Das Gutachten des TÜV Süd war ein Schlag in die Magengrube. In der Diskussion um die Zukunft der Atomkraft angesichts der Energiekrise mussten die Grünen, ob in bloßer Parteifunktion oder in den Ministerien, eine gefährliche Entwicklung in der Deutungshoheit hinnehmen. Plötzlich gibt es doch keine unüberwindbaren Sicherheitsrisiken, wie über Monate und Jahre postuliert. Und der TÜV setzte einen drauf: Man könnte auch die drei Kraftwerke, die 2021 vom Netz gingen, wieder in Betrieb nehmen. Doch für diejenigen, die Versorgungssicherheit für Luxus halten, war damit das letzte Wort nicht gesprochen.
Nachdem die Welt, die Frankfurter Allgemeine und sogar die Zeit die Segel gestrichen haben und für den Weiterbetrieb – in unterschiedlichem Grad – werben, bleibt die Süddeutsche Zeitung die letzte Bastion und steht nibelungentreu zum grünen Prestigeprojekt. Am Freitag schreibt sie einen Artikel, in dem sie der Darstellung der Rechtsanwaltkanzlei Michael Günther breiten Raum einräumt. Die Hamburger Kanzlei wirft dem TÜV Süd eine „schlampig argumentierende Auftragsarbeit“ vor, die „nicht als seriöse Bewertung anerkannt werden kann“.
Zudem bestehe der Verdacht, dass ein „Gefälligkeitsgutachten“ erstellt worden sei. Die Auftragsarbeit sei vielmehr „für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt“ gewesen. Die Prüfung durch die Hamburger Kanzlei wiederum – das kommentiert die Süddeutsche bemerkenswert klar – war ein Auftrag von Greenpeace. Damit nicht genug. Kanzleigründer Michael Günther ist Vorstandsmitglied bei Greenpeace International. Wenn jemand nach der Definition von Befangenheit gesucht hat: So sieht sie aus.
Greenpeace-Anwälte werfen dem TÜV vor, in Fragen der Atomkraft befangen zu sein
Warum das Gutachten zum Gutachten vonseiten der Öko-Lobby nun seriöser sein soll als das des TÜV, bleibt offen. Es ist scheinbar ein ehernes Gesetz, dass Konzerne, die Anteile haben, immer im Verdacht des Schlimmsten stehen, die NGO dagegen als makelloser Weißer Ritter auftritt. In Zeiten, in denen Mitglieder der Agora oder Greenpeace in den Ministerien als Staatssekretäre sitzen, wäre einem seriösen Medium anzuraten, sich mal eher mit den Connections zwischen Parteien und NGOs zu befassen, die über Bande spielen und ihre eiskalten Machtinteressen auf dem Rücken des Steuerzahlers ausfechten, als ein CSU-Papier gegen ein Grünen-Papier auszuspielen und zu behaupten, die Messe sei damit gelesen.
Für die Bundespolitik, die angesichts des „Stresstests“ durch das BMWK unter Druck steht – schließlich soll die euphemistisch als „Streckbetrieb“ bezeichnete Fristverlängerung „vorbehaltslos“ geprüft werden – kommen solche Nachrichten natürlich wie ein Befreiungsschlag. Das Narrativ wird vorangetrieben: Der Ausstieg aus dem Ausstieg (aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg) ist in Wirklichkeit ein übles Manöver der Union, um die Grünen zu desavouieren. Ein Narrativ, dass Katrin Göring-Eckardt schamlos befeuert: „Wer jetzt über Atomkraft diskutiert, will den Grünen eins reinwürgen.“ Es ginge nur darum, ihrer Partei zu schaden.
Für die Grünen ist die Diskussion um Laufzeitverlängerungen nur dazu da, um ihnen eins „reinzuwürgen“
Die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann nahm das Papier wohlwollend auf, nachdem sie schon zuvor getwittert hatte: „Als wäre der TÜV Süd eine Instanz, die eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke mal eben bescheinigen kann. Es geht Friedrich Merz und Markus Söder um die Rücknahme des Atomausstieg, nicht um Zukunft der Energieversorgung. Nicht mit uns! Denkt mal an TÜV Süd und Brasilien.“