Auf Mr-Market habe ich schon oft darüber gesprochen, nach welchen Aktien ich persönlich mit Vorliebe für mein Investment-Depot suche. Aber auch hier auf TE habe ich das angedeutet, ein solches Beispiel – damals für eine „Schaufelaktie“ – habe ich Ihnen im Herbst 2016 mit Thermo Fisher Scientific (TMO) gegeben.
Thema dieses Artikels ist daher die Frage, nach welchem Typus Aktien man für ein wirklich langfristiges Investment Ausschau halten sollte, oder sagen wir es mal konkreter, nach welchen Aktien ich persönlich Ausschau halte.
Man kann sich dem Thema abstrakt nähern und das will ich heute auch erst einmal tun, bevor ich konkret werde. Denn ich predige unter anderem immer zwei Weisheiten, die einen vermeintlichen Widerspruch in sich tragen:
Weisheit 1:
Der Markt wird von Erwartungen bewegt und *nur* von Erwartungen. Der einzige Grund, eine Aktie heute zu kaufen ist die Annahme, daraus in Zukunft einen positiven Ertrag ziehen, entweder in Form von Kursgewinnen oder Ausschüttungen.
In jedem Fall ist es aber eine positive Erwartung, die den Kauf auslöst. Ob eine Aktie im letzten Jahr gute Zahlen hatte, ist also ohne Relevanz für uns. Ob wir aus den Zahlen die Erwartung ableiten können, dass diese nächstes Jahr *noch* besser werden, ist die entscheidende Frage, die die Kursentwicklung bestimmt. Siehe auch Die Macht der Erwartungen hier bei TE vor gar nicht so langer Zeit.
Weisheit 2:
Der Markt ist in der Regel klüger als wir, er weiß mehr und schätzt die Zukunft besser ein als wir. In den Kursen ist also als Ergebnis der Schwarmintelligenz „Markt“ die bestmögliche „Prognose“ für ein Unternehmen aufgrund der bekannten Fakten schon enthalten. Siehe auch auf TE: Die Börse, unser Affenhirn und das Gesicht im Spiegel
Ich denke beide Weisheiten sind bei vielen Menschen akzeptiert, die sich schon lange erfolgreich im Markt bewegen, was aber nur eine kleine Minderheit ist. Warum aber ist dann so ein Chart wie zum Beispiel bei Thermo Fisher Scientific (TMO) überhaupt möglich – ich habe die Vorstellung auf TE als Beispiel einer „Schaufelaktie“ im Chart eingezeichnet:
Oder ich führe ein weiteres Beispiel ein, von dem ich ausdrücklich sage, dass es wie TMO zu meinem persönlichen Investment-Universum gehört. Wie ist so ein Chart von Danaher (DHR) denn überhaupt möglich, wenn der Markt doch alles Wissen einpreist? Und warum haben sich nur wenige das je gefragt?
Denn wenn der Markt doch so klug ist und in die Zukunft schaut, warum ist ihm dann nicht gleich klar, dass TMO und DHR Jahr um Jahr weiterwachsen werden? Warum hat der Markt den Unternehmen dann nicht schon 2015 viel höhere Kurse zugebilligt?
Der blinde Fleck des Marktes
Die Antwort ist wichtig, denn Sie hat mit einer Art „blindem Fleck“ des Marktes zu tun. Einem „blinden Fleck“ aus dem wir als Investoren mit ruhiger Hand einen Vorteil ziehen können. Und ein „blinder Fleck“ der dazu führt, dass die Strategie „solides, beständiges Wachstum“ zu kaufen, in meinen Augen langfristig alle anderen ähnlichen Strategien schlägt.
Denn wenn der Markt in die Zukunft schaut, ist ja die Frage „wie weit schaut er“? Die Antwort hängt natürlich vom Anleger ab.
Ein DayTrader kauft heute, weil er die Aktie heute Abend höher erwartet. Ein SwingTrader kauft heute, weil er die Aktie in 2 Wochen höher erwartet.
Ein mittelfristiger „Investor“ kauft heute, weil er die Aktie in einem Jahr höher erwartet.
Aber kauft jemand, weil er die Aktie in 10 Jahren höher erwartet?
Ich behaupte kaum jemand, zumindest die nicht, die den Markt wirklich bewegen und das sind die institutionellen Investoren. Diese Zukunft ist einfach zu weit weg, um dazu sinnvoll eine Meinung zu haben. Eigentlich ist ein Jahr von jetzt ein sinnvoller Zeitraum der Erwartung, der ja auch durch das Management mit seinen Forecasts immer abgedeckt wird.
Der Markt diskontiert die weite Zukunft sehr stark, weil sie zu unsicher ist
Bis zu einem Jahr kann man also mit einiger Bodenhaftung in die Zukunft einer Aktie schauen, danach wird es immer wildere Spekulation. Vielleicht ist mit einem sehr sauberen Ausblick des Managements noch zwei Jahre möglich, danach wird es aber „Science Fiction“.
Und der Markt diskontiert diese Zukunft ja, was heißt, dass er Erwartungen an eine Zukunft in drei oder fünf Jahren sehr stark diskontiert. Was in anderen Worten bedeutet, dass diese kaum mehr in den Kurs einfließen.
Und genau da haben wir den „blinden Fleck“. Heißt konkret:
Die Erwartungen, die in den Kursen stecken, reichen in der Regel nicht über 1 Jahr, maximal 2 Jahre hinaus. Weiter schaut der Markt mit seinen Erwartungen nicht, bzw. die ferne Zukunft ist sehr stark diskontiert!
Wachstum als Teil der Unternehmens-DNA
Und deshalb entsteht ein Chart wie bei TMO oder DHR, weil der Markt jedes Jahr wieder „überrascht“ ist, dass es doch so beständig weiter geht und seine Erwartungen daher weiter hochschiebt. Und genau daraus entsteht ein Edge für Investoren, wenn diese sich darauf konzentrieren, Aktien zu selektieren, die ein beständiges, solides Wachstum liefern. Aktien, die ein Geschäftsmodell haben, bei denen Wachstum keine einmalige Aufwallung, sondern ein integraler, in die Unternehmens-DNA eingewobener Zustand ist.
Solche Aktien unterschätzt der Markt manchmal in der Gegenwart, weil er die Zukunft zu stark diskontiert. Solche Aktien sind sozusagen „Value“, weil der Markt die langfristigen Perspektiven nicht ausreichend würdigt. Die im Artikel oben genannten Aktien fallen bisher in diese Kategorie. Aber auch viele der Big-Tech Konzerne wie zum Beispiel Amazon, gehören bisher in diese Kategorie.
Amazon ist ein besonders schönes Beispiel, weil ich mit dieser Aktie als Beispiel schon mehrfach gegen die naive Bewertungsrechenschieber-Logik argumentiert habe, nach der manche meinen, mit dem KGV beurteilen zu können, ob eine Aktie „billig“ oder „teuer“ ist. Schauen Sie mal hier meine sehr deutlichen Worte von 2013. In jedem weiteren Jahr hatte Amazon auch ein KGV von um die 100 und nun suchen Sie mal im Chart hier das Jahr 2013:
Und wann steigt man bei so beständig wachsenden Aktien aus, denn ein Risikomanagement braucht jedes Investment? Ganz einfach, wenn der übergeordnete Trend nachhaltig gebrochen ist und ein Trend ist immer durch höhere Tiefs und Hochs definiert. Bei Amazon oben ist das seit 2009 nicht mehr passiert!
Solides, beständiges Wachstum, nicht das „gründeln“ nach „Gurken“ lässt das Depot erblühen!
Wer langfristig investieren will und dabei einen überdurchschnittlichen Ertrag erzielen will, sollte daher sein Augenmerk auf „solides, beständiges Wachstum“ in richtig „starken Aktien“ richten. Auf Unternehmen, die beständiges Wachstum in ihrer DNA haben. Das „Gründeln“ bei „Gurken“ und die Wette auf einen Rebound, ist dagegen ein netter Trade, aber bedenken Sie, von der Rebound-Chance im nächsten Jahr weiß der Markt ja auch und bewertet sie in den Kursen. Bei solchen Aktien ringen wir also mit dem Markt um die „richtige“ Bewertung.
Wenn wir aber Unternehmen identifizieren, die von ihrer Unternehmens-DNA her beständig wachsen und auch einen breiten Burggraben haben – sprich nicht so leicht von anderen in ihrem Geschäftsfeld zu attackieren sind – dann wird der Markt diese langfristig manchmal unterschätzen. Deshalb entsteht ein Chart wie bei TMO, DHR oder AMZN, obwohl schon vor 10 Jahren jeder ahnen konnte, dass zum Beispiel Amazon auf dem Weg zur Dominanz im weltweiten Handel ist.
Der Markt unterschätzt manchmal beständiges Wachstum, weil er die Zukunft jenseits von einem bis zwei Jahren sehr stark diskontiert. Und das ist unsere Chance als Investoren, wenn wir solche Unternehmen identifizieren können. Finden können wir solche Unternehmen vor allem in den Sektoren, in denen Innovation zu Hause ist oder in denen sich Megatrends auswirken. Eher nicht bei Zyklikern, die schwanken langfristig nur und sind für 2-3 Jahre in einem Zyklus ein toller, langfristiger Trade, aber kein Investment, das einen „blinden Fleck“ des Marktes ausnutzt.
Und woran erkennen wir solche Unternehmen? Neben einer kompetenten Analyse des Geschäftsmodells, an starken Verläufen, an permanenten Allzeithochs im Chart und *nicht* daran, dass sie um 50% eingebrochen sind! Genau das, was uns unser „Affenhirn“ eingibt, dass etwas „billig“ sei, wenn es tief gefallen ist, ist zwar im Laden an der Ecke völlig richtig, in einem selbstreferentiellen, sozialen System wie dem Markt aber schlicht und einfach falsch!
Ihr Michael Schulte (Hari)