Man könnte sich über Sabine Lütt trefflich amüsieren. Wird doch die Anti-Atom-Aktivistin aus dem niedersächsischen Wendland, die sich vor mehr als zehn Jahren mit dem Wunsch nach einem naturnahen Leben in die Abgeschiedenheit des Hunsrücks zurückzog, jetzt erneut von großtechnischen Expansionsplänen gestört. Einst politisch sozialisiert durch den Kampf gegen das Endlager Gorleben, sieht sie sich nun gezwungen, gegen die mehr als fünfzig riesigen Windkraftanlagen zu Felde zu ziehen, die bald die bewaldeten Höhenrücken in ihrer unmittelbaren Umgebung dominieren sollen. Geister, die sie unwissend und unbeabsichtigt selbst gerufen hat, wenden sich nun gegen sie. Wer seinen Strom nicht aus Primärquellen hoher Energiedichte beziehen möchte, hat nun einmal den zur Ernte volatiler Umweltenergieflüsse notwendigen Flächenverbrauch zu akzeptieren. Es sei denn, man wolle ganz auf Elektrizität verzichten. Aber so weit hat sich selbst Sabine Lütt noch nicht von der Moderne entfernt, wie der Computer belegt, an dem die sonst nach Selbstversorgung strebende Ethnologin umgeben von Aktenbergen ihren Kampf gegen die Windkraft organisiert.
Wuchtige, oft düstere Bilder
Schadenfreude ist Jörg Rehmann allerdings fremd. Mit behutsamer Neugier, manchmal leider die Grenze zu verständnisvoller Nähe überschreitend, porträtiert der Journalist und Dokumentarfilmer Betroffene wie Sabine Lütt in seinem neuen Werk. Menschen, die die Folgen der Energiewende monetär, physisch und psychisch zu spüren bekommen, seien sie nun Anhänger ökologistischer Ideale oder nicht.
Durch wuchtige, oft düstere Bilder sprechen zudem die von Zerstörung bedrohten Kulturlandschaften zu den Zuschauern. Da sind Wälder in dämmriges Halbdunkel getaucht, Frühnebel steht über teils noch schneebedeckten Lichtungen, Moos bedeckt die furchigen Rinden der Bäume, zwischen denen sich einsame Wanderer ihren Weg abseits befestigter Pfade durch vertrocknendes Laub bahnen. Selten fällt ein Sonnenstrahl durch die Wipfel, einmal huscht ein scheues Reh vorbei, einmal kreist ein Milan am Waldrand, gelegentlich nur erblickt die Kamera einzelne Blumen. Und immer wieder streut Rehmann harte Perspektivwechsel auf Rodungsexzesse ein, die das Idyll zugunsten einer von ihm so bezeichneten „Industrialisierung der Landschaft“ vernichten.
Ziemlich dick aufgetragen zwar, aber ein wirkungsvoller Kontrapunkt zur Bildsprache der Branche, die Windräder nur auf saftig grünen, von vergnügt spielenden Kindern bevölkerten Wiesen unter strahlend blauem Himmel zeigt. Für Jörg Rehmann bedeutet der Ausbau der Windenergie das „Ende der Landschaft“ und nicht deren Bewahrung.
100 Minuten dokumentierter Windwahn
Die Pläne der hessischen Landesregierung zum Bau von vierhundert Windkraftanlagen im Odenwald regten ihn zu Recherchen an, deren Ergebnisse nun vorliegen. Als mehr als einhundert Minuten lange Kinodokumentation, die den Zuschauer mitnimmt auf eine Reise durch deutsche Brennpunkte des Windwahns. Rehmann besucht beispielsweise die niedersächsische Nordseeküste, an der man schon heute erleben kann, was den Bewohnern der Mittelgebirge noch bevorsteht. Er zeigt die von turmhohen Rotoren terrorisierten Bürger direkt, ungefiltert und ungeschminkt. Er zeigt leerstehende, langsam dem Verfall preisgegebene Einfamilienhäuser, mittlerweile unverkäuflich, deren Besitzer längst geflohen sind, weil ihnen die Heimat genommen wurde, in der sie leben, arbeiten und Kinder großziehen wollten. Er beschreibt den verzweifelten Kampf der Menschen an der Ostsee, im Hunsrück und im Odenwald, die ähnliche Zustände auch bei sich schon ertragen oder für die nahe Zukunft befürchten müssen. Er stellt den Wünschen und Ängsten der Wähler Ausschnitte aus Reden von Politikern gegenüber und man bemerkt die große Distanz zwischen den beiden Sphären.
Bedauerlicherweise ist die Esoterikerquote unter seinen Gesprächspartnern auffallend hoch. Eremiten, die sich aus der Zivilisation in einsame Waldhütten zurückgezogen haben, um dort Erfüllung zu finden oder sentimentale Gemüter, die gerne mit Bäumen reden, weil sie sich von diesen besonders gut verstanden fühlen, sind sicher keine geeigneten Ratgeber für eine vernünftige Energiepolitik. Der spirituell motivierten Dogmatik der gegenwärtigen Klimahysterie andere Glaubensinhalte naturreligiösen Zuschnitts entgegenzusetzen, wird nichts zum Besseren wenden.
Helikopter-„Vergrämungsflüge“ gegen Schwarzstörche
Deutlich hilfreicher ist Rehmanns Bestreben, den Zuschauern zu erläutern, warum es mittlerweile fast 30.000 Rotoren in Deutschland gibt und warum noch tausende hinzukommen werden. Der Film hat seine besonders starken Momente, wenn er nüchtern die Gier der Profiteure aufzeigt und die Netzwerke aus Investoren, Lokalpolitikern und sogar Kirchenvertretern beschreibt. Da werden dann einfach mal Naturschutzregeln außer Kraft gesetzt oder geschickt umgangen, da werden dann einfach mal sogenannte „Vergrämungsflüge“ mit Helikoptern durchgeführt, um selten gewordene Schwarzstörche zu vertreiben, da werden dann im Wald spazierende Windkraftskeptiker von plötzlich herbeieilenden „Jagdaufsehern“ mit Flinten bedroht, da werden dann friedlich protestierende Anwohner mit martialischer Polizeipräsenz bis hin zum Panzerwagen konfrontiert. Schließlich, so führt ein beteiligter Landrat im Interview offen aus, bedeute ein Jahr Bauverschiebung „einen Schaden von zehn Millionen Euro“. Aus der Perspektive der Betreibergesellschaft mag das sogar stimmen. Für private und gewerbliche Stromkunden, denen ein großer Teil dieser Summe über die Umverteilungsmechanismen des EEG einfach weggenommen wird, sieht die Sache dagegen ganz anders aus.
„End of Landschaft“
Mit solchen Beispielen illustriert Jörg Rehmann die Risse, die die Energiewende in die Gesellschaft treibt. Die nicht nur vor Ort die Dorfgemeinschaften in einander fast schon feindlich gegenüberstehende Lager trennen, sondern auch Land- und Stadtbevölkerung spalten. Schließlich müssen erstere ertragen, was vor allem dem Seelenfrieden urbaner linksgrüner Milieus dient.
Eine Collage noch immer windradfreier deutscher Landschaften beendet den Film. Von der Großaufnahme eines Schildes, das Wanderer um Rücksicht gegenüber Wildtieren bittet, schwenkt die Kamera dann ohne Schnitt auf die Ödnis der Überreste eines für den Bau einer Windkraftanlage abgeholzten Waldstückes. Da verstummt schließlich auch die Hintergrundmusik. Man weiß, das ist nicht vorübergehend, wie beim Braunkohletagebau, der Landschaften nach der Rekultivierung häufig schöner, vielfältiger und artenreicher hinterlässt, als sie vorher waren. Man weiß, das ist für sehr, sehr lange, wenn nicht für immer. Denn die mächtigen Betonfundamente der Windkraftanlagen und die asphaltierten Zufahrtsstraßen verschwinden nicht mehr, selbst wenn Rotoren und Türme vielleicht mal zurückgebaut werden. Man ahnt: Eine an solchen Bildern eindeutig identifizierbare Branche ist im Grunde dem Untergang geweiht. Durch einen Film wie „End of Landschaft“, der zeitlich passend zur Hochphase des Landtagswahlkampfes in hessischen Programmkinos anläuft, erwächst aus der Ahnung für manche Zuschauer bestimmt auch Hoffnung. „End of Windkraft“ wäre daher ein geeigneter alternativer Titel gewesen.
„End of Landschaft – wie Deutschland das Gesicht verliert“, Kino-Dokumentarfilm von Jörg Rehmann, 105 Minuten, Deutschland 2018, Link zu aktuellen Kino- und Vorführterminen