Tichys Einblick
erstmals seit 2018 wieder 3 Gigawatt

Phönix aus der Kohle oder warum Kohlekraftwerke wieder gebraucht werden

Totgeglaubte leben länger. So könnte man formulieren angesichts der Tatsache, dass das Großkraftwerk Jänschwalde in der Lausitz wieder mit voller Leistung am Netz ist. Noch ist genug Braunkohle verfügbar und es rechnet sich auch.

IMAGO / Andreas Franke

Anno 2015 begab es sich, dass dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die CO2-Emissionen des Landes zu hoch erschienen und er gedachte, dies zu ändern. Er wollte Braunkohle-Kraftwerksblöcke mit einer zusätzlichen „Klimaabgabe“ belasten, was sofort die Unwirtschaftlichkeit bedeutet hätte. Das führte jedoch zu Widerstand aus den Regionen und von Gewerkschaften. So gab es einen Kompromiss, der sich „Sicherheitsbereitschaft“ nannte, bezahlt wurde und die terminierte Abschaltung von insgesamt acht Blöcken zur Folge hatte. Minister Gabriel bezeichnete die Lösung als „Gürtel zum Hosenträger“ (zusätzlich zur Reservekraftwerksverordnung) und wie eigentlich alle anderen Beteiligten ging er davon aus, dass diese Anlagen nie wieder in Betrieb gehen würden. „Milliardenschwere Sterbehilfe für die Braunkohle“ titelte damals die ZEIT.
Der Bereitschaftszeitraum wurde per Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes auf vier Jahre festgelegt, dann galten die Blöcke als stillgelegt.

Nachdem die Kanzlerin über viele Jahre alle Eier in Fragen der Versorgungssicherheit in einen einzigen Korb gelegt hatte, der die Aufschrift „Brückentechnologie russisches Erdgas“ trug, fiel dieser mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 krachend zu Boden.

Anstelle das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) wenigstens auszusetzen und abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt, erfand man die Sonderkonstruktion des Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetzes (EKBG) für die Steinkohlekraftwerke und holte über eine zusätzliche „Verordnung zur Änderung der Stromangebotsausweitungsverordnung“ (StaaÄV) auch fünf der ehemals acht in der Sicherheitsbereitschaft stehenden Braunkohleblöcke zurück.

Diese Konstruktion des gleichzeitigen Aus- und Einstiegs führt offensichtlich dazu, dass der im KVBG §54 festgeschriebene Überprüfungsbericht, terminiert zum 15. August 2022, noch immer auf sich warten lässt. Das ist verständlich. Beauftragt ist das Ökoinstitut Freiburg, bei dem eine nüchterne Einschätzung wohl kaum zu vermuten ist. Die erwartet das zuständige Ministerium auch nicht, sondern eine bestätigende Bilanz des eingeschlagenen Weges.

Volle Kraft voraus

Am Freitag, dem 17. November 2023 gegen 19 Uhr erreichte das Kraftwerk Jänschwalde erstmals seit 2018, genauer gesagt nach fünf Jahren und 47 Tagen, wieder die volle Nennleistung von 3.000 Megawatt (3 Gigawatt, GW). Die zwei bisher tot geglaubten 500-MW-Blöcke E und F liefen wieder. Zu diesem Zeitpunkt lag der Stromimport bei 5 GW, er legte im Laufe der Nacht auf 10 GW zu. Alle Windkraftanlagen speisten 8,5 GW ein (12 Prozent der installierten Leistung). 79 GW installierter Leistung der Photovoltaik lagen in Form der Paneele wirkungslos auf Dächern und in der Landschaft.

Der Börsenstrompreis betrug etwa 140 Euro pro Megawattstunde (€/MWh). Die Gestehungskosten des Braunkohlestroms liegen durch die drastische Erhöhung der Zertifikatepreise inzwischen bei etwa 110 €/MWh. Es bleibt also eine Marge für das Unternehmen LEAG, die in Teilen am Ende der tschechischen EPH-Holding mit Milliardär Kretinsky an der Spitze zu Gute kommt. Die Theorie der Grünen, über steigende CO2-Preise würde sich die Braunkohleverstromung ohnehin erledigen, geht fehl. Diese Kosten werden an die Verbraucher durchgereicht, weil die „Erneuerbaren“ nicht in der Lage sind, bedarfsgerecht zu liefern.

Eher schlecht ist die Situation betreffs der CO2-Emissionen. Aktuell betrug an besagtem Freitag unsere spezifische Emission der Stromerzeugung 502 Gramm pro Kilowattstunde (g/kWh). Frankreich mit seiner „gestrigen“ Kernkraft emittierte 32 g/kWh. Deutschland steht in einer Reihe mit Ländern und Regionen, die zu diesem Zeitpunkt sogar noch mehr spezifisch emittierten: Polen, Tschechien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien und Sardinien. Zumindest im Vergleich mit diesen waren wir „Vorreiter“.

Ende März 2024 werden die reaktivierten Braunkohle-Blöcke endgültig stillgelegt. 2028, also in nur 5 Jahren, soll überhaupt kein Kohlestrom mehr aus dem Kraftwerk Jänschwalde kommen. Dass ein geplantes Gaskraftwerk mit 800 Megawatt Leistung an diesem Standort zu diesem Zeitpunkt dann in Betrieb geht, ist fragwürdig, denn es gibt noch keine Gaspipeline zu diesem Standort.

In den nächsten Wintern stehen dann immer weniger Kohlekraftwerke zur Verfügung, denn das KVBG gilt weiter. Die Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke mit entsprechender, finanziell aber ungeklärter Subventionierung sollen 2024 veröffentlicht werden. Dann folgen fünf bis sieben Jahre Entscheidung, Planung, Genehmigung und Bau. Auf diese Zeitschiene hatte schon die Kohlekommission in ihrem Abschlussbericht vom Januar 2019 hingewiesen. Kohleaus- und Gaseinstieg sind terminlich nicht koordiniert. Mithin haben zwei Bundesregierungen fünf Jahre im Tiefschlaf verbracht. Dafür vermerkte man im Ampel-Koalitionsvertrag, dass der Kohleausstieg neben dem Atomausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorgezogen werden solle. Welche Getränke zu den Verhandlungen gereicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.

Zweifelhafte Ministernde

Minister Gabriel sollten wir dennoch mit Respekt nachschauen. Er bezeichnete die Energieversorgung als Herz-Kreislaufsystem des Landes, wodurch er das Verständnis bewies, dass eine Schwächung dieses Systems eine Schwächung des ganzen Körpers bedeutet. Nachfolgenden Ministern scheint dieses Verständnis abhanden gekommen zu sein. Auch forderte er 2013 einen neuen Ansatz der Energiewende, sie würde sonst zum Deindustrialisierungsprogramm. Man folgte ihm damals nicht und seine Prophezeiung sehen wir heute erfüllt.
Nachfolger Altmaier (CDU) hob ab und begab sich in die Wasserstoffsphäre, die beispielsweise allein mit dem SINTEG-Programm („Schaufenster der Energiewende“) rund 200 Millionen Euro kostete – „Ich will das Thema fliegen sehen“. Bisher gibt es keinen messbaren Fortschritt im Sinne eines wirtschaftlichen Erfolges. Über den aktuellen Klimaminister möchte ich mich an dieser Stelle nicht äußern.

Kürzlich begab es sich, dass die Finanzierungidee eines überwiegend auf Naturenergie basierenden Energiesystems durch Schattenfinanzierung vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde. Schon früher war die Zukunft oft unklar, heute liegen die Aussichten völlig im Nebel. Ab dem nächsten Winter kann nur noch sehr begrenzt reaktiviert werden. Es wird dann keinen Phönix mehr geben.


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