Tichys Einblick
Stromversorgung

Wie der grüne Kraftwerks-Abschaltplan die Energiekosten in die Höhe treibt

Zwar entschied noch die Regierung unter Merkel den Atom- und Kohleausstieg. Nur: Heute herrschen völlig andere Bedingungen. Trotzdem hält Habeck stur an den alten Plänen fest. Das macht einen lange unterschätzten Faktor zum Preistreiber.

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Sowohl bei dem endgültigen Atom- als auch bei dem Kohleausstieg verfügen die Grünen und generell die Ampelparteien über einen argumentativen Vorteil: Sie können darauf verweisen, dass beides grundsätzlich schon von der CDU-geführten Regierung unter Angela Merkel beschlossen wurde. Das trifft auch zu: Das beschleunigte Ende der Kernkraft bis 2022 setzte Merkel im Frühjahr 2011 nach dem Atomunfall in Fukushima durch (bei dem es unmittelbar kein Todes- und Jahre später ein Strahlenopfer gab).

Über das Ende der Kohleverstromung entschied der Bundestag im Juli 2020. In beiden Fällen gibt es ein großes Aber, über das die Grünen am liebsten nicht sprechen. Denn der doppelte Ausstieg, den die Grünen gewissermaßen als Merkels Erben weiter vorantreiben, bringt in den kommenden Jahren immer stärkere Belastungen für Wirtschaft und private Verbraucher mit sich. Dabei geht es nicht nur um die Kosten des Stroms selbst. Sondern um einen anderen Rechnungsposten, der steil anwächst.

In ihrer Regierungserklärung 2011 versprach Merkel, zur Sicherung der Stromversorgung die fossilen Kraftwerke in Deutschland auszubauen. Gemeint war damals vor allem Gas, was vor allem bedeutete: günstiges Pipeline-Erdgas aus Russland. Dessen Verstromung bezeichnete sie als neue „Brückentechnologie“, so wie vorher die Atomtechnik. Das galt dann erst recht nach dem Beschluss von 2020, bis 2038 komplett aus der Kohle auszusteigen.

Selbst die Ampel rechnete bei ihrem Regierungsantritt Ende 2021 noch fest damit, die Leistung der restlichen Kern- und längerfristig auch alle Kohlemeiler durch neue Gaskraftwerke ersetzen zu können, kostengünstig beliefert aus dem Osten. Billiges Gas aus der Röhre – auf dieser einen Säule ruhte die gesamte Konstruktion der deutschen Ausstiegspolitik. Bekanntlich fiel diese Säule Anfang 2022 mit dem Angriff Putins auf die Ukraine, der Sprengung der Pipeline Nord Stream 2 und der Zerstörung der über Land geführten Versorgungslinie. Eigentlich gab es damit für sämtliche Ausstiegspläne keine Geschäftsgrundlage mehr. Dass sie unter grüner Leitung trotzdem weitergehen, sogar beschleunigt, führt, siehe oben, zu schnell steigenden Lasten auf einem lange unterschätzten Gebiet: den Netzentgelten.

Hier summieren sich die Kosten für den Netzausbau, aber auch die Netzstabilisierung, die immer mehr Geld verschlingt, je weniger grundlastfähige Kraftwerke in Deutschland am Netz hängen. Diese Entgelte erscheinen auf der Stromrechnung, eine Minderung gibt es nur für einige energieintensive Großunternehmen, die anderenfalls den Standort verlassen müssten. Ab 1. Januar 2024 stiegen die Netzgebühren um mehr als das Doppelte – von 3,12 auf 6,43 Cent pro Kilowattstunde. Bis Ende 2023 hatte die Bundesregierung diesen Posten mit Steuermitteln niedrig gehalten. Wegen des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts fehlt nun das Geld, die Höhe weiter zu kaschieren. Alles spricht dafür, dass die Netzgebühren in den kommenden Jahren weiter steigen. Schon deshalb dürften die Energiekosten dauerhaft auf hohem Niveau bleiben – entgegen dem Versprechen von Katrin Göring-Eckardt, sie würden demnächst deutlich sinken.

Das Prinzip hinter dem Anstieg der Netzgebühren ist einfach: Je stärker die Stromeinspeisung schwankt, je weniger wetterunabhängige Kraftwerke produzieren, desto mehr netzstabilisierende Eingriffe sind nötig, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Beispielsweise, wenn im Inland nicht benötigte und speicherbare Stromüberschüsse an windigen und sonnigen Tagen für Prämien bis zu 500 Euro pro Megawattstunde ins Ausland verschenkt werden müssen, wenn Wind- und Solarparks abgeregelt, ihre theoretische Leistung aber trotzdem vergütet wird, aber auch bei Strommangel, wenn energieintensive Unternehmen eine Kompensation dafür erhalten, dass sie ihre Anlagen vorübergehend herunterfahren. Im Jahr 2016 lagen die Kosten für die Eingriffe, die von den Übertragungsnetzbetreibern an die Kunden weitergereicht werden, noch bei 880 Millionen Euro. Im Jahr 2022 waren dafür schon 4,2 Milliarden Euro fällig. Für 2023 liegen noch keine Zahlen vor. Allein der sogenannte Redispatch, also das Herunterfahren von konventionellen Kraftwerken vor allem im Norden bei reichlichem Windstrom und das schnelle Hochfahren von Reservekraftwerken bei Strommangel verschlang 2022 insgesamt 2,6 Milliarden Euro. Im Atomausstiegs-Jahr 2011 trugen diese Art der Eingriffe gerade 41,6 Millionen Euro zu dem Gesamtkosten bei.

Seit dem Wegfall des günstigen Gases aus Russland steht für die Gasverstromung nur noch das sehr viel teurere importierte Flüssiggas zur Verfügung. Wenn viele gasbefeuerte Kraftwerke, die laut Habeck bis 2030 mit der Gesamtkapazität von 60 Gigawatt entstehen sollen, bei hohen Brennstoffkosten nur temporär einspringen dürfen, wenn Solar- und Windparks nicht genug liefern, stellt sich die Frage: Wie sollen die Betreiber Gewinn erwirtschaften? Das ginge nur mit finanziellen Garantien vom Staat. Die gestalten sich wiederum als schwierig, seitdem das Bundesverfassungsgericht Haushaltsdisziplin fordert. Auch die Geschäftsgrundlage, Kosten einfach in Sondervermögen zu verschieben, existiert nicht mehr. Woher später der noch viel teurere „grüne Wasserstoff“ in den nötigen Mengen kommen soll, mit dem laut Robert Habeck die Gaskraftwerke in fernerer Zukunft betrieben werden sollen, kann auch der Wirtschaftsminister nur mit Textbausteinen beantworten.

Bisher gibt es für den Gaskraftwerks-Park, von dem Habeck spricht, weder eine Planung noch Betreiber. Trotzdem soll der Kohleausstieg unvermindert weitergehen, und sich nach Vorstellungen der Grünen sogar noch beschleunigen. Sie wünschen sich ein Enddatum 2030, nicht erst 2038. Zum 31. März gingen bereits 15 Braun- und Steinkohlekraftwerke vom Netz. Betroffen von der Abschaltung sind die Blöcke C, D und E des Braunkohle-Kraftwerks Neurath mit insgesamt 600 Megawatt, die Blöcke E und F des Braunkohlekraftwerks Niederaußem (200 Megawatt), beide in NRW, außerdem Block E und F des ebenfalls mit Braunkohle befeuerten Kraftwerks Jänschwalde in Brandenburg (1000 Megawatt). Die Anlage in Jänschwalde, eine der größten Kohleverstromungsanlagen und eigentlich unverzichtbar für die Versorgung von Brandenburg und Berlin, soll 2028 trotz völlig veränderter Bedingungen komplett vom Netz.

Für Nordrhein-Westfalen gilt nach wie vor die Entscheidung, die Kohleverstromung schon bis 2030 vollständig zu beenden. Bundesweit stehen nach der Ampel-Planung 2030 nur noch Braunkohlemeiler mit der Kapazität von 9 und Steinkohlekraftwerke mit der Leistung von 9 Gigawatt zur Verfügung, dazu die existierenden Gaskraftwerke. Darauf ruht künftig die gesamte Erzeugung der Grundlast, die täglich Kapazitäten zwischen 30 und 80 Gigawatt benötigt. Alles andere – neue Gaskraftwerke, industrielle Großspeicher – steht bisher nur vage in Regierungspapieren. Die logische Folge: In Zukunft wird Deutschland noch sehr viel mehr Strom kurzfristig aus dem Ausland kaufen müssen. Weil die Windstrom-Kapazität durch den Aufbau vor allem riesiger Offshore-Anlagen auf politischen Wunsch stark beschleunigt wird, ohne dass die nötigen Speicher in Sicht sind, gibt es in Zukunft auch deutlich mehr Abregelungen und Stromabgaben an die Nachbarn zu Negativpreisen. Das macht die Netzgebühren in den kommenden Jahren zum eigentlichen Preistreiber. Bis 2030 könnten die Netzentgelte auf 10 Cent pro Kilowattstunde und mehr klettern.

Die Kosten für den kommenden Netzausbau fehlen in dieser Rechnung noch – denn sie lassen sich nicht einfach wie bisher auf die Stromkunden umlegen. Denn dann würde die Kilowattstunde endgültig unbezahlbar. Den Gesamtaufwand für neue Stromtrassen und die Ertüchtigung des Niederspannungsnetzes, das bis jetzt für die politisch gewünschten Wärmepumpen und Elektroauto-Ladesäulen gar nicht die nötigen Voraussetzungen bietet, bezifferte die Bundesnetzagentur kürzlich mit eine Billion Euro. So viel, das meinte einmal Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in alten Zeiten, würde Deutschlands Energiewende insgesamt kosten. Damals verhöhnten ihn die oppositionellen Grünen als notorischen Schwarzmaler.

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