Nein, Glyphosat ist nicht krebserregend. Zu dieser Einschätzung gelangen neben dem heimischen Bundesinstitut für Risikobewertung auch zahlreiche andere nationale wie internationale Behörden und Forschungseinrichtungen, die sich mit Lebensmittelsicherheit beschäftigen. Nach allen Regeln der wissenschaftlichen Kunst ermittelte Fakten aber interessieren hierzulande nicht. Die übergroße Mehrheit der Deutschen ist technologiefeindlich bis ins Mark. Die Glyphosat-Debatte verdeutlicht die Mechanismen, die dem zugrunde liegen.
Es beginnt mit der persönlichen Wahrnehmung, in der sich fast jeder als betroffen von fast allem erkennt. Die inhaltliche Bandbreite der Klagen ist groß. Manche führen Kopfschmerzen auf Mobilfunktransmitter, Husten auf Dieselmotoren oder Allergien auf Pflanzenschutzmittel zurück. Ob diese Spekulationen berechtigt sind, spielt ebenso wenig eine Rolle wie ihr jeweiliger Auslöser. Als Ausdruck von Modernität gilt momentan ohnehin, sich möglichst vieler Bedrohungsszenarien gleichermaßen zu widmen. Wer den Strahlentod durch Kernenergie fürchtet, rechnet meist auch mit Vergiftungen durch Frackfluide und sieht sich als künftiges Seuchenopfer der Gentechnik. In der Addition aller Besorgten entsteht aus einem vielstimmigen und oft ungeordneten Grummeln ein lautstarkes Geschrei, das auf der institutionellen Ebene Gehör findet.
Allzu groß ist die Versuchung geworden, solche Wissensdefizite für das Schüren von Stimmungen zu nutzen, aus denen Stimmen erwachsen könnten. Da beeilt sich selbst eine neue Strömung wie die AfD, in Sachen Technologiefeindlichkeit zu den Etablierten aufzuschließen, und wettert gegen Gentechnik und Glyphosat, als wären sie die besseren Ökologisten. Noch nicht einmal die sich „liberal“ nennende FDP kann sich dem entziehen. Schmückt sie sich doch nur äußerlich mit dem Emblem der „Technologieoffenheit“, gegen die sie sich im Kleingedruckten durch eine Begrenzung auf „gesellschaftlich akzeptierte Technologien“ absichert (1). „Gesellschaftlich akzeptiert“ aber ist nichts mehr in diesem Land.
Mittels eines spirituellen Unterbaus, der in Begriffen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Ressourcenschonung eine Dogmatik formuliert, die jedem Bürger eine scheinbar valide Rechtfertigung für seine subjektiven Vorbehalte liefert. Selbst die unbewiesene Spekulation, Glyphosat könne die Artenvielfalt gefährden, wird dankbar aufgeblasen und auf allen verfügbaren Kanälen der breiten Öffentlichkeit als feststehende Tatsache eingehämmert. Dem auf diese Weise entfesselten Proteststurm schließen sich viele vor allem des wohligen Gefühls wegen an, Teil einer moralisch überlegenen Gruppe zu sein.
So entwickelt sich ein sich selbst tragender und verstärkender Kreislauf gegenseitiger Bestätigung zwischen der individuellen, der institutionellen und der initiativen Ebene, der es gestattet, sogar Rückschritte als erstrebenswert zu propagieren. Wenn ein einzelner Minister durch eine einsame Entscheidung mal ein paar Körner Sand in diese Maschinerie streut, darf man das schon als einen echten Lichtblick empfinden. Regt er doch in zumindest einer Sachfrage einen Wechsel der Perspektive an.
In Bezug auf Herbizide genügt es schon, sich zu verdeutlichen, dass Unkräuter auf Anbauflächen vernichtet werden müssen, um hinreichende Ernten zu erzielen. Ohne Glyphosat geschähe dies auch, nur auf eine andere, weit weniger sanfte Weise. Es ist das Wesen der Landwirtschaft, Nutzpflanzen und Nutztiere zu hegen und zu pflegen, sie vor Schädlingen, Krankheiten und Konkurrenten zu beschützen. Sonst würden wir alle nicht satt. Besser als ein ertragreicher Acker ist eben nur ein noch ertragreicherer Acker. Das gilt für den Landwirt ebenso, wie für den Konsumenten.
(1) Fußnote: Man lese nach im Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2017 auf Seite 137, Download hier: https://www.fdp.de/denkenwirneu