Aus den frühen Zeiten eines großen amerikanischen Brauseherstellers ist der Anspruch überliefert, die eigenen Produkte dürften nie weiter als eine Armlänge vom potenziellen Konsumenten entfernt sein. Dieses Ziel hat der heute global agierende Getränkekonzern zweifellos erreicht. Selbst in entlegenen, von vielen Segnungen der Zivilisation noch unberührten Gebieten der Erde muss man nach einer Cola nicht lange suchen. Was ihren Wert zu großen Teilen ausmacht. Für Energie besteht dieser Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit und Bedeutung sogar absolut. Ist sie doch vollkommen nutzlos, wenn sie nicht an jedem Ort zu jedem Zeitpunkt in Form und Umfang wunschgemäß bereit steht.
Allein die Versorgungssicherheit zählt. Weder die Primärquelle noch die technische Gestaltung der Umwandlungsprozesse, weder Flächen- und Rohstoffverbrauch noch entstehende Abfälle sind relevant. Selbst die Kosten spielen keine Rolle. Wenn Energie unter allen, wirklich allen Umständen verlässlich verfügbar ist, rechtfertigt sie jeden Preis. Wenn nicht, vermag sie selbst geschenkt keine Wirkung zu erzielen. Denn mit Energie ist alles möglich, ohne sie aber bleibt nur Stillstand bis zum Tod. Zwischen diesen beiden Alternativen gibt es keinen Mittelweg. Deswegen charakterisiert seit jeher die kompromisslose Ausweitung des Angebots die Entwicklung unseres Energiesystems. Jedenfalls bis hierzulande eine Narretei namens „Energiewende“ populär wurde, die spätestens der russische Angriff auf die Ukraine als äußerst gefährlich entlarvt.
Eine mittelalterliche, fast ausschließlich auf menschlicher und tierischer Muskelkraft beruhende Ökonomie bietet zwar bereits einigen hundert Millionen ein Auskommen, aber fast allen davon noch immer keine Perspektive aus bitterer Armut. Die Supermarkt-Welt der Gegenwart hingegen schafft für mehr als sieben Milliarden Menschen neben einer sicheren Existenzgrundlage auch noch Wohlstand, Luxus und ein langes Leben – und das mit einem langfristigen und anhaltenden Aufwärtstrend überall auf dem Planeten. Maschinen sind es, vom Kühlschrank über Traktor und Lastkraftwagen bis hin zum Computer, die all dies erst möglich machen. Vorrichtungen, deren elektromagnetische, thermische oder mechanische Arbeit für alle Bedarfe unverzichtbar ist, ob Lebensmittel oder Wohnraum, ob sauberes Wasser oder sanitäre Einrichtungen, ob Kleidung oder Möbel, ob medizinische Versorgung, Kommunikation oder Bildung, ob Kultur, Sport oder allerlei Freizeitvergnügungen. Apparate, die nicht Fleisch essen oder Gemüse, sondern Sprit brauchen oder Strom. Je besser diese Geräte versorgt sind, desto besser geht es auch dem Menschen.
Der Ausweg aus der malthusianischen Falle einer nicht mechanisierten Wirtschaft gelingt nach 1800 nicht durch den Bau von immer mehr Wind- und Wassermühlen und auch nicht durch die Verbrennung von immer mehr Holz, Torf oder Stroh. Es ist die Kohle, die das Elend überwinden hilft, überall auf der Welt im Übermaß verfügbar, verlustfrei für beliebig lange Zeiträume lagerfähig und einfach zu transportieren und zu verwenden. Nicht Windkraftanlagen oder Brennstoffzellen heben im 20. Jahrhundert von ihr induzierte Potenziale, sondern Erdöl und Erdgas.
Schließlich würde niemand eine Tankstelle anfahren, bei der von der Laune des Betreibers abhängt, ob man dort Benzin bekommt oder nicht. Niemand würde sich einen Fernseher kaufen, einen Herd oder eine Spülmaschine, bei denen das Elektrizitätswerk auswürfelt, ob man sie betreiben kann oder nicht. Kein Unternehmer investiert in Fahrzeuge, in Werkzeugmaschinen oder Fertigungslinien, deren Versorgung mit Kraftstoffen oder Strom nicht rund um die Uhr sichergestellt ist. Natürlich werden die wenigsten Systeme tatsächlich 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche betrieben.
Aber Versorgungssicherheit bedeutet eben, es theoretisch zu können, wenn man denn will. Ganz gleich, ob man mitten in der Nacht nur zum Spaß mit 200 über die Autobahn brettern, sich um drei Uhr morgens etwas kochen oder im Heimkino einen Spielfilm ansehen möchte, es muss möglich sein. Ganz gleich, ob ein Dienstleister aufgrund steigender Nachfrage seine Geschäftszeiten ausweitet oder eine Fabrik Sonderschichten einlegt – es muss möglich sein. Und es ist eben kein überflüssiger Luxus, ganzjährig ein überaus vielfältiges Angebot frischer wie bereits verarbeiteter Waren im Lebensmittelhandel zu finden. Sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit in einem fortgeschrittenen Gemeinwesen des 21. Jahrhunderts. Mit weniger sollte, mit weniger darf man nicht zufrieden sein.
Und von diesem Zusammenhang ausgehend haben uns unsere Regierungen in den letzten Jahrzehnten nicht nur der Willkür des Wetters, sondern auch noch der eines kriegslüsternen Despoten ausgesetzt, von dem unsere Gasversorgung in großem Umfang und die mit Öl und Kohle zu großen Teilen abhängig ist. Das bockige Festhalten am bisherigen Kurs und die geradezu enthusiastische Verklärung der Windenergie als „Freiheitsenergie“ erscheint angesichts dessen mindestens meschugge, wenn nicht gar manisch. In völliger Ignoranz gegenüber technischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhängen schreitet man weiter in eine Sackgasse, in der die Dinge nur bei geeigneter Wetterlage funktionieren, meteorologisch wie politisch.
Dazu gilt es nicht zuletzt, Aufrufe zur mehr oder weniger freiwilligen Energieeinsparung zu missachten. Unternehmen investieren nur in wachsende Märkte, also heißt es gerade jetzt, mehr zu nehmen und noch mehr zu wollen. Immer weiter steigende Bedarfe sind vielleicht der letzte noch fehlende Impuls, um das Kartenhaus der gegenwärtigen Energiepolitik endgültig zum Einsturz zu bringen. Schließlich gibt es keine einzige Modellrechnung, bei der das Gelingen der Energiewende nicht zwingend mit einer substanziellen Reduzierung des Primärenergiebedarfs um bis zu 50 Prozent verbunden wäre. Wird diese notwendige Bedingung nicht erfüllt, forciert einmal mehr die normative Kraft des Faktischen die Rückkehr zur Vernunft. Und öffentlich alimentierten Staatsdienern, die allen Ernstes „frieren für den Frieden“, „Fleischverzicht gegen Putin“ oder vergleichbare Albernheiten vorschlagen, sei in aller Deutlichkeit entgegnet: Wir beanspruchen beides, Frieden und eine warme Wohnung. Könnt ihr das nicht gewährleisten, dann gesteht euer Versagen ein, tretet beiseite und räumt eure Stühle!
Nur ein Energiesystem, das von Zwängen und Limitierungen befreit, darf für sich das Etikett „Freiheitsenergie“ in Anspruch nehmen. Wird aber der aktuelle Kurs nicht verlassen, begeben wir uns freiwillig in eine Abwärtsspirale aus steigenden Preisen, galoppierender Inflation und sinkender Produktivität, die in Verelendung mündet. Was mit einem eher symbolischen Tempolimit scheinbar harmlos beginnt, führt zwingend über „autofreie Sonntage“ und „heizfreie Nächte“ zu immer strikteren Rationierungen, an deren Ende eine Koalition aus russischen oder arabischen Autokraten und deutschen Energiewendefanatikern bestimmt, wann wir zu horrenden Kosten das Licht einschalten können und wann nicht. Immunität gegen einen solchen Alptraum verschafft uns nur ein Überangebot an Energie. Politiker, die das nicht verstehen können oder wollen, sollten vielleicht durch Manager des Coca-Cola-Konzerns ersetzt werden.