Als eine deutliche Mehrheit der Bundestagsabgeordneten im Jahr 2011 der Änderung des Atomgesetzes zustimmte und damit der Kernkraft in Deutschland für unabsehbar lange Zeit den Garaus machte, galt es als ausgemacht, dass die Stromlücke auch durch neue, moderne Kohlekraftwerke geschlossen werden sollte. Elf Jahre später soll der Ausstieg erledigt sein. Ob die Einzelheiten gründlich überlegt wurden, darf bezweifelt werden. Die Abschalttermine wurden jeweils zum Ende eines Jahres fixiert, also mitten in den Winter hinein, in die Saison des höchsten Stromverbrauchs. Zudem entfällt nicht nur die Stromproduktion, sondern aus den Kraftwerksstandorten werden Lastsenken, denn für den Abklingbetrieb in der Nachbetriebsphase wird erhebliche Leistung benötigt. Die drei am Ende dieses Jahres abzuschaltenden Kernkraftwerke in Grundremmingen, Grohnde und Brokdorf werden wohl je 30 Megawatt dann aus dem Netz ziehen.
Zu Einstiegen gibt es nichts Konkretes, von Gaskraftwerken ist die Rede, ohne konkrete Pläne zu haben. Kohlekraftwerke sind inzwischen Teufelszeug.
Der WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) lieferte unter Leitung von Professor Schellnhuber den „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. Alle Technologien zur klimatischen Weltrettung seien vorhanden, so war zu lesen. Allerdings taten sich Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot schwer mit der Umsetzung, zu viel Realität stand im Weg. Nun entdeckt die Ampelregierung die Große Transformation wieder und will statt 2038 schon 2030 die Kohleverstromung beenden. Das Feigenblatt „idealerweise“ steht zwar auch dabei, aber angesichts der permanenten Gedächtnisschwäche des neuen Kanzlers wird dieser Zusatz bald nicht mehr genannt werden.
Im Luftreich des Traums
Welche Wirkungen diese gewaltige Zahl von Neubauten auf Rohstoff- und Materialpreise haben wird, ob die Kapazitäten der Hersteller- und Montagefirmen überhaupt ausreichen, ist hingegen nicht Untersuchungsgegenstand der Thinktanks.
22 Rohstoffe gehören inzwischen zur „roten Gruppe“ mit dem größten Versorgungsrisiko, darunter das für die Windkraft wichtige Neodym.
Lange Genehmigungsverfahren und Bürgerwiderstand werden für lange Bauzeiten verantwortlich gemacht, nicht etwa der Realitätsverlust, durch den solche praxisfernen Zubauzahlen als Ziel gesetzt werden. Ähnlich verhält es sich beim Ausbau der Fotovoltaik, wo bis 2030 etwa 142 Gigawatt (GW) Kapazität errichtet werden sollen. Runter gerechnet bedeutet das etwa 39 Millionen Module, von denen arbeitstäglich zu jeder Stunde über 21.000 Stück montiert werden müssten.
Jeder Referent eines Hinterbänklers der Regierungsfraktion hätte im Vorzimmer mit dem Bleistift auf einem Zeitungsrand eine überschlägige Rechnung anstellen und den Entscheidern einen Tipp geben können. Aber Ideologie und klimagerechte Haltung sind die Pfeiler der Ampelregierung und die Hoffnung auf den Eintrag gelber Ratio ist begrenzt. Wie im Verkehr ist die Ampelphase Gelb die Kürzeste und als Fraktion ist sie vor allem mit der Sitzordnung im Bundestag beschäftigt.
Atomausstieg fordert Menschenleben
Wie bisher in der Geschichte machen die Deutschen jeden Irrtum bis zum bitteren Ende mit. Nicht nur bis um zwölf, sondern bis fünf nach zwölf. Wir sind ein Land, das in seiner Geschichte immer alles besser wusste und von seinem nicht übermäßig großen Boden aus die Welt nach seinem Gusto retten wollte und es auch nun wieder will. Das eigene Territorium vor dem Verfall zu schützen, gelingt indessen nicht. Nicht nur die Brücken sind marode, fast in jedem gesellschaftlichen Bereich droht der Abstieg. Um besser zu werden, müssen wir uns Ziele setzen. Das macht nur Sinn, wenn sie realistisch erreichbar sind, das wäre schon ein Fortschritt.