Tichys Einblick
Netze ohne Strom

Die Ironie der Wirklichkeit

Den ersten Spatenstich für die "SuedLink-Leitung" in Wewelsfleth in Schleswig-Holstein tat der "Klimaminister" höchstselbst. SuedLink garantiere eine sichere Stromversorgung in Bayern und Baden-Württemberg, so Habeck. Die Realitäten werfen lächelnd Schatten auf die Formulierung.

Screenprint: NDR

Der Netzausbau geht weiter, verspätet und zu langsam. Netze ohne Strom sind aber sinnlos, intelligent sind sie auch nicht. Sie können nur transportieren, klug organisieren kann man nur Erzeugung und Verbrauch. Vorzugsweise bedarfsgerecht, was immer schwerer fallen wird.

Hin und wieder stehen Ereignisse rein zufällig in zeitlichem Zusammenhang. Am 11. September wurde vom Klimaminister höchstselbst in Wewelsfleth in Schleswig-Holstein ein erster Spatenstich für die sogenannte SuedLink-Leitung vollführt. Es gab eine starke Anteilnahme der Medien, Reden unter Verwendung vorgestanzter Worthülsen, Flatterfähnchen und ähnliche Posamente. 10 Milliarden Euro wird die Verbindung in den Süden kosten, plus Inflationsrate. Ursprünglich sollte sie bereits in Betrieb sein, es war 2011 eine der Bedingungen für den Atomausstiegsbeschluss mit Enddatum 2022. Abgeschaltet wurde trotzdem, die Anti-Atom-Ideologie war stärker.

— NDR.de (@ndr) September 12, 2023

SuedLink garantiere eine sichere Stromversorgung in Bayern und Baden-Württemberg, so der Minister. Die Realitäten werfen lächelnd einen Schatten auf diese Formulierung.

Am Tag vorher, dem 10. September um 10:45 Uhr wurde ein neuer Negativrekord der deutschen Windstromproduktion erreicht. Ganze 96 Megawatt (MW) an Onshore-Windkraft (an Land) wurden produziert, mithin 0,14 Prozent der installierten Leistung. Von See erhoffte man sich stetigen, „grundlastnahen“ Strom. Auch hier siegt das echte Leben. Nur 9 (neun!) MW erzeugte die Offshore-Windkraft zum selben Zeitpunkt (0,014 Prozent). Die 9 MW wären schon auf der Strecke zum ersten Konverter (zur Umwandlung von Dreh- in Gleichstrom) an den Netzverlusten verhungert. Bei Flaute hilft uns auch nicht eine künftig viel größere Zahl an Windkraftanlagen.

Wer wird also (frühestens ab 2028) in die SuedLink einspeisen? Die angekündigten Gaskraftwerke lassen weiter auf sich warten, die Ausschreibungen sollen im nächsten Jahr raus, Entscheidungen zum Bau sind erst 2025 zu erwarten. Plus 5 Jahre Bauzeit (mindestens) bedeuten im Klartext, dass Bayern und Baden-Württemberg mindestens bis 2030 eine ziemlich akute Strommangelzone werden, weil es bis 2028 die Leitung noch nicht gibt und danach eine gesicherte Einspeisung nicht in Aussicht steht. Die SuedLink wird Windstrom in den Süden transportieren können, mal mehr, mal weniger, manchmal gar keinen. Wer versorgt dann die „Schlagader“ in den Süden?

Der Börsenstrompreis fährt inzwischen weiter Achterbahn, er stieg am Tag des Spatenstichs um 19 Uhr auf 534 Euro pro Megawattstunde (53,4 Cent pro Kilowattstunde). Das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) gilt weiter. In der siebenten und letzten Runde zur Stilllegung von Steinkohlekraftwerken wurden im August 280 MW Kapazität bezuschlagt und ihre Grablegung mit 45.000 bis 85.000 Euro Steuergeld pro MW belohnt. Das sorgt für steigende Preise am Markt, die eventuell zu einem weiteren Subventionstatbestand, dem Industriestrompreis, führen werden. Das ist dann wieder Steuergeld.

Nötig wäre ein Spatenstich für eine auf Vernunft gegründete Energiewende.


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