine Vorlesung und sein Hauptseminar einstellen. Wenige Monate später verstarb er im Alter von 65 Jahren an einem Herzinfarkt.
Die gleiche Intoleranz wie gegenüber „widerspenstigen“ Hochschullehrern legten die Achtundsechziger bei Veranstaltungen politischer Gegner an den Tag. Den anderen durch ohrenbetäubenden Lärm oder physische Gewalt daran zu hindern, seine Veranstaltung überhaupt abhalten zu können, galt als großer „demokratischer“ Sieg. Diese Form der Meinungsdiktatur wird bei uns unverändert praktiziert. Linke Gruppen versuchen, wo immer sie können, öffentliche Veranstaltungen der AfD zu verhindern. Umgekehrt hat auch die AfD von den Linksradikalen gelernt: Ihre „Merkel muss weg“-Kampagne im letzten Bundestagswahlkampf erinnerte an die APO-Störtrupps bei der Bundestagswahl 1969.
Mao, HoTschi Minh und Pol Pot als Ideale
Dass Hass das Gehirn vernebelt, ist bekannt; bei den Achtundsechzigern war das nicht zu übersehen. Ihre fanatische Gegnerschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika führte dazu, jeden Feind der USA zu verklären und zu verherrlichen. Die Mao-Bibel gehörte bei den Mitmachern und Mitläufern der Studentenrevolte zur ideologischen Grundausstattung, auf vielen APO-Demonstrationen ertönte der Schlachtruf “Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“, und selbst Bildnisse von Pol Pot wurde mitgeführt.
Der „Große Vorsitzende“ der chinesischen Kommunisten, der Anführer der nordvietnamesischen Guerilla-Bewegung und der kambodschanische Diktator waren alles andere als lupenreine Demokraten; sie waren ausgemachte Feinde der Demokratie. Zudem zählten Mao und Pol Pot zu den schlimmsten Massenmördern des 20. Jahrhunderts. Aber die 1968er-Aktivisten verehrten sie mit leuchtenden Augen als ihre Idole. Das blieb nicht ohne Folgen. Bis heute gehört die Relativierung aller Verbrechen im Namen des Kommunismus zum guten Ton links der Mitte.
Gewalt als Mittel der Politik – bis hin zum Mord
Es führt eine direkte Spur von den Demonstrationen 1967/68 zu den Morden der „Rote Armee Fraktion (RAF) – eine sehr blutige. Das kommt nicht von ungefähr. Denn für die APO war Gewalt von der ersten Stunde an ein Mittel der Politik, wobei man im Anfang eine Unterscheidung zwischen „Gewalt gegen Personen“ und „Gewalt gegen Sachen“ vornahm. Aber diese Differenzierung war zu theoretisch-akademisch, um Bestand zu haben. Die Realität sah unter anderem so aus: erst brannten Zeitungen, dann brannten Autos, dann brannten Menschen. Und Molotowcocktails gegen Polizisten waren zweifellos keine Sachbeschädigung.
Wobei sich die Frankfurter „Putztruppe“ eines gewissen Joschka Fischer den Ruf erwarb, besonders schlagkräftig zu sein. Gewalt als Mittel der Politik galt auch Jahre später in linken und linksliberalen Kreisen als salonfähig, zum Beispiel bei den Großdemonstrationen gegen die in Bau befindliche Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf oder gegen das in Bau befindliche Kernkraftwerk Brokdorf. Die gewalttätigen Proteste gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen kostete zwei Polizisten das Leben.
Die APO hat dazu beigetragen, dass „Recht und Gesetz“ quasi zu Schimpfworten wurden. Politiker, die auf rechtsstaatlichen Prinzipien wie der Einhaltung von Gesetzen beharrten, wurden als „Law and Order“-Politiker geschmäht. Dieses Etikett wird noch heute in links-grünen Kreisen verwendet, um konservative Innenpolitiker an den rechten Rand zu drängen.
Ohne den Hass auf politisch Andersdenkende und ohne die Verachtung des Rechtsstaats bei der Achtundsechzigern wäre es wohl nicht dazu gekommen, dass ein kleiner Teil in die Kriminalität abglitt, dass der politische Mord für eine extremistische Minderheit zum Mittel für einen undefinierten Zweck wurde. Denn die Mörderbande der RAF und ihre Nachfolger verfolgten keine politischen Ziele mehr. Ihr Antrieb war die Ablehnung des „Systems“. Dafür mussten insgesamt 34 Menschen sterben – sinnlos.
Die Mehrheit bei den Achtundsechzigern hatte mit dieser Entwicklung nichts zu tun. Aber ein großer Unterstützerkreis half vielen Mördern, dass sie sich lange dem Zugriff der Polizei entziehen konnten. Noch heute – mehr als ein Vierteljahrhundert später – sind die Mörder des Vorstandssprechers der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, oder des Chefs der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, auf freiem Fuß, sind ihre Verbrechen ungesühnt. Das verdanken diese Mörder auch der ungebrochenen Verschwiegenheit ihrer Helfer und Sympathisanten und deren klammheimlicher Sympathie für diese Verbrecher.
Die Nachkommen der 68er: Eine hasserfüllte Minderheit
„1968“ liegt lange zurück, aber der Geist von 1968 lebt bei einer Minderheit noch fort. Einer linksradikalen Minderheit, die demokratische Entscheidungsprozesse grundsätzlich ablehnt. Einer Minderheit, deren Gefühl der ideologischen Überlegenheit zu einer Maßlosigkeit in der Wahl der Mittel führt. Einer Minderheit, deren Hauptantrieb der Hass ist: Hass auf den Staat, Hass auf das System, Hass auf alle seine Repräsentanten. Diese Minderheit definiert Gewalt als Notwehr gegen strukturelle Gewalt. Polizisten und Rechtsextreme haben demnach keine Menschenrechte.
Die linksradikale Gewaltorgie beim G 20-Gipfel im Juni 2017 stand in dieser Tradition. So besehen war es die Geburtstagsparty zum „Fünfzigsten“ der Achtundsechziger – wenn auch etwas verfrüht.