Zu Beginn der 1990er Jahre entwickelte der Stadt- und Regionalplaner Mathis Wackernagel ein Geschäftskonzept, das man unumwunden als genial bezeichnen kann. Befriedigt doch der von ihm erdachte „ökologische Fußabdruck“ die spirituellen Bedürfnisse linksgrüner Milieus westlicher Wohlstandsgesellschaften in idealer Weise und verschafft dem Schweizer bis heute Ruhm, Anerkennung und materielles Auskommen. Im Jahr 2003 gründete Wackernagel die international gut vernetzte und von vielen umweltaktivistischen Partnerorganisationen unterstützte Denkfabrik „Global Footprint Network (GFN)“, der er bis heute als Präsident vorsteht.
Kernaufgaben des GFN sind die Berechnung des „ökologischen Fußabdrucks“ für einzelne Länder und die Welt insgesamt sowie die öffentlichkeitswirksame Vermarktung dieser Maßzahl, um sie als Orientierungshilfe für den Weg zu einem als moralisch geboten angesehenen, das heißt „ökologisch nachhaltigem“ Verhalten zu etablieren.
Dazu kalkulieren Wackernagel und seine Mitstreiter die Fläche des Planeten, die die Menschheit benötigt, um ihre aktuellen Konsumwünsche zu decken. Dabei rechnet man die tatsächlich für Ackerbau, Viehzucht, Forstwirtschaft und Fischerei genutzten Areale in sogenannte „globale Hektar (gha)“ um, die jeweils einem Hektar mit global durchschnittlicher Produktivität entsprechen. Durch diesen Kniff werden Bereiche mit unterschiedlichen natürlichen Voraussetzungen miteinander vergleichbar. Hinzu treten in gleicher Metrik die Landflächen, die durch den Bau von Infrastrukturen wie Wohnhäusern, Verkehrswegen, Fabriken und weiteren Ver- und Entsorgungseinrichtungen verloren gehen. Und alljährlich gelangt das GFN dabei zu demselben, mit großem Tamtam verkündetem Ergebnis: Wir übernutzen den Planeten! Wir entnehmen der Natur die Ressourcen schneller, als sie nachwachsen können und leben dadurch über unsere Verhältnisse! Bildhaft verdeutlicht man dies durch den sogenannten „Earth Overshoot Day“. An diesem Tag sollen die von unserer Umwelt für das laufende Jahr bereitgestellten Leistungen aufgebraucht sein. Ab diesem Zeitpunkt leben wir daher nach Wackernagel und seinen Anhängern „auf Pump“, also auf „Kosten zukünftiger Generationen“. Immer größer wird nach dieser Doktrin das Problem, denn immer weiter rückt dieses Datum nach vorn. 2018 fiel es bereits auf den ersten August. Unser derzeitiger Lebensstil überfordere die eine Erde, die wir derzeit haben, meint das GFN, eigentlich bräuchten wir schon 1,6. Immer näher käme daher der Moment, ab dem eine zerstörte Umwelt die Menschheit nicht mehr tragen könne.
So erfüllt der ökologische Fußabdruck den Zweck, zu dem er einst erfunden wurde. Er bietet der Nachhaltigkeitsideologie eine scheinbar wissenschaftlich begründete Rechtfertigung und einen anschaulichen und leicht zu kommunizierenden Slogan. Er bietet den Untergangsgläubigen eine Skala, anhand derer sie ihren Lebensstil prüfen und gegebenenfalls Ablassbriefe in erforderlicher Höhe kaufen können, etwa durch Spenden für Projekte, die die Folgen des eigenen Luxuslebens kompensieren sollen. Wie perfekt Wackernagel mit seiner Idee den Zeitgeist getroffen hat, zeigt sich an der Bereitwilligkeit, mit der fast alle bedeutenden Medien und viele Politiker seine Mitteilungen zum Welterschöpfungstag ungeprüft übernehmen und verbreiten.
Dabei sollte man durchaus genauer hinsehen. Denn ein unvoreingenommener Blick auf die aktuellen, in diesem Jahr veröffentlichten Zahlen, die den Zeitraum 1961 bis 2014 abdecken, offenbart den Trick, mit dem das GFN seine Ergebnisse in einen propagandatauglichen Schwindel umwandelt.
Die Ökosphäre der Erde darf nämlich nicht als ein unverzichtbarer Dienstleister mit begrenzten Potentialen verstanden werden, wie es die Nachhaltigkeitsbewegung vermittelt. Längst hat sich die Menschheit von dem äußerst kargen Angebot der ursprünglichen Natur emanzipiert. Wir leben von Pflanzen und Tieren, die wir selbst geformt haben. Die wir in von uns zu diesem Zweck gestalteten Kulturlandschaften oder in gänzlich artifiziellen Umgebungen hegen und pflegen. Wie groß die Biokapazität unseres Planeten ist, entscheiden daher wir allein, mit der immer effektiveren Anwendung vorhandener und der Entwicklung immer neuer Technologien. Entsprechend zeigen die Daten des GFN eine stetige und deutliche Zunahme der insgesamt verfügbaren globalen Hektar. Bedingt durch die Bevölkerungsentwicklung sind wir diesem Limit trotzdem nähergekommen. Wir nutzen heute – um in der Wackernagelschen Sprachregelung zu bleiben – 0,7 Erden statt wie zu Beginn der 1960er Jahre 0,4 – aber umgerechnet auf den einzelnen Erdenbürger ist der Flächenbedarf im globalen Mittel trotzdem gesunken. Da die Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums abnimmt und sich gleichzeitig die Optionen zur Steigerung der Agrarproduktivität ausweiten, sind Ängste vor künftigen Versorgungskrisen nicht gerechtfertigt.
Diese Botschaft scheuen die Wackernagels unserer Zeit wie der Teufel das Weihwasser. Sie darf nicht ruchbar werden, konterkariert sie doch die Nachhaltigkeitsdogmen vollumfänglich und entlarvt diese als überflüssig. Um also letztendlich doch eine Übernutzung irdischer Ressourcen konstatieren zu können, addiert das GFN einfach eine Fläche hinzu, die wir gar nicht belegen.
Und zwar die, auf die Wälder anzupflanzen wären, wollte man mit diesen den anthropogen verursachten Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxid-Konzentration in der Biosphäre binden. Nur verbrauchen wir eben keine irdischen Ressourcen, wenn wir dieses Gas einfach in der Lufthülle belassen. Es handelt sich auch nicht um giftigen Müll, sondern um die Nahrungsgrundlage aller Pflanzen dieses Planeten, deren zunehmende Verfügbarkeit die biologische Produktivität steigert, statt sie zu schmälern. Zudem behaupten selbst die größten Hysteriker unter den Klimaforschern nicht, dass jedes Kohlendioxid-Teilchen über den als Referenzwert geltenden, „vorindustriellen“ (also „natürlich“ vorgegebenen) 280 pro Million Luftmoleküle gleich zu einem gefährlichen Klimawandel mit schweren und irreversiblen Folgen führt. Nimmt man die „Zwei-Grad-Grenze“ ernst, wären solche erst ab 450, 500 oder gar 550 ppm zu erwarten, ganz davon abhängig, welches Klimamodell man mit welchen Annahmen füttert. Keine dieser hypothetischen Leitplanken haben wir bislang überschritten. Erst wenn dies erfolgt ist, dürften aber weitere Emissionen dem „ökologischen Fußabdruck“ hinzugefügt werden, will man diesen wissenschaftlich halbwegs seriös ermitteln.
Wackernagel und sein Team arbeiten mit einer anderen Motivation. Sie wollen nicht aufklären, sondern umerziehen. Deswegen vermischen sie in ihrer Darstellung Fakten mit Forderungen, beschreiben nicht die Welt, die ist, sondern die Welt ihrer Weltanschauung. In der wir schon seit etwa 1970, also seit fast fünfzig Jahren, den Planeten übernutzen. Warum dies in der Realität bislang nicht zu bemerken war und auch in Zukunft nicht zu bemerken sein wird, offenbart der ökologische Fußabdruck durchaus. Aber nur, wenn man ihn von seinen fiktionalen Bestandteilen befreit, um freie Sicht auf die Tatsachen zu erhalten.