Jules Verne bezeichnete 1875 das Wasser als die neue Kohle, wenn es durch elektrischen Strom zerlegt wird. Damals nannte man seine Schriften utopische Literatur. Es gibt genügend gute Gründe, warum sein Gedanke nicht Realität geworden ist. Gleichwohl wird in Deutschland eine ganze Energiestrategie darauf gegründet – ohne Plan B.
Eine gängige Formulierung der regierungsbegleitenden Medien zur von der Ampelregierung erhofften Energiewende-Wunderwelt lautet: „Der grüne Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft.“ Damit legen sich die Journalisten nicht fest und müssen auch nicht einräumen, dass sie selbst nicht daran glauben – jedenfalls nicht diejenigen Journalisten, die über ein gewisses Maß an naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen verfügen.
Schon 2021, noch unter Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), sollten 62 Großprojekte aus EU-, Bundes- und Landesmitteln gefördert werden. Die Strategie wird nun fortgeschrieben, zehn Gigawatt (GW) Elektrolysekapazität bis 2030 sind das Ziel, wohl zwei Drittel des benötigten H2 werden importiert werden müssen.
Ein Start- und ein Kernnetz für die Verteilung des Wasserstoffs wird gewünscht und ein „Hochlauf“ des Marktes. Dabei handelt es sich um einen Subventionsmarkt, auf dem sowohl die Hersteller als auch die Verbraucher von grünem Wasserstoff subventioniert werden müssen. Angebot und Nachfrage folgen nicht den Marktmechanismen, sondern den Vorgaben und Subventionen des Staates.
Ergebnis ist wiederum das aus der E- Mobilität bekannte Henne-Ei-Problem. Potenzielle Verbraucher rufen nach dem Gas, Lieferanten verlangen Abnahmegarantien. Das Projekt einer Wasserstoffleitung von Dänemark nach Schleswig-Holstein wird nach Aussage des nördlichen Nachbarn nur gebaut, wenn potenzielle Abnehmer vor dem Bau eine feste Abnahmemenge für 15 Jahre buchen.
Weil das gewünschte Tempo der Umsetzung nicht erreicht wird, liegt nun der Entwurf eines „Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes“ (WasserstoffBG) vor. Insbesondere die Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen schneller ablaufen. Ein „überragendes öffentliches Interesse“ soll eventuellen Widerstand von Anfang an plattmachen.
Zeit ist relativ, wie wir von vielen staatlichen Projekten wissen. 14 Jahre Bauzeit für einen Flughafen, vermutlich 15 Jahre für einen Bahnhofsumbau, 14 Jahre für ein Schiffshebewerk – aber schon 2030 soll grüner Wasserstoff in großen Mengen zur Verfügung stehen, einschließlich der nötigen Infrastruktur und der Importe.
Dabei müssten die dauerprogressiven Ampelparteien nur einmal richtig zuhören: Auf dem Kraftwerkstechnischen Kolloquium der TU Dresden zum Beispiel äußerte sich im vergangenen Oktober der Präsident des Deutschen Wasserstoff-Verbandes, Oliver Weinmann. Zur Zukunft einer Wasserstoffinfrastruktur merkte er in der Podiumsdiskussion an, dass man bei dieser ganz am Anfang stünde und der Aufbau Jahrzehnte dauern werde.
Solche Aussagen dringen offenbar nicht in die Berliner Blase ein. Sehr wahrscheinlich ist, dass es sich hinziehen wird. Die Begleitmusik ist erwartbar: Forderungen nach Zeichensetzung, und ehrgeizigeren Zielen, angeschärften Kriterien, einer notwendigen Taskforce, einem Bundesbeauftragten für Wasserstoff, nach mehr IT-Kompetenz und smarten, verzahnten Ansätzen sowie Wasserstoff-Audits. Die Aufzählung ist beliebig erweiterbar. Allen Positionen ist gemeinsam, dass sie praktisch wirkungslos sind.
Der Wunderstoff
In der Handhabung erweist sich Wasserstoff als schwierig. Als Nummer 1 im Periodensystem der Elemente und kleinstes Atom ist er diffusionsfreudig, schleicht sich durch die Metallgitter von Rohr- und Behälterwandungen, durch alle kristallinen Strukturen hindurch, indem er die Zwischengitterplätze nutzt. Dies führt im Wandungsmaterial auch zu Korrosion. Die notwendige Spezialbeschichtung treibt die Kosten.
Umgangssprachlich bezeichnet man Wasserstoff aus gutem Grund auch als Knallgas. Das beschreibt seine Reaktionsfreudigkeit. Vier bis 76 Prozent Anteil in der Luft lassen ein Gemisch durchzünden, wenn ein Funken des Weges kommt. Das ist mit entsprechenden Maßnahmen beherrschbar, aber aufwendig.
Das Hauptproblem ist aber der geringe Energiegehalt von Wasserstoff, was große Volumina erfordert, die gehandhabt werden müssen. Die Druckerhöhung in den Verdichtern ist mit einem hohen spezifischen Aufwand verbunden, auch hier ist die Ursache die Winzigkeit der H2-Atome. Wasserstoff ist in elementarer Form schwer transportierbar, wenn Pipelines nicht genutzt werden können. Aufgrund des geringen Energieinhalts muss eine Hochverdichtung erfolgen. Der Schiffstransport erfordert eine Abkühlung auf mindestens minus 253 Grad, was sowohl hohen Energie- als auch hohen Isolationsaufwand erfordert und Kälteverluste während des Transports mit sich bringt.
Gegenwärtig existieren weltweit nur zwei Schiffe, die Wasserstoff transportieren können. Kostensenkend ist der Transport von Wasserstoff in Form seiner Derivate wie Methan, Methanol oder Ammoniak. Hier ist das Handling einfacher, jedoch sind die Prozesse zur Herstellung der Derivate und deren spätere Aufspaltung kostentreibend. Die entsprechende Infrastruktur in den Lieferländern wie auch bei uns wäre erst zu errichten.
Die Verbrennung von Wasserstoff ist ebenfalls nicht unproblematisch. Die Wasserstoffflamme ist kaum sichtbar, die Verbrennungstemperatur liegt bei 2130 Grad Celsius (Erdgas: 1970 Grad), was bei der Verbrennung mit Luft zu einer hohen Reaktionsfreudigkeit mit dem Luftstickstoff und hohen Stickoxidemissionen im Abgas führt. Diese Emissionen sind hinsichtlich der Grenzwerte des Bundesimmissionsschutzgesetzes schwierig zu beherrschen, weshalb es noch keine wasserstofffähigen Gasturbinen am Markt gibt.
Die Verstromung in einer Brennstoffzelle erfolgt zu ähnlichem Wirkungsgrad wie bei der Elektrolyse (60 bis 70 Prozent). Auch hier ist nur ein konstanter Prozess optimal, hohe Materialpreise für die Membranen stehen der massenhaften Anwendung noch im Weg. Ein scheinbar starkes Argument für die Produktion des teuren Energieträgers ist die Nutzung sogenannten Überschussstroms, der in den Sommermonaten immer häufiger anfallen wird. Natürlich kann man diesen nutzen, aber die Elektrolyseure arbeiten nur unter konstantem Stromfluss optimal. Für die Amortisation sind möglichst viele Betriebsstunden nötig. Einige hundert Stunden niedriger oder negativer Strompreise im Jahr dürften für einen Betrieb unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht reichen.
Aber aus marktwirtschaftlicher Sicht lässt sich eine Wasserstoffinfrastruktur dieser Größenordnung, die auf grünem Wasserstoff beruht, ohnehin nicht realisieren. Es wäre, wie bei der Windkraft, eine verstetigte Subventionswirtschaft aus „Klimagründen“, die uns im internationalen Wettbewerb benachteiligt, wie das „Westküstenprojekt“ in Schleswig-Holstein zeigt, das vor zehn Monaten den Kostentod starb. Trotz der Fördermittel lohne sich ein dauerhafter Betrieb der Anlage wirtschaftlich nicht, hieß es trocken in der Pressemitteilung.
Über die gesamte Prozesskette Power-to-Gas-to-Power (P2G2P) ergibt sich ein desolater Wirkungsgrad von gut 20 Prozent. Für jede zurückgewonnene Kilowattstunde Strom muss also vorher die fünffache Menge (Grün-)Strom erzeugt werden. Spätestens hier klappen Betriebswirte den Laptop zu.
Der Stromspeichertraum
Auch auf EU-Ebene hat der Realismus einen schweren Stand. Die „EU Hydrogen Strategy“ wünscht sich bis 2030 zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoffs in der Gemeinschaft. Nun teilt der Europäische Rechnungshof mit, die EU werde „ihre für 2030 gesetzten Ziele für Erzeugung und Import von erneuerbarem Wasserstoff voraussichtlich nicht erreichen“. Gleichzeitig mahnten die Prüfer an, „die EU-Ziele einem Realitätscheck zu unterziehen“, und kritisierten weiter: Die Ziele seien nicht auf Grundlage solider Analysen erstellt worden, sondern nach politischem Willen festgelegt. Auch sei keine Abstimmung mit den Zielen anderer Länder erfolgt.
Gerne wird auch übersehen, dass es sich bei H2 um ein Treibhausgas handelt. Der Schlupf, also die durch Undichtigkeiten an den Anlagen austretenden Mengen, würde die weitere globale Erwärmung beschleunigen, zumindest wenn man die regierungsamtliche Klimatheorie zugrunde legt. Da fragt man sich, wie es dazu kommen konnte, dass Wasserstoff als einzige Zukunftsoption alternativlos verfolgt wird.
Auch Politiker mit zweifelhaften Bildungsverläufen haben vermutlich ein Experiment aus dem Chemieunterricht im Gedächtnis, wo aus einem wassergefüllten Gefäß mit zwei darin platzierten Elektroden einige Bläschen lustig nach oben blubbern. Zurückgeblieben ist dabei der falsche Eindruck, dass es sich bei der Elektrolyse um einen einfachen Vorgang handelt. Aber sowohl die Elektrolyse als auch die Umkehrung des Prozesses in der Brennstoffzelle oder die Verbrennung von Wasserstoff sind keineswegs simpel. Insbesondere die Frage der Materialien, mit denen Alterung und Verschleiß begegnet werden muss, erfordern hohen Forschungsaufwand und treiben bei großtechnischen Anlagen die Kosten.
Deutschlandweit gibt es heute mehr als 50 Pilotanlagen Power-to-Gas (P2G), die nur mit Fördermitteln betrieben werden können und die vor allem mit den Fragen der Wirtschaftlichkeit der Prozesse zu kämpfen haben. Die Wirtschaftlichkeit der Grünstromelektrolyse in Deutschland, so viel steht fest, wird auch künftig nicht gegeben sein, da sie primär vom Strompreis abhängt und von einem kontinuierlichen, optimierten Betrieb der Anlagen.
Eine typisch deutsche Eigenschaft ist die Absolutheit von Forderungen. So soll andersfarbiger Wasserstoff (siehe „Farbenlehre“), der nicht der Ökostromelektrolyse entstammt, nicht akzeptiert werden. Aber hier gibt es inzwischen eine Aufweichung, wonach blauer Wasserstoff zunächst zugelassen werden soll.
Wenn wir den grünen Wasserstoff hierzulande nicht herstellen können, muss er importiert werden. Der kalkulierte hohe Anteil an importiertem grünem Wasserstoff schafft allerdings neue Abhängigkeiten. Energiestrategisch begeben wir uns in Abhängigkeit von Ländern wie Ägypten, Marokko und Namibia und setzen uns einem Sanktionsrisiko aus. Dem Ansatz, hinsichtlich Ernährung und Energieversorgung möglichst unabhängig vom Ausland zu sein, will Deutschland nicht folgen.
Grüner Energiekolonialismus
Die Abhängigkeit von Lieferungen aus arabischen Ländern wird auch eine wertegeleitete Außenpolitik beeinflussen. Kritik bezüglich der Menschenrechte sollte dann besser nicht geäußert werden – es könnte zu Lieferverzögerungen führen. Eine eskalierende internationale Lage könnte dann nicht nur zu einer Ölkrise wie 1973 führen, sondern auch zu einer Wasserstoffkrise für Deutschland. Unsere traditionelle Appeasement-Politik gegenüber islamischen Ländern würde verstärkt weitergeführt. Für Israel blieben nur die Sonntagsreden.
Die linke „taz“ beklagte jüngst, dass Deutschland in Bezug auf den Wasserstoff eine Art Energiekolonialismus betreibe. In der Tat, während wir uns für die Verbrechen der Kolonialzeit vor 120 Jahren noch heute, auch finanziell, entschuldigen, wollen wir nun an der Zerstörung namibischer Nationalparks mitwirken, um grünen Wasserstoff herzustellen.
Das Fazit ist bitter: Im politischen Raum geht Glaube vor Wissen, Ideologie vor Pragmatismus. Kalkulieren will schon gar niemand, und so bleiben große Fragezeichen, wer die riesigen Investitionen in den potenziellen Lieferländern stemmen wird.
Bei realistischer Betrachtung der Zeitschiene, der Kosten und der Fähigkeiten der Regierenden erweist sich die Wasserstoffstrategie nicht nur als flüchtig, sondern als ein großes Nichts – oder eben als Science-Fiction im Sinne Jules Vernes. Die Frage, wo der Strom herkommen soll, bleibt unbeantwortet.