Tichys Einblick
Landwirtschaft ohne Land

Vom Landwirt zum Landschaftsarchitekten?

Artenschutz und Landwirtschaft passen nicht zusammen. Es sei denn, man trennt die Nutzpflanze vom Acker. Dann braucht es auch kein Glyphosat mehr.

Selten hätte sie „so einen Müll gelesen“, kommentiert eine aufgebrachte Leserin bei Facebook meine letzte Kolumne, die sich den Mechanismen der Technophobie am Beispiel der Glyphosat-Debatte widmete. Das Bienen- und Insektensterben sei real, schreibt die Dame und fragt sich erbost, ob der Autor „seinen A**** mal auf die Felder bewegt“ habe, denn da kreuche und fliege gar nichts mehr.

Nun ist, wenn ich meine Artikel verfasse, der nächste Acker keine zehn Meter entfernt. Und nach fast zwei Jahrzehnten des Lebens in ländlicher Idylle kann ich keinen Rückgang des hiesigen Artenreichtums feststellen. Ganz im Gegenteil: Ob Insekt, Schnecke, Säugetier oder Vogel, was hier so alles kreucht und fleucht, würde einem kommerziellen Tierpark alle Ehre machen. Natürlich schwanken die jeweiligen Populationsgrößen im zeitlichen Verlauf, vor allem bei den Kerbtieren. In diesem Jahr hatten wir so viele Mai- und Kartoffelkäfer wie noch nie, auch Libellen und Hornissen gediehen prächtig. Falter dagegen gab es deutlich weniger. Da solche punktuellen und subjektiven Einschätzungen nicht durch Messungen nach wissenschaftlichen Standards belegt sind, eignen sie sich nicht zur Ableitung valider Trends. Aber das ist nicht der relevante Aspekt. Die entscheidende Frage lautet vielmehr, ob Artenvielfalt auf den Feldern den Landwirten überhaupt gefällt.

Realitätsferne Vorstellungen über den Ackerbau prägen die Hysterie um ein seit mehr als vierzig Jahren etabliertes Herbizid. Allzu viele Zeitgenossen scheinen den Anblick dicht gewachsener goldener Ähren in der abendlichen Sonne des Spätsommers wirklich als Symbol der Harmonie zwischen Mensch und Umwelt zu empfinden. Tatsächlich aber hat das Feld vor meiner Tür mit der Natur nichts mehr zu tun. Es ist ein Industriegebiet, wie jeder andere Acker auch.

Glyphosat
Technologie-Feindlichkeit mit Progressivität verwechseln
Regelmäßig wird es von großen, schweren Maschinen heimgesucht, deren gewaltige Kraft eine geniale Apparatur zielgenau ausrichtet. Was dort wächst, ist ein rein künstliches Produkt genetischer Manipulationen, implementiert durch Jahrtausende der Züchtung. Notwendigerweise, denn zu karg ist das Nahrungsangebot der Wildnis, um eine große Zahl an Menschen zu ernähren. Die Evolution hat nichts hervorgebracht, das gerne von uns verspeist werden möchte. Also haben wir sie selbst in die Hand genommen, um Pflanzen und Tiere hinsichtlich ihres Nutzens zu optimieren. Feldfrüchte müssen nahrhaft sein. Und nach Möglichkeit uniform, was einer effizienten Ernte, Reinigung, Sortierung, Verpackung, Transportierung und Weiterverarbeitung zuträglich ist. Ihre Fortpflanzung sollte durch den Menschen kontrollierbar sein, ihre Reifezeit kurz, ihr Ertrag hoch. Dazu werden nicht nur die Pflanzen, sondern auch ihre Umgebung umfassend gestaltet. Man achtet auf die Struktur und Zusammensetzung des Bodens, auf seinen Nährstoffgehalt, auf die Wasserzufuhr und greift regulierend ein, um diese Bedingungen zu gestalten. Macht man dies in einem gläsernen Kasten, kann neben der Temperatur auch die Komposition der Luft ideal auf die Bedürfnisse der Pflanze eingestellt werden. Viele Sorten mögen mehr Kohlendioxid, als unsere Atmosphäre gegenwärtig anbietet. Das in den Supermärkten offerierte Obst und Gemüse stammt schon länger zu einem großen Teil aus Treibhäusern.

Man beschützt das, was man so mühsam und aufwendig hegt und pflegt, vor Krankheiten, Pilzbefall und Schädlingen. Und man will es auch nicht einem Wettbewerb um die verfügbaren Ressourcen aussetzen. Konkurrenten, also Unkräuter, werden vernichtet. Entweder brachial mechanisch, oder auf die sanfte, chemische Weise. Der gefräßigen Fauna, ob Säugetier oder Insekt, wird selbstverständlich ebenfalls nicht gestattet, sich in dieses Werk einzumischen. Eine Maismonokultur erscheint so manchem fliegenden Kerbtier als unattraktive Wüste? Prima, genau so ist es häufig gewollt. Auf dem Acker kreucht und fleucht nichts mehr? Das bringt eine produktive Landwirtschaft nun einmal mit sich.

Die Spekulation, Glyphosat verursache ein mutmaßliches Insektensterben, bliebe also selbst dann belanglos, sollte sie sich als wahr herausstellen. Denn die Landwirtschaft an sich reduziert die Artenvielfalt, das ist ihr grundlegendes Konzept. Wer das nicht will, darf seine Lebenszeit gerne wieder dem Jagen und Sammeln opfern. Aber Vorsicht, was wild aufwächst, ist häufig giftig, mitunter wehrhaft und manchmal beides.

Surrende Suche
Hart aber fair: Kampfansage an die Bienensterbenleugner?
Wir müssen die moderne, industrielle Landwirtschaft akzeptieren, wollen wir auf die Vielfalt auf unseren Tellern, auf Versorgungssicherheit und annehmbare Preise nicht verzichten. Ein Umweltschutz, der ausgerechnet die hiesigen, seit Jahrtausenden durch den Menschen zu seinem Vorteil geformten Landschaften dem Diktat der Biodiversität unterwirft, wird daher nur in faulen Kompromissen und ewigen Debatten enden, deren Ergebnisse einem schwankenden Zeitgeist unterworfen sind. Das eine Pflanzenschutzmittel ist dann erlaubt, das andere nicht, bevor sich die Meinungen nach wenigen Jahren wieder ändern. Da zwingt man die Bauern, mal einen kleineren und mal einen größeren Teil ihres Landes für Blumenwiesen zu opfern, abhängig vom Farbenspiel in der jeweiligen Regierungskoalition. Die Flucht in den ökologischen Landbau verschärft das Problem, denn dessen geringere Erträge erhöhen den Flächenverbrauch. Und auch bei dieser Wirtschaftsweise betreibt man Artenschutz nur sehr selektiv.

Um den Widerspruch zwischen agrarischer Nutzung und der Erhöhung oder zumindest Stabilisierung der Biodiversität kompromisslos aufzulösen, bedarf es einer grundsätzlichen Richtungsänderung. Gelingt Landwirtschaft auch ohne Land? Das Treibhaus weist den Weg. Warum nicht gleich umsteigen auf eine abgeschlossene Halle, in der Obst, Gemüse und Getreide nicht mehr in Humus, sondern in einer zweckdienlich angerührten Nährlösung heranwachsen? In mehreren Stockwerken übereinander unter optimal auf sie abgestimmten Bedingungen, ob Atmosphäre, Feuchtigkeit, Temperatur oder Licht? In Japan wird diese Art der Produktion (2), die sich zudem perfekt für eine vollständige Automatisierung eignet, schon betrieben. Noch begrenzt auf Salat, aber es gibt kein prinzipielles Hindernis, das gegen eine Ausweitung auf andere Arten spricht. Und die Veredelung könnte auch gleich mit integriert werden. Samen rein, Brot raus, ohne menschliches Zutun – das ist eine denkbare Zukunft.

Dieser Salat stammt nicht vom Acker

Das Bild zeigt Salat aus solchen Farmfabriken. Er unterscheidet sich weder optisch, noch auf molekularer Ebene von seinem konventionell gewachsenem Pendant. Er ist nur reiner. Chemische Keulen, ob Herbizide, Pestizide oder Fungizide sind nicht mehr notwendig, denn in die neue Produktion gelangt nichts, was deren Einsatz erforderlich macht. In einer Landwirtschaft ohne Land wäre jede Diskussion über Glyphosat überflüssig. Sein Anwendungszweck würde schlicht entfallen.

Oder die verwöhnte Generation
Glyphosat und die postmodernen Narzissten
Der autarke Betrieb eines menschlichen Außenpostens im Weltall, ob in einer Raumstation oder auf felsigen, atmosphärelosen Himmelskörpern, erzwingt die Landwirtschaft ohne Land ohnehin. Durch sie können Weltraumkolonisten in der Sicherheit leben, den Ausfall einer Versorgungslieferung vom Heimatplaneten zu überstehen. Da zeigt sich ein schönes Kriterium zur Bewertung von Innovationen. Wann immer einem das Neue begegnet, bewerte man es gemäß der Frage, ob es hilft, den Mond zu besiedeln. Im Falle einer zustimmenden Antwort weiß man, dass es sich um eine gute Idee handelt.

Auf der Erde ermöglicht die Landwirtschaft ohne Land, der Natur Flächen in großem Umfang zurückzugeben, um die Biodiversität zu erhalten. Ganze Regionen völlig verwildern zu lassen, wäre aber keine kluge Idee. So viel Raum zur Entfaltung sollte man allerlei aggressiven, uns wenig wohlgesonnenen Spezies, vom Krankheitserreger bis zum Raubtier, schlicht nicht gönnen. Den Landwirten mit all ihren Maschinen und Kompetenzen böten sich daher neue Perspektiven als Landschaftsarchitekten. Gärtner ist ein Beruf mit Zukunft. Die Verwandlung der Felder in gestaltete Parks wäre nicht nur der Erholung dienlich, sie könnte auch Platz für die übriggebliebenen Exemplare unserer Nutztiere bieten. Denn die meisten von diesen benötigen wir nicht mehr, wenn Steaks und Schnitzel aus im Bioreaktor gezüchteten Muskelzellen direkt und ohne Umwege entstehen. Sie finden das noch abwegiger als die Technofarm? Denken Sie an den Mond …

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