Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie am 15. April 2023 hat unser Stromversorgungssystem einen Kipppunkt erreicht. Die abgeschalteten Kernkraftwerke sind nicht rückholbar, auch wenn gelbe und schwarze Parteien scheinheilig danach rufen. Der Kohleausstieg geht indessen weiter. Dazu sagen sie nichts.
In den ersten beiden Tagen nach der Abschaltung der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke (KKW) wurde unser Netz durch Importe abgesichert. Größere Mengen im Gigawatt-Bereich kamen aus Frankreich, auch Polen lieferte und Norwegen konnte dank guten Wasserangebots das Seekabel auch meist voll auslasten. Erst am 18. April, bei mehr Sonnenschein zur Mittagszeit, reichte die Eigenerzeugung – für wenige Stunden – aus. Sobald die Sonne sinkt, sind wir wieder auf Importe angewiesen. Wie gut, dass unsere Nachbarn keine Energiewende nach deutschem Muster machen.
Obwohl Erzeugung und Verbrauch damit ausgeglichen sind, gibt es Merkwürdigkeiten bei der Einhaltung der Normalfrequenz von 50 Hertz. Bereits ab 27. März gab es mehrere stärkere Schwankungen zwischen 49,83 und 50,10 Hertz. Das ist immer noch der normale Regelbereich, aber die Besonderheit war das mehrmalige Schwanken in kurzer Zeit. Allein am 28. März gab es 121 Netzeingriffe zur Sicherung der Stabilität, das ist außergewöhnlich viel.
Erwähnenswert auch, dass es von Seiten der Netzbetreiber keine Informationen dazu gab. So bleiben Vermutungen wie die, dass sich das System „aufgeschaukelt“ haben könnte. Eine ausführlichere Erläuterung zum Ablauf gibt es auf „Outdoor Chiemgau“.
Am 17. April, dann schon nach dem „Aus“ der KKW, zeigte sich wieder in einem Zeitraum von mehr als einer Stunde eine Unterfrequenz. Auch hier fehlen die Informationen, warum das Hochregeln auf Normalfrequenz so lange dauerte. Deuten sich hier bereits Instabilitäten an?
Aussteigen, Abschalten, Stilllegen
Ungeachtet der veränderten Situation, seien es Krieg und die Gasversorgung, nicht mehr verfügbare Kernkraftwerke und eine nach wie vor zeitweise sehr dürftige Produktion „erneuerbarer“ Energie, machen Klimaministerium und Bundesnetzagentur (BNA) Dienst nach Vorschrift. Es geht seinen Gang. Der Steinkohleblock 5 des Kraftwerks Staudinger hatte am 15. Dezember 2021 den Zuschlag zur Stilllegung erhalten, wurde aber über das „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ (EKBG) in Betrieb gehalten. Am 21. Mai sollte nun die plangemäße Stilllegung erfolgen, die sich aber auf den 31. März 2024 verschiebt. Inwiefern soll die Lage dann anders sein als heute? Durch die Außerbetriebnahme entfallen dann auch die Fernwärmelieferungen und die Klärschlammentsorgung.
Der nächste Gebotstermin ist der 1. Juni 2023, an dem 542 Megawatt (MW) Kraftwerksleistung zur Stilllegung ausgeschrieben werden. Pro MW gibt es maximal 89.000 Euro dazu. Ergebnis werden weiter sinkendes Stromangebot und damit weiter steigende Preise sein. Gegen die gibt es für Verbraucher bereits heute über die Preisbremse Geld dazu. Ein Paradebeispiel für Steuergeldverbrennung.
Das Klimaministerium verstößt unterdessen weiter gegen den Paragrafen 54 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes (KVBG), das bereits für 2022 einen ersten Zwischenbericht zum Kohleausstieg festschrieb. Was kümmern mich meine eigenen Gesetze, wenn es um die Klimarettung geht, scheint man im Ministerium zu denken. Die Beamten tun sich natürlich schwer damit, einen positiven Verlauf des Kohleausstiegs darstellen zu können. Politisch ist aber ein anderslautender Bericht ausgeschlossen.
Die Stilllegungen erfolgen vorbehaltlich einer Prüfung durch die grüngeführte BNA bezüglich der Netzsicherheit. Unpolitische Entscheidungen kann man auch hier nicht erwarten.
Fiktiver Kraftwerksbau
Der nicht mehr zu verschleiernde absehbare Strommangel wird mit Hinweis auf „bald“ verfügbare wasserstofffähige Gaskraftwerke kaschiert.
„Ehrlicherweise, wir brauchen jetzt die Investitionen in diese Gaskraftwerke. Es dauert bis diese gebaut werden, deshalb muss der Rahmen hier jetzt stimmen“, so Kerstin Andreae (Grüne), die Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie und Wasserwirtschaft (BDEW). Schon der Umfang der so neu zu errichtenden Kapazitäten lässt staunen. Der BDEW selbst sprach schon 2020 von 17 Gigawatt (GW) notwendiger zusätzlicher Gaskraftwerksleistung, das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln (EWI) von 23 GW, der BDI sogar von 43 GW. Selbst nach der BDEW-Schätzung ergäben sich mindestens 35 neue Gaskraftwerksblöcke, die anteilig auch als Voraussetzung für den vorgezogenen Braunkohleausstieg in NRW (2030) gelten. Das Klimaministerium will nun „bald“ Ausschreibungen für diese Kraftwerke auf den Weg bringen.
Im Abschlussbericht der Kohlekommission fand sich auch der Hinweis, dass vom Baubeschluss bis zur Netzschaltung eines Gaskraftwerks fünf bis sieben Jahre zu veranschlagen wären. Ausschreibungen, Zuschläge und Verträge werden sich mindestens weit in das Jahr 2024 hineinziehen, dann müsste eine Vielzahl von Neubauten gleichzeitig realisiert werden, unter den Bedingungen steigender Preise, großer Materialmengen und des Fachkräftemangels. Welche Gasmengen diese Kraftwerke dann verbrauchen, ist offenbar auch noch nicht Bestandteil ministerieller Überlegungen. Ein 600-MW-Block zieht pro Stunde mehr als 100.000 Kubikmeter durch.
Zu diesem Thema gibt es keine Äußerung ohne den Zusatz „wasserstofffähig“. Damit wird der unrealistische Eindruck erweckt, dass bereits ab Anfang/Mitte der dreißiger Jahre große Mengen grünen Wasserstoffs zu vertretbaren Preisen zur Verfügung stehen würden. Dies ist unrealistisch, aber die Beruhigungspille fürs grüne Fußvolk mit Aversionen gegen fossiles Erdgas. Im Jahr 2030 verfügbare zahlreiche neue wasserstofffähige Gaskraftwerke erweisen sich bei näherer Betrachtung als Märchen aus dem grünen Schlummerland.
Indikatoren und Phantasie-Importe
Der aktuelle Energiewende-Index von McKinsey sieht die historisch stabile Stromversorgung in Deutschland „unter Spannung“. Es drohe im Jahr 2030 eine Stromlücke von 30 GW. Die betrachteten 15 Indikatoren würden ein enttäuschendes Bild zeigen, insbesondere drei Kategorien hätten sich deutlich verschlechtert: der Haushaltsstrompreis, der Anteil der Gesamtenergiekosten der Haushalte und die Kosten für die Netzeingriffe. Stromimporte würden künftig eine große Rolle spielen, eventuell Laufzeitverlängerungen von Kohlekraftwerken und natürlich die Nachfragesteuerung, das heißt die Verbrauchsreduzierung bei geringerem Stromangebot. Bei der E-Mobilität wird das mit „Smart Charging“ umschrieben, was nichts anderes heißt, als dass nicht mehr zu jeder Zeit geladen werden kann.
Für vier Indikatoren sei die Zielerreichung unrealistisch, hier stechen die Kosten für die Netzeingriffe hervor. Diese seien durch die vielen Redispatch-Maßnahmen von 9,60 Euro auf 27 Euro pro Megawattstunde (MWh) gestiegen. Ein Grund dafür ist die Zielverfehlung beim Netzausbau. Auch eine Senkung der Gesamtenergiekosten für die Haushalte ist unwahrscheinlich. Aktuell erhöht Eon die Preise in der Grundversorgung um 45 Prozent. Das zahnlose Kartellamt nimmt nun „Ermittlungen“ auf.
In welcher Kategorie sieht es nun richtig gut aus? Nur beim „Erneuerbaren“-Anteil am Bruttostromverbrauch liegt die Zielerfüllung bei 110 Prozent. Die Lobby hat gut gearbeitet.
Kein Strom ohne Draht
Die vier Übertragungsnetzbetreiber begannen unterdessen mit den Erörterungen zum Netzentwicklungsplan (NEP) Strom 2037 mit Ausblick 2045, also dem gesetzlichen Zieljahr zur Dekarbonisierung. Der vorausgesetzte Zubau an „Erneuerbaren“ ist, zeitgeistig formuliert, ambitioniert. Schon bis 2037 soll sich die Photovoltaik (PV) an installierter Leistung fast versechsfachen, die Offshore-Windenergie versiebenfachen und die Windkraft an Land fast verdreifachen. Aber für die Dekarbonisierung bis 2045 reicht das natürlich nicht, weil der Stromverbrauch bis 2045 auf etwa 1.100 bis 1.300 Terawattstunden (TWh) steigen würde. 2022 verbrauchten wir etwa 485 TWh – und jetzt schalten wir weiter Kraftwerke ab. Deshalb legt man für 2045 noch eine Schippe Sonnen- und Windkraftanlagen drauf – siebenmal so viel PV, neunmal so viel Wind offshore seien dann erforderlich.
Um den nötigen Import und die Abhängigkeit vom Ausland etwas freundlicher zu formulieren, spricht man von „europäischer Integration“. Deutschland entwickle sich zu einem großen Netto-Stromimporteur. Insbesondere aus Frankreich, Skandinavien und Österreich würden große Strommengen importiert werden müssen.
Das lässt im Fall Österreich aufmerken, denn die Alpenrepublik ist seit 2001 selbst Netto-Stromimporteur und wird es wohl auch bleiben. Die Ösis kämpfen standhaft gegen Kohle und Kernkraft im eigenen Land, wären aber ohne die Importe derartig erzeugten Stroms aus Tschechien nicht lebensfähig. Insofern ist das Szenario der Netzbetreiber unglaubwürdig und selbst als Stromtransitland fällt Österreich aus. Im Süden saugt mit Italien ebenfalls ein Netto-Importeur am europäischen Netz und vom Balkan ist wohl kein deutlicher Stromüberschuss zu erwarten.
Üblicherweise werden solche optimistischen Ausblicke als „herausfordernd“ beschrieben anstelle von „problematisch“. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass man Herausforderungen nicht annehmen muss und sie auch ablehnen kann, Probleme hingegen nicht.
Das Ende ist nah
Unterdessen wächst der politische Druck. Die CO2-Hysterie scheint immer noch steigerbar zu sein. Prominent wird über den Expertenrat für Klimafragen berichtet, der sich natürlich nur um die entsprechenden Fragen kümmert und losgelöst von wirtschaftlichen und sozialen Belangen konstatieren und fordern kann. Damit bewegen sich die „Experten“ aus mehreren Elfenbeintürmen ohne Bodenkontakt auf dem Niveau von Fridays for Future, Extinction Rebellion (XR) und der Letzten Generation. Es gibt im Land eine Narrenfreiheit, Unmögliches zu fordern, ohne eine kritische Reflexion in den Medien zu erfahren. Wer auch nur nach der Realisierbarkeit fragt, gerät in den Stand des „Klimaleugners“ und in die Gefahr gesellschaftlicher Ächtung.
Diese Gefahr besteht für die Mitarbeitenden und Beamtenden im Staatsapparat nicht. Sie machen Dienst nach Vorschrift. Am Ende des Desasters werden sie sich auf die Dienstpflicht berufen wie andere ehedem auf den Befehlsnotstand. Aber dann werden viele in Pension und unangreifbar sein.
Möglicherweise gibt es aber auch gesellschaftspolitische Kipppunkte, etwa pragmatische Entscheidungen aus purer Not heraus. Nach Ayn Rand formuliert: Politiker können Realitäten ignorieren, aber nicht die Konsequenzen einer ignorierten Realität. Nichts ist unbekannter als die Zukunft.