Tichys Einblick
Jede Substanz ist einmal aufgezehrt

Innovation von Staats wegen? Von wegen!

Bis heute ist Deutschlandt von Wertschöpfungsketten abhängig, die schon das Kaiserreich trugen, Maschinen- und Fahrzeugbau, Grundstoffproduktion, chemische und elektrotechnische Industrie. Seit 100 Jahren hat dieses Land nichts Neues mehr hervorgebracht.

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Lang schon liegt die vergleichsweise kurze Epoche zurück, in der Innovation aus Deutschland die Welt prägten. Sie begann 1852, als Alfred Krupp den nahtlosen Radreifen für die Eisenbahn entwickelte, und endete 1919 mit dem Erstflug der von Hugo Junkers konstruierten F 13. Davor beschränkte sich die kreative Leistung hiesiger Tüftler auf die Übernahme und Adaptierung britischer Technologie und danach kann man nur noch eine gelegentliche, häufig eher mittelbare Beteiligung deutscher Ingenieure an den Umwälzungen geltend machen, die die Gegenwart definieren. Bis heute ist unsere Volkswirtschaft von den Wertschöpfungsketten abhängig, die bereits das Kaiserreich trugen, ob im Maschinen- und Fahrzeugbau, in der Grundstoffproduktion, in der chemischen oder elektrotechnischen Industrie. Seit hundert Jahren hat dieses Land nichts Neues mehr hervorgebracht.

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Da kann man schon mal vergessen, was Innovation eigentlich ist und woher sie kommt. Robert Thielicke, Chefredakteur der Zeitschrift Technology Review, führt dies in seinem jüngsten Meinungsstück (Ausgabe 11/2017) exemplarisch vor. Sein Text listet unter der Überschrift „Boom von Staats wegen“ alle populären Fehleinschätzungen auf, denen Politik, Medien und weite Teile der Wirtschaft hierzulande unterliegen, sobald die Rede auf den technischen Fortschritt kommt.

Einfach nur „neu“ zu sein oder „anders“, ist nämlich keine Eigenschaft, die Innovationen hinreichend definiert. Artifizielle, also menschgemachte Technik, zu der neben physischen Maschinen aller Art auch Algorithmen (Software), Prozesse und Dienstleistungskonzepte zählen, zeigt ihren wahren Charakter erst in der Wechselwirkung mit einem Anwender. Technik entsteht, um die Bedarfe der Menschen zu erfüllen, von der Versorgung mit Nahrung, Kleidung oder Wohnraum, über Ansprüche an Hygiene oder Gesundheit, über Kommunikation und Mobilität bis hin zur Unterhaltung. Innovation kommt den Wünschen ihrer Nutzer effektiver nach als die bereits etablierten Systeme. Darin liegt ihre Magie.

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Den Erfolg des Silicon Valley auf Raketen- und Raumfahrtprogramme der 1950er und 1960er Jahre zurückzuführen, ist daher ein Märchen, dem leider auch Thielicke anhängt. Nein, erfolgreich wären die Apples, Googles und Facebooks in jeder anderen Branche auch gewesen, denn ihre Strategien basieren nicht und basierten nie auf öffentlichen Investitionen in die Entwicklung elektronischer Bausteine. Sondern auf der bedingungslosen Orientierung an den Begierden ihrer Zielkunden. Mikrochips sind da nur Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck. So verschieden Spieler wie Hewlett-Packard, eBay oder Electronic Arts vordergründig sein mögen, eint sie doch, sich angesichts des Aufkommens der Informationstechnologie dieselbe Frage gestellt zu haben. Nämlich: Wozu kann man es gebrauchen? statt nur das typisch deutsche Wie kann man es verbessern?

Wer aber wie Thielicke denkt, es sei der Staat, der neue Märkte erst schafft, der glaubt an eine grundgütige, von tiefer Weisheit getriebene Obrigkeit, die das Bessere sicher identifizieren kann und herbeiführen will, ja herbeiführen muss, weil es sich sonst nicht durchzusetzen vermag. So wünscht er sich eine als Großabnehmer auftretende öffentliche Hand, die „flächendeckend emissionsfreie Nahverkehrsbusse“ anschafft, um mehr Investitionen der Wirtschaft in die Elektromobilität anzuregen. Dass die Autofahrer seit mehr als hundert Jahren Batteriefahrzeuge konsequent ignorieren, interessiert ihn dabei nicht. Stromer bieten eben nichts, was Verbrenner nicht auch bieten, und sind zudem noch teurer und wesentlich weniger flexibel. Alle Hoffnungen auf die sogenannte „Verkehrswende“ beruhen lediglich auf staatlich induzierter, medial breit aufgegriffener Propaganda. Und sie sind vergeblich, es sei denn, die elektromobile Zukunft würde erzwungen.

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Schließlich betrachten Politiker Innovation gerade nicht aus der Nutzerperspektive, sondern bewerten sie entlang ideologischer Dogmen. Sie teilen Technologien in „gut“ und „böse“, in „falsch“ und „richtig“, in „erwünscht“ und „ungewollt“ ein, strikt einem Ansatz folgend, nach dem Innovationen zur Lösung sogenannter „gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen“ beizutragen hätten, andernfalls wären sie verwerflich. Völlig unabhängig davon, ob Klimakatastrophe, Artensterben oder Ressourcenverknappung wirklich drohen oder nur zur Begründung politischer Abseitigkeiten konstruiert werden, interessieren abstrakte Thesen den Konsumenten in seinen alltäglichen Umständen überhaupt nicht.

Hat er Hunger, will er essen, und dann auch noch das, was ihm schmeckt. Ist er krank, verlangt er Heilung, egal wie, Hauptsache zügig, umfassend und ohne Nebenwirkungen. Will er das Fußballspiel sehen, Tichys Einblick lesen oder telefonieren, dann hat Strom da zu sein, in immer ausreichender Menge, egal zu welchem Zeitpunkt. Und Mobilität ist primär eine Sache der Reisezeit, ob es zur Arbeit geht, zum Einkauf, ins Kino oder in den Urlaub. Man will ankommen, so schnell es geht, und nicht lange Zwangspausen an Haltestellen, in Staus, beim Wechsel des Verkehrsträgers oder eben an Ladesäulen einlegen müssen. Innovationen lösen keine Probleme, schon gar keine erdichteten, Innovationen schaffen neue und bessere Möglichkeiten, die genannten und alle anderen Bedarfe zu befriedigen.

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Tatsächlich gibt es kein Beispiel aus der Vergangenheit für einen von Thielicke angeregten „großen technologischen Umbruch“, den die öffentliche Hand mitgestaltet, ja gar induziert hätte. Der bisherige Verlauf unserer „Verkehrs-“ und „Energiewenden“ lässt erhebliche Zweifel zu, ob sich das jemals ändern wird. „Umbrüche“ erkennt man ohnehin nur in der Rückschau. Denn bislang kam noch jede Innovation zu Beginn auf ganz leisen Sohlen daher, in Nischen für Pioniere. Innovationen sind zum Zeitpunkt ihrer Geburt, zum Zeitpunkt ihres erstmaligen Markteintrittes, weit entfernt von jeglicher Perfektion, sie sind ineffizient und teuer, wenig komfortabel und fehleranfällig, laut und schmutzig. Aber sie bieten ihren Erstanwendern bislang ungekannte Optionen. Dieser Anfangsvorteil ist es, der ihre Attraktivität ausmacht, zu steigender Nachfrage, steigendem Angebot und Investitionen in Optimierungen führt. Über ihre Zeitgenossen kommen Innovationen zwar unaufhaltsam, aber schleichend, der „Umbruch“ dauert immer mindestens dreißig Jahre. Thielicke hingegen versteht Innovation als etwas, das in Vollkommenheit den Laboren staatlich alimentierter Spitzenwissenschaftler entspringt und auf ein feindliches, abwehrendes Umfeld trifft, in dem es nur durch Subventionen und Regulierungen bestehen kann. Unter dieser Prämisse allerdings hätte man auf Heimcomputer und Mobiltelefone lange warten müssen, wie auch auf das Auto oder auf die Eisenbahn.

Die erst durch Krupps Radreifen ihren Geschwindigkeitsvorteil auf langen Strecken mit hoher Betriebssicherheit wirklich ausspielen und von einem ergänzenden Fortbewegungsmittel zum für einige Jahrzehnte bedeutendsten werden konnte. Und mit der F13 schuf Hugo Junkers erst die technische Basis der zivilen Linienluftfahrt als neuer Mobilitätsoption. Der ganz aus Metall gefertigte freitragende Tiefdecker mit geschlossener Kabine definiert die primären Gestaltungsmerkmale aller Verkehrsflugzeuge bis heute. Vergleichbares ist deutschen Entwicklern seitdem nicht mehr gelungen. Wir müssen das auch nicht unbedingt ändern, denn natürlich lebt unsere Wirtschaft gut davon, technische und ökonomische Risiken zunächst den Vorreitern anderswo zu überlassen, um später nur das zu optimieren, was sich bereits bewährt hat. Aber wenn wir es ändern wollen, dann dürfen wir auf gar keinen Fall den Empfehlungen Robert Thielickes folgen, der da sagt, bei Zukunftstechnologien versage der Markt zu oft. Denn was am Markt versagt, ist nicht innovativ und daher nicht die Zukunft.

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