Tichys Einblick
KLima- und Energiepolitik

Die Politik beruft sich auf die Wissenschaft – doch auf welche eigentlich?

Als Wissenschaftler muss man sich immer daran erinnern, dass es in den Erfahrungswissenschaften keine Gewissheit über den Besitz der Wahrheit gibt, sondern nur mehr oder weniger gründlich geprüfte, mehr oder weniger gut bewährte Theorien. Das sollte auch die Politik nicht vergessen. Von Erich Weede.

imago images / Hans Blossey

Ob der Mensch mit seinen CO2- Emissionen das Klima aufheizt, wie schnell und gefährlich eine Erhitzung ist, wie dringend der Mensch aus fossilen Brennstoffen aussteigen muss, um einen schädlichen Klimawandel zu verhindern, das sind naturwissenschaftliche Fragen, zu denen ich als Sozialwissenschaftler nicht Stellung beziehen will. Aber es gibt viele Aspekte der Klimadiskussion in Deutschland und Europa, die Sozialwissenschaftler beunruhigen sollten.

Nach meinen Erfahrungen in vielen Sozialwissenschaften ist Konsens kein typisches Merkmal von Wissenschaft, sondern ein Ausnahmezustand. Typisch für Wissenschaft ist Streit und Dissens über Methoden und Fakten, über Daten und Theorien. In den Äußerungen von Journalisten und Politikern, erstaunlicherweise sogar manchmal auch von Klimaforschern, wird aber der Eindruck erweckt, dass die naturwissenschaftlichen Fragen im Kern beantwortet seien, dass Dissens höchstens noch Detailfragen betreffe.

Mensch, Institutionen, Erkenntnis

Weil auch Forscher Menschen sind, darf man daran erinnern, dass die Neigung zur Übereinstimmung mit anderen tief in der menschlichen Natur verwurzelt ist. Das wird schön in einem Experiment illustriert, das amerikanische Sozialpsychologen gemacht haben. Dabei wird in einem ganz dunklen Raum ein feststehender Lichtpunkt gezeigt. Im Einzelversuch behaupten alle Teilnehmer, eine Bewegung zu sehen, weil wir Menschen die Augen nicht stillhalten können; aber der eine sieht eine Bewegung nach oben, der andere nach unten, der eine nach links, der andere nach rechts. Im Gruppenversuch einigen die Menschen sich dann regelmäßig auf eine Bewegungsrichtung des stillstehenden Lichtpunkts. Wer sich dem Konsens nicht anschließt, wird unter Druck gesetzt.

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Wer hilft, Kritiker der dominanten Auffassung zum Klimawandel unter Druck zu setzen, verstärkt nur eine allgemein menschliche Schwäche, der gerade Wissenschaftler nicht unterliegen sollten. Als Wissenschaftler muss man sich immer daran erinnern, dass es in den Erfahrungswissenschaften keine Gewissheit über den Besitz der Wahrheit gibt, sondern nur mehr oder weniger gründlich geprüfte, mehr oder weniger gut bewährte Theorien. Es ist sogar zu befürchten, dass alle Theorien mit Anomalien zu kämpfen haben. Dass wir Menschen dazu neigen, vom Konsens auf die Wahrheit zu schließen, ist nicht unvernünftig. Oft wird sich das bewähren, nicht nur im Alltagsleben, sondern sogar auf Finanzmärkten – allerdings meist nicht in Krisen.

Mein Versuch, die Forschung zum Klimawandel ansatzweise zu verstehen, war nicht sehr erfolgreich, hat aber gezeigt, dass es offensichtlich auch in der Klimaforschung den normalen Streit und Dissens gibt. Buchtitel wie „The Great Global Warming Blunder“ von 2010 oder „The Rise and Fall of the Carbon Dioxide Theory of Climate Change“ von 2019 deuten nicht gerade Übereinstimmung mit den Auffassungen des Weltklimarats an. Manche Forscher schreiben der Sonnenaktivität oder ozeanischen Zyklen großen Einfluss auf das Klima zu, erklären damit auch die Unterbrechung des Erwärmungstrends am Anfang des 21. Jahrhunderts, betonen überhaupt die natürliche Klimavariabilität von der mittelalterlichen Warmzeit über die kleine Eiszeit bis hin zur Gegenwart, während die Modelle des Weltklimarats davon abstrahieren.

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„The science is settled“ gilt nur für diejenigen, die infantil oder wissenschaftsfremd genug sind, der Wissenschaft oder gar den Zusammenfassungen für Politiker und andere Laien das Merkmal der Gewissheit zuzuschreiben. Weil rund 60 Nobelpreisträger der Naturwissenschaften Zweifel an der dominanten Auffassung angemeldet haben – zugegeben, die Zahl halbiert sich ungefähr, wenn man die Mediziner abzieht, deren Arbeitsgebiet weit weg von der Klimaforschung ist –, sollte man den Zweiflern nicht einfach die Kompetenz absprechen. Auch die oft zitierte numerische Bewertung vom 97-Prozent-Konsens mit dem Weltklimarat ist gleich aus zwei Gründen fragwürdig. Erstens zählt man in der Wissenschaft nicht wie in der Demokratie die Stimmen. Zweitens komme ich auf der Basis einer differenzierten Beurteilung Vahrenholts nach Dichotomisierung (um Vergleichbarkeit mit den oft zitierten Zahlen herzustellen) auf das Verhältnis 70 zu 30.

Der falsche Eindruck, dass die wissenschaftliche Debatte beendet sei, ist im Wesentlichen der Verquickung von Klimaforschung und Politik zu verdanken, das heißt dem Mandat für das IPCC (Weltklimarat), die anthropogenen Ursachen des Klimawandels herauszuarbeiten, was in der Praxis auf die Vernachlässigung anderer Erklärungsansätze hinausläuft. Das wirft die Frage auf, ob eine enge Verbindung von Wissenschaft und Politik wünschenswert ist.

Darüber haben Wissenschaftstheoretiker und Historiker der Naturwissenschaft nachgedacht. Nach Thomas Kuhn verdankt die westliche Naturwissenschaft ihre Erfolge genau der Vermeidung dieser Verquickung von Wissenschaft und Politik. Nach seiner Auffassung sollten Wissenschaftler nie für die Machthaber oder das Volk arbeiten, sondern sich immer nur an ihre sachkundigen Kollegen und Konkurrenten beim Kampf um Erkenntnisfortschritt wenden.

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Jeder Ökonom, der schon mal von Rent-Seeking gehört hat, weiß, wie groß die Versuchung ist, Wettbewerber durch eine Zusammenarbeit mit der Politik, den Machthabern, auszustechen. Weil Wissenschaftler nicht nur an Erkenntnisfortschritt und Wahrheit, sondern auch an Ansehen und Geld, an Status, Mitarbeitern und teuren Geräten interessiert sind und sogar sein müssen, ist zu befürchten, dass die Dominanz von Forschungsrichtungen nicht nur aus der Qualität der Erkenntnisse oder Theorien, sondern auch aus der Nähe zur Politik resultieren kann.

Kuhns Befürchtung, dass die Nähe von Politik und Wissenschaft den Erkenntnisfortschritt eher behindert als befördert, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der ordnungspolitischen Überzeugung vieler Ökonomen, dass eine staatliche Industriepolitik eher auf eine Entschleunigung des Strukturwandels und der „kreativen Zerstörung“ Schumpeters als auf Innovation und die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen hinausläuft.

Wie gefährlich ein verfrühtes Eingehen der Politik auf Resultate der Klimaforschung sein kann, illustriert ein Beispiel aus dem Kalten Krieg. Damals bedauerten manche Klimaforscher, dass man die Amerikaner und die Sowjets nicht zum gemeinsamen Einsatz von Atomwaffen zum Abschmelzen des Polareises veranlassen könnte, um eine neue Eiszeit zu verhindern. Vermutlich ist der Weltklimarat heute recht froh darüber, dass man damals nicht auf diese Wissenschaftler hörte.

Um die Folgen dieser problematischen Verknüpfung von Klimaforschung und Politik zu mildern, könnte man sich an einem Vorbild aus der amerikanischen Sicherheitspolitik zur Zeit des Kalten Krieges orientieren: ein Team B gut ausstatten mit dem Mandat, alternative Erklärungen für den Klimawandel zu entwickeln, zu überprüfen und die Arbeit des Weltklimarats zu kritisieren. Denn Wissenschaft lebt von Kritik, nicht von Konsens.

Klimapolitik, Freiheit und Effizienz

Dass die Politik sich der dominanten Meinung der Klimaforschung anschließt, ist verständlich. Der Skeptiker Björn Lomborg macht das auch, hält es aber trotzdem für möglich, dass eine illusionäre Politik die Weltwirtschaft massiv schädigt und Milliarden Menschen zu unnötiger Armut verurteilt, ohne das Klima zu retten.
Die Politik sollte nie aus den Augen verlieren, dass freie Marktwirtschaft der Planwirtschaft überlegen ist. Staatseingriffe sollten deshalb minimal-invasiv sein. Ein Zertifikatehandel oder CO2-Steuern erfüllen dieses Kriterium. Die Praxis der deutschen Energie- und Klimapolitik hat das von Anfang an nicht getan.

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Wenn wissenschaftliche Fakten nicht in den politischen Kram passen
Der deutsche Anteil an der Weltbevölkerung beträgt annähernd ein Prozent, an den CO2-Emissionen zwei Prozent, beide Werte mit fallender Tendenz. Sogar der Wert der EU liegt noch unter zehn Prozent der globalen Emissionen. Daraus will ich keine Rechtfertigung für das Nichtstun ableiten, sondern nur die Forderung nach Kosteneffizienz. Offensichtlich kann man die Welt nicht retten, wenn die anderen 90 Prozent munter weitermachen. Je kostengünstiger unsere Maßnahmen sind, desto größer wird die Hoffnung auf Imitation.

Überhöhte Kosten unserer Energie- und Klimapolitik, wie Deutschlands ungewöhnlich hohe Strompreise, schrecken potenzielle Nachahmer ab. Im „Wall Street Journal“ erntete die deutsche Politik schon mal das Prädikat „World’s Dumbest Energy Policy“. Die indirekten Wirkungen eines Abschreckungseffekts könnten sogar stärker werden als die direkten positiven Effekte bei der Emissionsminderung in Deutschland. Man sollte diese Möglichkeit zumindest bedenken.

Selbst wenn die dominante Richtung der Klimaforschung recht hat und die Europäer die Risiken des Klimawandels klarer erkennen als Amerikaner oder Asiaten, besteht immer noch die Gefahr, dass deutsche oder europäische Anstrengungen einfach nicht ausreichen, dass zu viele Länder zu lange in der Trittbrettfahrerrolle bleiben. Dann stellt sich die Frage, ob Länder mit einer weit vorangetriebenen und teuren Energiewende noch wenigstens genauso gut wie die Nachzügler der Energiewende mit dem Klimawandel fertig werden. Darüber sollte ebenfalls nachgedacht werden.

Rationalität und Ideologie

Jede rationale und nachhaltige Energiepolitik muss berücksichtigen, dass Wind- und Sonnenenergie nicht zuverlässig immer dann liefern, wenn sie gerade gebraucht werden. Ohne den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie hätte sich eine drastische Emissionssenkung ohne Gefährdung der Netzstabilität leichter erreichen lassen. Franzosen oder Tschechen sehen das klarer als Deutsche.

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Als Beispiel für die Problematik von Einzelmaßnahmen kann die Elektromobilität und deren Subventionierung durch den Staat dienen. Das wirft die Frage auf, ob das wirklich die günstigste Variante von klimaneutraler Mobilität ist. Denn es gibt eine Debatte darüber, ob Elektromobilität überhaupt etwas für das Klima bringt, wenn man nicht nur die laufenden Emissionen bei der Mobilität, sondern auch die Herstellung der Fahrzeuge und der elektrischen Energie zumindest vorübergehend noch aus fossiler Energie berücksichtigt.

In Anbetracht der Zweifel an der Effektivität und Effizienz der deutschen Klimapolitik muss man die Frage aufwerfen, warum unser Staat beim Versuch der Senkung der CO2-Emissionen zwar munter Kosten produziert, aber seine Ziele für 2020 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht oder eher zufällig wegen des Corona-Lockdowns erreicht.

In einer freien Marktwirtschaft ist es leichter, eine Einheit von Entscheidung und Haftung herzustellen und damit die Anreize zur Korrektur oder gar Vermeidung von Fehlern zu setzen, als in der Politik. Wenn die Klima- und Energiepolitik den Staat auf Kosten von Markt und Wettbewerb wachsen lässt, dann gefährdet das langfristig die wirtschaftliche Freiheit und den Wohlstand. Aber Wohlstand ist eine wesentliche Voraussetzung für die Demokratie beziehungsweise ihre Lebensfähigkeit. Vielleicht hat Björn Lomborg recht, wenn er gleichzeitig für die Anerkennung der Autorität des Weltklimarats in naturwissenschaftlichen Fragen und aus ökonomischen Gründen für die Hinnahme einer Erwärmung von 3,5 Grad Celsius plädiert. Vielleicht aber haben auch Vahrenholt und Lüning recht, die Klimasensitivitäten am unteren Rand der Bandbreite des Weltklimarats unterstellen und unter Verweis auf CO2-Senker (wie Ozeane und Pflanzen) und für die nächsten Jahrzehnte voraussichtlich kühlende Ozeanzyklen davon ausgehen, dass wir durchaus Zeit haben für eine bedachte und bezahlbare Umstellung auf eine emissionsärmere Weltwirtschaft. Dann wäre die nach Auffassung des „Wall Street Journal“ weltweit dümmste Energiepolitik nicht Reaktion auf Notwendigkeiten, sondern nur grüne Panik.

Wie dringlich auch immer der Klimawandel und die Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun, sein mögen, Regierungen haben es immer gleichzeitig mit einer Vielzahl von Problemen zu tun. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat das vorher dominierende Problem der Abschreckung und Kriegsverhütung zwar an Brisanz und öffentlicher Aufmerksamkeit verloren, das ändert aber nichts daran, dass zumindest die Verhütung von Krieg zwischen Nuklearmächten, der zu einem nuklearen Winter führen könnte, eine Überlebensfrage für die Menschheit bleibt.

Freihandel und Kriegsverhütung

Der Aufstieg Chinas zur Weltmacht hat die amerikanische Dominanz in der Welt infrage gestellt und damit langfristig das Risiko eines großen Krieges erhöht. Ein amerikanischer Politikwissenschaftler glaubt sogar, aus der Geschichte der letzten 500 Jahre ein Kriegsrisiko in der Nähe von 75 Prozent beim Ein- oder Überholen einer Führungsmacht durch eine andere Macht ableiten zu können.

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Es gibt eine Maßnahme, die im Interesse des Klimaschutzes unvermeidlich sein könnte, gleichzeitig aber das Risiko eines großen Krieges erhöht. Dabei denke ich an Einschränkungen des freien Handels zwischen Staaten. Der Import von Waren, die ohne Rücksicht auf das Klima im Ausland hergestellt worden sind, könnte begrenzt werden. Es gäbe also plötzlich klimapolitische Gründe für eine Beschränkung des Freihandels. Unglücklicherweise ist genau der Freihandel oder allgemeiner die wirtschaftliche Interdependenz zwischen den Staaten einer der wenigen bekannten pazifizierenden Umstände.

Glücklicherweise waren bisher die Handelsbeziehungen zwischen den USA und China außerordentlich eng, sehr viel enger, als sie zwischen den USA und der Sowjetunion jemals waren. Die durch die Pandemie ausgelöste Neigung, manche als lebenswichtig geltenden Industriezweige ins eigene Land zurückzuholen, hat die befriedenden Freihandelseffekte bereits vermindert. Durch klimapolitisch bedingte Handelsbeschränkungen sollte man das Kriegsrisiko nicht verstärken, selbst wenn die klimapolitische Begründung zwingend erscheint. Man darf nicht vergessen: Auch die destruktive Tätigkeit des Menschen könnte das Klima verändern.


Erich Weede ist diplomierter Psychologe – mit einer Arbeit zur Kriegsursachenforschung –, habilitierter Politikwissenschaftler und emeritierter Soziologe. Außerdem ist er Gründungsmitglied der Hayek-Gesellschaft und Hobbyökonom.

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