Seit spätestens 2020 ist auf Bundes- und EU-Ebene klar, dass man die Wasserstoffwirtschaft, im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie, als zentrale Komponente der Energiewende mit allen administrativen und finanziellen Möglichkeiten vorantreiben wird. Es geht um den sogenannten grünen Wasserstoff, also den, der aus „Erneuerbaren Energien” (EE) durch Elektrolyse herzustellen ist.
Dazu gibt es Zielsetzungen, etwa über die Errichtung von Elektrolysekapazitäten, zunächst bis 2030, aber auch darüber hinaus.
Wasserstoff (H2) hat als Energieträger, z.B. für die Anwendungen Wärme oder Mobilität unvermeidbar das Problem des sehr schlechten Gesamtwirkungsgrades über die gesamte Kette von der Erzeugung, über den Transport (mit Kompression oder Verflüssigung) bis zur Nutzenergie. Verglichen mit der direkten Nutzung der elektrischen Energie – sofern dies möglich ist –, ist die Wasserstofflösung in der Energienutzung um Faktoren schlechter. Dies alles ist bekannt und wurde an vielen Stellen diskutiert.
Das Schönrechnen
Um diesen Mangel der Wasserstoffwirtschaft zu kaschieren, wird meist nur qualitativ über das geredet, was mit Wasserstoff alles prinzipiell möglich ist. Über die quantitativen Aspekte wird eher selten gesprochen. Ist es dennoch nötig, benennt man immer nur den Wirkungsgrad der reinen Elektrolyse unter optimalen Bedingungen (möglichst mit vermuteten Verbesserungen in der Zukunft) und ggf. noch den Wirkungsgrad der Brennstoffzelle für die Rückverstromung. Dabei werden die anderen Glieder der Verlustkette nicht erwähnt.
Auch wird gerne verschwiegen, dass diese Verluste durch Mehrerzeugung für den Elektrolysestrom auszugleichen sind. Da dieser Strom aber aus Windenergieanlagen (WEA) und Photovoltaikanlagen (PVA), den volatilen „Erneuerbaren Energien” (VEE) kommt, bedeutet dies einen erhöhten, zusätzlichen Ausbau solcher Anlagen.
Bei der Wirtschaftlichkeit wird zudem gerne ein hoher Wert der Volllaststunden angenommen (z.B. 4000 h/a und mehr), was einen Nutzungsgrad der Elektrolyseanlagen von um die 50% bedeutet. Dass der Wasserstoff als Energieträger bei den Kosten den fossilen (Benzin, Diesel, Kerosin) nicht das „Wasser reichen“ kann, wurde mehrfach vorgerechnet. Auch aktuell hat die Marktsituation für die Herstellung von grünem Wasserstoff ihre Tücken, sagte Christoph Röder bei BR24.
Um die publizierten Kosten für Wasserstoff im Rahmen zu halten, will die EU in ihren Ankündigungen die Elektrolyseanlagen sogar mit kontinuierlichem Strom betreiben. Das wäre aber nur mit konventionellen oder Kernkraftwerken möglich. Prof. Sinn bewertet das richtig:
„Wenn nicht überschießende Spitzen verwendet werden, ist es aber stets ökologischer, den grünen Strom direkt für die Zurückdrängung fossiler Stromquellen zu verwenden als für die Produktion von Wasserstoff. Andernfalls würde der Wasserstoff ja faktisch aus fossiler Energie gewonnen.“
Für den Elektrolysestrom muss also der Strom aus Wind und Sonne verwendet werden, der nicht direkt ins Stromnetz eingespeist werden kann, weil dieses ansonsten überlastet wäre. Es ist die sogenannte Überschussenergie aus VEE (volatile EE), die fälschlich oft als kostenlos dargestellt wird.
Die Volatilität führt aber zu besonderen Problemen, die nachfolgend erörtert und in meiner Studie (siehe Anhang) im Detail behandelt werden.
Eine weitere Beschönigung sind die offiziellen Angaben über den Wasserstoffbedarf für die Dekarbonisierung Deutschlands. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags zeigt in seiner Stellungnahme, dass in den Studien zum H2-Bedarf große Unterschiede in den Angaben bestehen. Durch zielgerichtete Annahmen und kreative Rechnungen kommt man zu politisch vorzeigbaren Werten. Daher habe ich in meiner Studie eine eigene, sorgfältige Zusammenstellung für die verschiedenen H2-Anwendungen vorgenommen. Mit rund 33 Millionen Tonnen (t) H2 pro Jahr liegt dieser Bedarf erheblich über den kommunizierten Zielwerten.
Mittlerweile wird immer weniger von der Autarkie Deutschlands gesprochen, sondern die Notwendigkeit der Einfuhr von Wasserstoff wird anerkannt. Das wäre bei 33 Millionen t H2 pro Jahr auch gar nicht anders möglich.
Gesicherte Stromversorgung
Es ist unabdingbar, dass unser Stromversorgungssystem für ein Industrieland eine gesicherte Stromversorgung bieten muss, weil auch Wärmepumpen und E-Fahrzeuge nicht Tage oder Wochen warten können, bis die Dunkelflaute vorbei ist. Es braucht also einen Langzeitspeicher (LZS), der saisonalen Energieausgleich ermöglicht. Ein Langzeitspeicher mit der nötigen Kapazität ist aber nur über die Power-to-Gas-to-Power-Technik (P2G2P) möglich. Es bedeutet, entweder Wasserstoff oder Methan als gasförmigen Energieträger zu verwenden, der in großen Mengen gespeichert werden kann. Wasserstoff ist die Wahl der politisch Verantwortlichen in der EU und blendet dessen Nachteile gegenüber Methan dabei aus.
Was also mindestens in Deutschland in diesem Zusammenhang nötig wäre, wäre einen solchen LZS mit H2 aus VEE-Überschussenergie zu realisieren.
Szenario: Wasserstoff für die gesicherte Stromversorgung
In meiner Studie (Kapitel 4.5) ist dieses Szenario modelliert worden. Dazu wurde angenommen, dass Deutschland (als Industrieland) 2050 mit Dekarbonisierung noch 1.000 TWh/a gesicherte Stromerzeugung, inkl. Wärmepumpen und E-Mobilität, benötigt. Weitere Einzelheiten und Begründungen finden Sie in meiner Studie.
Um eine solche Stromversorgung technisch zu realisieren, müssen die VEE auf über 1.000 Gigawatt (GW), d.h. Onshore WEA: 446 GW, Offshore WEA: 89 GW, PVA: 535 GW ausgebaut werden – heute sind es in Summe etwa 130 GW. Die Elektrolyseleistung musste für dieses Szenario aus technischen und ökonomischen Gründen auf 300 GW angesetzt werden und die notwendige LZS-Kapazität dafür wurde mit 38 Terawattstunden (TWh) ermittelt.
Selbst eine Beschränkung der Wasserstofferzeugung auf den P2G2P-Speicher mit einer Dimensionierung der Stromversorgung auf ein durchschnittliches Ertragsjahr, führt in diesem Szenario in einem ertragsschwachen Jahr zu einem nötigen Stromimport, der mit Spitzenleistungen von über 100 GW nicht realisierbar ist. Das ist ein Vielfaches dessen, was die Verbindungsleitungen zu den allen Nachbarländern an Übertragungskapazität zulassen.
Diese Zahlen machen schon deutlich – und da wurde noch kein Wasserstoff für z.B. Industrie oder Mobilität erzeugt –, dass eine solche Stromversorgung nicht verantwortbar und realpolitisch auch nicht durchsetzbar ist.
Szenario: Wasserstoff als Energieträger und zur stofflichen Nutzung
Mit der Annahme, dass wenigstens ein Teil des nötigen Wasserstoffs für Industrie und Mobilität in Deutschland hergestellt werden soll, wird das vorgenannte Szenario nochmals gesteigert.
Geht man davon aus, dass von den 33 Millionen t pro Jahr rund ein Viertel im Land erzeugt und der Rest importiert wird, sind dafür ca. 650 TWh/a VEE-Überschussstrom nötig (wegen der Verluste der gesamten Wandlungskette). Wir befinden uns wieder im Jahre 2050 und sind dekarbonisiert. Auch in diesem Szenario benötigen wir die 1.000 TWh/a gesicherte Stromversorgung (P2G2P mit H2). Nun sollen aber durchschnittlich zusätzlich gut 8 Millionen t H2 in Deutschland pro Jahr erzeugt werden. Nach einer gewissen Optimierung sieht das Ergebnis wie folgt aus.
Dazu musste der Ausbau der VEE auf ca. 1.526 GW gesteigert werden (Onshore WEA: 636 GW, Offshore WEA: 127 GW, PV: 763 GW), das ist das 11,6-Fache von heute.
Obwohl etliche Spitzen bei 300 GW Elektrolyseleistung ungenutzt bleiben, wird immerhin fast 90% der Überschussenergie verwendet. Allerdings bleiben die Elektrolyseanlagen zu dreiviertel ihrer Kapazität ungenutzt. Dabei wird idealerweise schon unterstellt, dass die Elektrolyse mit gleichem Wirkungsgrad zwischen Null und Nennleistung arbeitet und durch den volatilen Betrieb keine Degradation und kein erhöhter Wartungsaufwand entsteht. Die für dieses Szenario angesetzten 300 GW Elektrolyseleistung stellen schon ein gewisses Optimum dar.
Die Unmöglichkeit, die volatile Überschussenergie mit Speicher zu glätten, um die Elektrolyseanlagen mit (weitgehend) konstantem Strom zu versorgen, weise ich in meiner Studie und meinem Buch („Die Abrechnung mit der Energiewende – Der Energiewende-Check“) nach. Der dafür nötige Speicherbedarf sprengt nämlich alle Vorstellungen und ist daher unbezahlbar.
Um die Dimension der Schönrechnungen und Fehlplanungen zu erfassen, muss man die 300 GW Elektrolyseleistung in Beziehung setzen, zu den Ankündigungen von 5 bzw. 10 GW der Bundesregierung und den geplanten Wasserstofferzeugungsprojekten, die bis 2025 0,28 GW und bis 2030 0,75 GW betragen. Auch die öffentlich gelobte „große“ Siemens-Anlage mit 0,009 GW erscheint marginal dagegen – von dieser Sorte wären mindestens 33.000 Stück notwendig.
In meiner Studie werden weitere Aspekte in diesem Zusammenhang behandelt und quantitativ gezeigt, dass eine Realisierung realpolitisch ausgeschlossen ist.
Technisch ist sehr viel möglich, was davon sinnvoll, politisch durchsetzbar und wirtschaftlich ist, bleibt die entscheidende Frage.
Klaus Maier ist Dipl.-Ing. der Elektrotechnik im Ruhestand. Sechs Jahre intensiver Beschäftigung mit der Energiewende in verschiedenen Fachausschüssen, 2020 ein Buch (s.u.) über die Energiewende geschrieben. 2021 als Sachverständiger zum Thema Wasserstoff in den Hessischen Landtag geladen (s.u.).
Seine Studie zum Download:
[1] Klaus Maier, Erzeugung von grünem Wasserstoff in Deutschland
Mögliche Ergänzungen:
[2] Klaus Maier, Gutachterliche Stellungnahme zum Hessischen Wasserstoffzukunftsgesetz – zur technischen und wirtschaftlichen Einschätzung des Gesetzesvorhabens
[3] Dr. Ulf Bossel, Wasserstoff löst keine Energieprobleme
[4] Klaus Maier, Die Abrechnung mit der Energiewende – Der Energiewende-Check,
ISBN 978-3-347-06789-9 oder ISBN 978-3-347-06790-5